Stadt, Land, Denkmal – So werden wir wohnen: Im Interview mit Nicole Razavi

Stadt, Land, Denkmal – So werden wir wohnen: Im Interview mit Nicole Razavi
Nicole Razavi (CDU) ist baden-württembergische Ministerin für Wohnen und Landesentwicklung. (Bild: picture alliance/dpa | Bernd Weissbrod)

Explodierende Immobilienpreise, Homeoffice, Flächensparen oder der plötzliche Förderstopp der KfW-Kredite. Nicole Razavi MdL ist Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen und kennt sich aus mit all diesen Themen.

Im Interview mit dem Wochenblatt verrät sie unter anderem, warum es die Schwaben wieder stärker in die Dörfer zieht, warum das Häuslebauen gerade so teuer ist und was das Land tut, damit mehr Wohnraum entsteht.

Frau Ministerin, Sie sind seit Mai 2021 im Amt. Mit den Themen Landesentwicklung und Wohnen haben Sie sich ein spannendes Feld ausgesucht! Worum es beim Wohnen geht, können wir uns denken aber was genau umfasst Landesentwicklung?

In der Tat; die Themen sind spannend, und es macht mir unglaublich viel Freude! Zur Landesentwicklung: Es gibt den sogenannten Landesentwicklungsplan. Der ist in unserem Fall 20 Jahre alt. Als dieser Plan in den Neunzigern das letzte Mal aktualisiert wurde, da gab es noch keine Smartphones, das ganze Leben hat sich seitdem stark verändert. Inzwischen spielen Wohnen und Arbeiten eine ganz andere Rolle als damals.

Stichwort Digitalisierung und Homeoffice?

Genau. Man kann sich inzwischen viel mehr vorstellen, auch im ländlichen Raum zu arbeiten. Homeoffice eröffnet da ganz neue Möglichkeiten. Natürlich spielt die Pandemie in diese Entwicklung stark mit rein.

Viele, vor allem auch junge Menschen und Familien, ergreifen gerade diese Chance des flexiblen Arbeitens. Sie ziehen häufig zurück von der Stadt in ihre kleineren Heimatorte. Auch oft in Dörfer. Grund sind die astronomisch hohen Mieten in den Ballungsgebieten. Das können sich zum Teil nicht einmal mehr doppelverdienende Akademiker-Haushalte leisten. Ist da ein Ende in Sicht?

An dem Thema sind wir dran. Es müssen einfach bessere Rahmenbedingungen für bezahlbares Wohnen geschaffen werden. Was den Rückzug aufs Land angeht: Wir brauchen eine Renaissance der Dorfzentren. Der ländliche Raum muss noch attraktiver werden. Der Breitbandausbau ist dabei ein zentrales Thema. Zusätzlich gibt auch Förderprogramme des Landes, zum Beispiel um die Nahversorgung und das Zusammenleben in den Dörfern zu fördern. Im Sinne einer älter werdenden Gesellschaft braucht es Infrastruktur.

Betrifft das auch Förderung „im Kleinen“. Zum Beispiel in dem jemand durch seinen Hofladen den fehlenden Bäcker im Dorf ausgleicht?

Wenn sich jemand dazu entschließt einen Hofladen zu eröffnen, in einem Ort, in dem es keine Einkaufsmöglichkeiten gibt, kann es dafür auch Unterstützung vom Land geben. Wir haben tolle Förderprogramme für die Entwicklung des ländlichen Raumes.

Ist es „auf dem Dorf“ auch einfacher, an einen Bauplatz zu kommen?

Das kann man pauschal nicht sagen. Für Bauplätze sind die Kommunen zuständig. Deren Flächen- und Grundstückspolitik muss schlau sein. Wir helfen den Kommunen aber dabei, klug mit Flächen umzugehen.

Was heißt denn „klug mit Flächen umgehen“? Geht’s da um neue Bauplätze, Bekämpfung von Leerstand oder neue Wohnkonzepte?

Es geht um all das! Wir haben zum Beispiel ein Programm, das nennt sich „Lücken Nutzen“. Da geht es darum, auch relativ kleine Grundstücke sinnvoll zu bebauen oder um die kluge Aufstockung bereits bestehender Gebäude:  Warum nicht auf einem Supermarkt oder auf einer Garage neuen Wohnraum schaffen, wenn das möglich ist?  Auch was den Leerstand von Mietwohnungen angeht, setzen wir kleine, aber feine Anreize: Wenn eine Gemeinde einen Eigentümer davon überzeugen kann, seine leerstehende Wohnung wieder zu vermieten, winkt ihr eine Wiedervermietungsprämie, die sie dann an den Eigentümer weiterreichen kann.

Das klassische Einfamilienhaus ist noch immer ein Traum von vielen Schwaben. Doch aktuell bangen viele Häuslebauer um die Finanzierung dieses Traumes.
Das klassische Einfamilienhaus ist noch immer ein Traum von vielen Schwaben. Doch aktuell bangen viele Häuslebauer um die Finanzierung dieses Traumes. (Bild: picture alliance / SvenSimon | Frank Hoermann/SVEN SIMON)

Wollen die Schwaben denn überhaupt zur Miete wohnen? Es heißt doch immer, dass wir alle Häuslebauer sind.

Im bundesweiten Vergleich kann man das vielleicht so sagen. In Baden-Württemberg liegt die Wohneigentumsquote bei 52,4 Prozent und damit deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 46,5 Prozent. Aber: Europaweit gesehen ist das immer noch wenig. Da liegen wir auf dem vorletzten Platz. In Kroatien besitzen 90 Prozent der Bevölkerung Wohneigentum, in Spanien sind es rund 78 Prozent. Wobei man dazu sagen muss, dass Wohneigentum nicht nur das klassische Einfamilienhaus ist. Darunter zählen auch Mehrfamilienhäuser, Ein-Zimmer-Appartements und alle möglichen anderen Wohnformen.

Was macht Wohneigentum denn so attraktiv?

Es ist einfach immer noch – und angesichts der Zinsentwicklung mehr denn je – die beste Altersvorsorge.

Ja. Wenn man sich heute denn noch Wohneigentum leisten kann. Stichwort Hausbau und Sanierung: Der plötzliche Stopp der Fördermittel der KfW-Bank stürzte viele Bauherren in ein tiefes Loch, beziehungsweise eine tiefe Baugrube. Häuslebauer, die fest mit dem Geld gerechnet haben – und wir reden hier von mehreren Tausenden Euro pro Antragsteller – wissen jetzt nicht, ob sie sich das Haus noch leisten können.

Ja, da ging eine Schockwelle durchs Land. Die Finanzierungslücke ist bei vielen Bauherren erheblich. Wir als Land bemühen uns, die Lücken so gut es geht auszugleichen, aber wir können nicht den Wegfall der kompletten Bundesförderung auffangen. Deshalb drängen wir darauf, dass der Bund endlich sagt, wie es weitergehen soll, und damit wieder Planungssicherheit schafft.

Was wird für diejenigen getan, für die der Traum vom Haus nicht erfüllbar ist?

Bezahlbarer Wohnraum ist ein großes Thema, gerade in Ballungsräumen mit sehr angespanntem Wohnungsmarkt. Vor allem dort können Sozialwohnungen für Entlastung sorgen. Wir fördern den Bau solcher Sozialwohnungen, deren Miete dann für bis zu 40 Jahre deutlich unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt, über unser Landeswohnraumförderprogramm. Und wir unterstützen mit diesem Programm auch junge, einkommensschwächere Familien, die sich den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen wollen. 

Um das Platzproblem in den Ballungsgebieten zu lösen, sind da alternative Wohnformen, wie zum Beispiel Tiny Houses, eine Option?

Ich glaube nicht, dass wir unser Wohnraumproblem durch Tiny Houses lösen.  Doch es gibt mehrere spannende Ansätze: Quartierslösungen werden eine Option. Kleines Wohnen, wenn zum Beispiel Würfel in Holzbauweise auf bestehenden Wohnraum gesetzt werden – oder auch der Ausbau vorhandener Gebäude. Auch das Bewohnbarmachen von denkmalgeschützten Gebäuden wie einer alten Mühle oder eines Wasserturms wird von uns gefördert und unterstützt – demnächst mit einem weiteren, ganz speziellen Programm.

Was sagen Sie abschließend zum großen Thema Wohnen, Hausbau, Sanierung, Mietwohnung?

Ich will Anreize setzen, die Rahmenbedingungen verbessern, dass die Menschen Lust auf Bauen, Sanieren und qualitativ hochwertiges Wohnen haben. Aber ich will den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu wohnen haben. Das ist eine ganz persönliche Entscheidung.