Der deutsche Süden ist perfekt für die Erzeugung von Solarstrom – trotzdem bleiben viele Potentiale ungenutzt. Der Energiewende-Pionier solarcomplex aus Singen am Hohentwiel will das ändern.
Das Singener Bürgerunternehmen solarcomplex hat bereits weit mehr als 1.000 Photovoltaikanlagen geplant und gebaut. Allein im Jahr 2020 realisierte solarcomplex einen Zubau von 12 Megawatt auf Dächern und mit Solarparks. Bei Freilandprojekten geht man seit diesem Jahr neue Wege und sucht im Schulterschluss mit Grundstücksbesitzern gezielt nach landwirtschaftlich schlecht nutzbaren Flächen. Ein Gespräch mit solarcomplex-Vorstand Bene Müller.
Redaktion NL:
Für eine nachhaltige Energieversorgung spielt die Sonne in unserer Region eine zentrale Rolle. Sind wir hier Vorreiter im Vergleich zu anderen?
Bene Müller:
Wenn man die Solarnutzung anschaut, liegen wir im guten Mittelfeld, etwa bei neun Prozent des Strombedarfs. Ein Vorreiter sind wir damit definitiv nicht. Wir haben allerdings bei uns erhebliche Potentiale, die bisher ungenutzt sind. Das erschließt sich mit einem einzigen Blick auf die Dachflächen. Wir haben riesige Dachflächen im Gewerbe, die nicht belegt sind, ebenso bei den großen öffentlichen Liegenschaften. Großes Potential gibt es auch auf Mehrfamilienhäusern. Günstigen Solarstrom vom Dach zu nutzen, wäre für die Menschen, die in solchen Mietshäusern wohnen, eine tolle Sache. Bis das Realität wird, bleibt noch viel zu tun.
Redaktion NL:
Warum brauchen wir trotz dieser großen Potentiale auch noch Freilandflächen für Solar?
Bene Müller:
Weil unsere Erkenntnis aus 20 Jahren ist, dass zwar immer gefordert wird, man möge vorrangig die Dachflächen belegen, aber im Einzelfall immer verschiedenste Gründe angeführt werden, warum sie dann doch nicht belegt werden. Es hilft also nicht weiter, sich auf Dachflächen zu versteifen und den Freiland-Ausbau zu vernachlässigen. Das Ausbautempo ist insgesamt zu niedrig. Deswegen sollten wir nun im Freiland dynamisch vorangehen. Wenn wir in 20 oder mehr Jahren feststellen, dass wir diese Anlagen nicht mehr brauchen, weil wir genug PV-Strom von den Dächern haben, kann man die Freiland-Anlagen ohne Probleme zurückbauen und dem Recycling zuführen. Jetzt auf Freiflächen zu verzichten, können wir uns nicht leisten. Wir brauchen ein höheres Zubautempo der Erneuerbaren, wenn es uns mit dem Klimaschutz ernst ist.
Redaktion NL:
Die Landwirte beklagen eine ohnehin schon große Flächenkonkurrenz. Sie befürchten, dass ihnen nun für die Energiewende weitere Flächen weggenommen werden, zurecht?
Bene Müller:
Das ist richtig und falsch zugleich. Richtig ist, dass man dort, wo ein Solarpark entsteht, keinen klassischen Ackerbau mehr betreiben kann. Dort kann man Schafe halten, vielleicht auch Gänse weiden lassen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir haben unzählige Nutzungen von landwirtschaftlichen Flächen für Dinge, die gar nichts mit Futter- oder Lebensmittelanbau zu tun haben. Meine drei Klassiker: Golfplätze, Reiterhöfe und Segelflugplätze. Zusammen genommen sind das viele 1.000 Hektar. Kontrovers diskutiert wird darüber kaum, obwohl es sich oft um hochwertige landwirtschaftliche Flächen handelt. Das Motiv der Verpächter ist dabei sicherlich ähnlich, wie das der Verpächter für Solarflächen: Es lohnt sich finanziell. Die Gesellschaft sollte darüber diskutieren, ob es wichtiger ist, dass einzelne ihrem Luxusbedürfnis nachgehen oder ob wir eine preiswerte und regionale Energieversorgung für alle schaffen wollen.
Redaktion NL:
Wie könnten Landwirtschaft und Energiewende-Akteure zusammenfinden?
Bene Müller:
Wir planen aktuell Solarparks, deren Strom wir frei ohne EEG-Vergütung vermarkten wollen. Das macht uns freier in der Standort-Wahl, weil wir uns nicht mehr an die im EEG vorgegebene Flächenkulisse halten müssen. Wir suchen jetzt gezielt landwirtschaftlich schlechte Flächen. Das sind zum Beispiel Grundstücke in Hanglage, die der Landwirt nur schlecht mit schweren Maschinen bearbeiten kann. Das sind steinige, ertragsarme Flächen oder solche, die zu feucht für eine sinnvolle Bearbeitung sind. Wir möchten mit Grundstückseigentümern gemeinsam nach Flächen suchen, die aus landwirtschaftlicher Sicht wenig attraktiv sind.
Redaktion NL:
Halten Sie es für realistisch, dass die Energiewende ein neues, tragfähiges Standbein für Landwirte werden kann?
Bene Müller:
Das würde ich auf jeden Fall so sehen. Wenn man sich über die aktuelle wirtschaftliche Lage von Landwirten Gedanken macht, kann es einem schon ein wenig schummrig werden. Die haben ernsthafte existentielle Sorgen und wissen oft nicht, auf welches Pferd sie denn nun setzen sollen. Milchvieh trotz niedrigem Milchpreis? Fleischerzeugung trotz möglicher Exportverbote, wie jetzt durch die Schweinepest? Die Landwirte müssen heute Entscheidungen treffen, von denen sie nicht wissen, ob sie dauerhaft tragen. Da wäre ein Standbein in der Solarstromerzeugung auf jeden Fall eine gute Alternative, denn hier haben sie auf 25 Jahre sichere Einnahmen – egal ob sie Flächen verpachten oder selbst investieren. Und wenn man das umrechnet in Euro pro Hektar liegt der Ertrag natürlich um ein Mehrfaches über dem landwirtschaftlichen.
Redaktion NL:
Wie ist denn die Entwicklung bei den Biogasbauern? Sie benötigen große Flächen für die Energieproduktion.
Bene Müller:
Nach unserer Einschätzung war die Steuerung im Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien (EEG) hier eigentlich falsch. Man hätte nicht rein stromgeführte Anlagen so gut vergüten dürfen, dass viele Anlagen im Nirgendwo stehen, wo die Abwärme nicht genutzt wird. Inzwischen ist es ziemlich sicher, dass die Anlagen ohne Wärmenutzung verschwinden werden, wenn die EEG-Förderung ausläuft. Das heißt zugleich, dass viele Flächen, auf denen bisher Energiepflanzen angebaut wurden, frei werden. Wir rechnen damit, dass das verstärkt in etwa fünf Jahren einsetzen wird. Es könnte dann sinnvoll sein, wenn man zumindest auf einem Teil dieser Flächen weiterhin Energie erntet, dann jedoch über die erheblich effizientere Freiflächen-Photovoltaik. Dann hole ich aus 1 Hektar Fläche nicht 20.000 Kilowattstunden heraus, sondern eine Million. Das entspricht immerhin dem privaten Stromverbrauch von 1.000 Menschen.
Redaktion NL:
Der Naturschutz war lange skeptisch mit Blick auf Solarparks. Hat sich diese Diskussion verändert?
Bene Müller:
Ich sehe, dass Teile der Naturschutzverbände durchaus anerkennen, dass die Flächen unter Solar-Freilandanlagen in der Regel hochwertig sind. Zum Vergleich: eine intensiv genutzte landwirtschaftliche Fläche hat ökologisch gesehen keinen hohen Wert. Dort wird gespritzt und gedüngt und schwere Maschinen fahren dort. Auf einer Fläche, wo ein Solarpark steht, hat man dagegen in wenigen Jahren eine artenreiche Magerwiese, die von zahlreichen Tier- und Pflanzenarten besiedelt ist. Das ist definitiv eine erhebliche ökologische Aufwertung, die auch Naturschützer ausdrücklich anerkennen.
Redaktion NL:
Wie könnte man den solaren Freiland-Ausbau am besten beschleunigen?
Bene Müller:
Der zentrale Flaschenhals ist die Kommunalpolitik. Nach derzeitiger Rechtslage muss für jeden Solarpark ein vorhabenbezogener Bebauungsplan erstellt werden. Das liegt immer in der Hoheit der Gemeinden. Das heißt, die zentrale Frage ist immer: Wie denken Bürgermeister und Gemeinderat darüber? Wir haben den Eindruck, dass hier ein Umdenken stattfindet und die Akzeptanz zunimmt. Viele Kommunalpolitiker anerkennen die Notwendigkeit des Klimaschutzes und sind bereit einen Beitrag zu leisten. Ziel sollte sein, dass in jeder Gemeinde ein Solarpark realisiert wird. Dann wären wir ein gutes Stück weiter.
solarcomplex AG – Singen am Hohentwiel
Die solarcomplex AG ist ein Bürgerunternehmen mit rund 1.200 Gesellschaftern und zählt zu den Pionieren der Energiewende in Baden-Württemberg. Ziel des Singener Unternehmens ist es, die Energieversorgung in der weiteren Bodenseeregion bis zum Jahr 2030 weitgehend auf erneuerbare Energien umzustellen. Solarcomplex plant, baut und betreibt Anlagen für die Strom- und Wärmebereitstellung. Dabei folgt das Unternehmen der Überzeugung, dass wir ein Zusammenspiel aller erneuerbaren Energien brauchen, um die Abkehr von fossiler und atomarer Energieversorgung zu bewältigen. 2006 realisierte das Unternehmen das erste Bioenergiedorf in Baden-Württemberg. Inzwischen betreibt solarcomplex rund 20 – und Jahr für Jahr werden es mehr. Seit 2002 wurden zudem mehr als 1.000 Solaranlagen auf Dächern realisiert, sowie 15 Solarparks unterschiedlicher Größe. Im Jahr 2020 setzte solarcomplex erstmals einen Solar-Zubau von mehr als 12 MW um. Die Windabteilung projektierte den ersten Windpark im Landkreis Konstanz und arbeitet derzeit am zweiten. Eine Übersicht über unsere Projekte gibt es auf: www.solarcomplex.de
Bene Müller (55) zählte im Jahr 2000 zu den Gründern von solarcomplex und ist heute einer von drei Vorständen der nicht-börsennotierten Aktiengesellschaft. Zusammen mit 40 Mitarbeitern treibt er die regionale Energiewende im deutschen Süden voran. Müller ist ein viel gefragter Experte beim Thema Erneuerbare Energien.