Sexualisierte Gewalt durch Geschwister

Sexualisierte Gewalt durch Geschwister
Das neue Team der Fachberatungsstelle Morgenrot (von links): Iris Gerster (Leitung), Nicole Schäfer (Beratung), Magdalena Hriny (Prävention) und Bettina Staudacher (Assistenz). (Bild: Caritas)

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Friedrichshafen – Innerfamiliäre sexualisierte Gewalt durch Geschwister ist bis heute ein nahezu unangetastetes Tabuthema in Deutschland. Doch auch die Fachberaterinnen von Morgenrot – Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Friedrichshafen werden immer wieder mit diesem Thema konfrontiert.

Sexualisierte Gewalt durch Geschwister werde in der Öffentlichkeit vielfach entweder bagatellisiert beziehungsweise verharmlost – beispielsweise als Doktorspiele –, oder auch dramatisiert, weil Erwachsene ihre eigene Sexualität in die Kinder projizieren, gibt Iris Gerster, Leiterin der Fachberatungsstelle Morgenrot, zu bedenken.

Digitaler Fachtag der Fachberatungsstelle Morgenrot mit Prof. Dr. Esther Klees

Aus diesem Grund habe sich das Team der Fachberatungsstelle dazu entschlossen, im Rahmen des Jahresprogramms zum fünfjährigen Bestehen von Morgenrot einen Fachtag „Sexualisierte Gewalt durch Geschwister“ zu initiieren – auch weil die erste Klientin, die vor fünf Jahren die Beratungsstelle aufsuchte, davon betroffen war. Als Fachreferentin konnte Prof. Dr. Esther Klees, Professorin für Soziale Arbeit an der IU Internationalen Hochschule, gewonnen werden.

Die Diplom-Sozialpädagogin und Autorin zahlreicher Fachliteratur war viele Jahre in verschiedenen ambulanten und teil- sowie vollstationären Betreuungssettings der Kinder- und Jugendhilfe tätig. Sie hat insbesondere traumatisierte Mädchen und Jungen – Opfer von Misshandlungen und Vernachlässigung – sowie gewaltbereite Jugendliche pädagogisch begleitet.

Rund 60 Teilnehmende aus der ganzen Region und darüber hinaus

Die große Resonanz an dem Online-Fachtag mit rund 60 Fachteilnehmenden aus der ganzen Region und sogar darüber hinaus habe gezeigt, dass das vielschichtige Thema interessiere, bewege und ernst genommen werde, so Iris Gerster. 

Sexualisierte Gewalt durch Geschwister sei eine der am stärksten tabuisierten Formen sexualisierter Gewalt, sagte Esther Klees. Dennoch gebe es noch immer keine tragfähigen Untersuchungen über das Ausmaß dieser Taten. Die Forschung in diesem Dunkelfeld sei sehr schwierig. Der Missbrauch bleibe oft viele Jahre unentdeckt, da die Eltern sich für das, was passiere, mitverantwortlich fühlten und sich aufgrund ihrer Scham- und Schuldgefühle an niemanden außerhalb der Familie wendeten.

Auch pädagogische Fachkräfte seien vielfach überfordert und bagatellisierten nicht selten Gewalt unter Kindern und deren Auswirkungen. Sexuelle Kontakte würden oft vorschnell als „Doktorspiele“ oder „Vater-Mutter-Kind-Spiele“ abgetan. Viele Fachkräfte seien unsicher und fühlten sich durch die Komplexität der Fälle überfordert. Untersuchungen hätten gezeigt, so Esther Klees weiter, dass ein großer Anteil der übergriffigen Kinder zuvor selbst Gewalt erlitten habe, oftmals durch ihre Väter oder Stiefväter.

In vielen Fällen bestehe die Gefahr, dass sich sexualisierte Gewalt durch Geschwister zu schweren Formen sexualisierter Gewalt und zu einer Chronifizierung des Tatverhaltens entwickle, warnte Esther Klees. „Die Folgen sexualisierter Gewalt durch Geschwister sind nicht geringer als die Folgen für Betroffene sexualisierter Gewalt durch Erwachsene“, betonte die Expertin. Es sei wichtig, die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren und mit einer offensiven Präventionsarbeit daraufhin zu wirken, dass Fälle von sexualisierter Gewalt durch Geschwister frühzeitig erkannt werden.

Die Online-Veranstaltung erhielt von den Teilnehmenden durchweg positive Rückmeldungen. Sie lobten nicht nur „den sehr interessanten und gut strukturierten Fachtag“, sondern bedankten sich auch für die „hilfreichen und wertvollen Vorträge“ der Referentin, für deren zielführende Informationen und Impulse aus Forschung und Praxis, für die Sensibilisierung für dieses wichtige Thema und den effektiven Gruppenaustausch. „Wir konnten viel für uns und unsere Arbeit mitnehmen.“

Infos zur Fachberatungsstelle Morgenrot: www.beratungsstelle-morgenrot.de

(Pressemitteilung: Barbara Müller/Morgenrot/Caritas)