Scholz: «In Europa droht wieder ein Krieg»

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Bundeskanzler Olaf Scholz spricht auf der Münchner Sicherheitskonferenz. (Bild: Tobias Hase/dpa)

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Die Ukraine-Krise dominiert die Münchner Sicherheitskonferenz: Der neue Bundeskanzler warnt Russland vor einem Krieg. Die US-Vizepräsidentin zeigt sich pessimistisch.

München (dpa) – Angesichts der besorgniserregenden Nachrichten aus der Ostukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz Russland eindringlich vor einem Angriff gewarnt und zu Verhandlungen aufgerufen.

«In Europa droht wieder ein Krieg», sagte der SPD-Politiker am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Der Anspruch müsse nun sein: «So viel Diplomatie wie möglich, ohne naiv zu sein.» US-Vizepräsidentin Kamala Harris äußerte sich kurz darauf allerdings pessimistisch. «Russland behauptet weiterhin, bereit für Gespräche zu sein, schränkt aber gleichzeitig die Möglichkeiten der Diplomatie ein», sagte sie. Das Handeln passe einfach nicht zu den Worten.

US-Präsident Joe Biden hatte zuvor in Washington gesagt, dass er einen baldigen Angriff auf die Ukraine – auch auf deren Hauptstadt Kiew – erwarte. «Wir haben Gründe zu glauben, dass das russische Militär plant und vorhat, die Ukraine in der kommenden Woche, in den kommenden Tagen, anzugreifen.»

Ostukraine als Kriegsauslöser?

Scholz ging in seiner Rede in München nicht auf die Äußerung ein und wurde in der anschließenden Diskussion auch nicht danach gefragt. Er betonte aber, dass Russland weiter genug Soldaten für einen Angriff an der Grenze zur Ukraine konzentriert habe.

Für Besorgnis sorgte am Samstag vor allem die Zuspitzung des Konflikts in der Ostukraine, wo sich bereits seit 2014 die Regierungsarmee und die von Russland unterstützten Separatisten gegenüberstehen. Im Westen wird befürchtet, dass Kremlchef Wladimir Putin die dortigen Kämpfe als einen Vorwand für einen Einmarsch in die Ukraine nutzen könnte, indem er behauptet, dass er die prorussische Bevölkerung in der Ostukraine schützen müsse.

US-Vizepräsidentin Harris sprach von einem «Drehbuch russischer Aggression». «Wir erhalten jetzt Berichte über offensichtliche Provokationen und wir sehen, wie Russland Falschinformationen, Lügen und Propaganda verbreitet», sagte sie. Der britische Premierminister Boris Johnson warf Moskau vor, ein «Spinnennetz an Falschinformationen» aufzubauen.

Warnungen der Nato

Nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gehören dazu auch Berichte über einen Rückzug russischer Streitkräfte aus dem Grenzgebiet zur Ukraine. «Trotz Moskaus Behauptungen haben wir bisher keine Anzeichen von Rückzug und Deeskalation gesehen. Im Gegenteil: Russlands Aufmarsch geht weiter», sagte er.

Scholz kritisierte in seiner Rede, dass Russland die Frage einer möglichen Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zum «casus belli» – zum Kriegsgrund – erhoben habe. «Das ist paradox: denn hierzu steht gar keine Entscheidung an», betonte Scholz. In «naher Zukunft» werde es nicht zu einem Nato-Beitritt der Ukraine kommen.

Bei Verhandlungen mit Russland müsse zwischen unhaltbaren Forderungen Russlands und legitimen Sicherheitsinteressen unterschieden werden. Für nicht verhandelbar erklärte Scholz das Recht auf freie Bündniswahl, also auch die prinzipielle Möglichkeit für die Ukraine, der Nato beizutreten. «Gleichzeitig gibt es Sicherheitsfragen, die für beide Seiten wichtig sind. Allen voran Transparenz bei Waffensystemen und Übungen, Mechanismen zur Risikovermeidung oder neue Ansätze zur Rüstungskontrolle.»

Selenskyj: Wollen eine diplomatische Lösung

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ruft auf der Konferenz zu mehr internationaler Unterstützung für sein Land auf. «Wir werden unser Land schützen, mit oder ohne Unterstützung unserer Partner», sagte er laut der offiziellen Übersetzung des Treffens.

«Die Ukraine sehnt sich nach Frieden, Europa sehnt sich nach Frieden. Die Welt sagt, dass sie keinen Krieg möchte, während Russland sagt, es möchte nicht eingreifen: Irgendjemand lügt hier. Das ist noch kein Axiom, aber es ist auch mehr als eine Hypothese», sagte Selenskyj.

Er beklagte, dass die internationale Sicherheitsarchitektur brüchig geworden sei und Regeln nicht mehr funktionierten. Selenskyj warnte davor, die Fehler des 20. Jahrhunderts komplett zu vergessen. «Wir werden unser Land verteidigen», sagte er laut Übersetzung. Aber: «Wir möchten eine diplomatische Lösung statt eines militärischen Konflikts.»

Baerbock: «Machen Sie diesen fatalen Fehler nicht»

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte Russland unterdessen nach einem Krisentreffen mit den Kollegen der anderen führenden demokratischen Wirtschaftsmächte eindringlich vor einem Angriff auf die Ukraine. «Machen Sie diesen fatalen Fehler nicht, ziehen Sie Ihre Truppen ab, wenden Sie Schaden von der Ukraine und von Russland ab und lassen Sie uns reden», sagte sie an die Adresse der Regierung in Moskau gerichtet. Noch sei «die Geschichte nicht geschrieben». Noch gebe es einen einfachen Ausweg, den die russische Regierung jederzeit beschließen könne.

«Es ist ein Irrweg, falls Russland glaubt, es könne seine eigene Sicherheit durch Unterwerfung anderer erhöhen. Das Gegenteil ist der Fall», erklärte die Grünen-Politikerin. «Eine erneute Verletzung der Souveränität der Ukraine hätte für Russland sehr schnell massivste Auswirkungen – wirtschaftlich, finanziell und politisch – strategisch und auch individuell für all diejenigen, die persönlich Verantwortung für diese Krise tragen.»

Zur aktuellen Situation sagte Baerbock: «Wir stehen, so unvorstellbar das klingen mag, vor der greifbaren Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung mitten in Europa.» Man wisse aber nicht, ob ein Angriff bereits beschlossene Sache sei.

Weiter keine Waffenlieferungen

Scholz bekräftigte seine Absage an Waffenlieferungen in die Ukraine. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Deutschland der größte Geber finanzieller Hilfen für die Ukraine sei und diese auch fortsetzen werde.

Beide Konfliktparteien rief Scholz auf, die Minsker Friedensvereinbarung für die zwischen prorussischen Separatisten und Regierungstruppen umkämpfte Ostukraine umzusetzen. «Natürlich mache ich mir keine Illusionen. Schnelle Erfolge sind nicht zu erwarten. Aber: Wir werden die Krisendynamik nur durchbrechen, wenn wir verhandeln.» Es gehe schließlich um nichts Geringeres als den Frieden in Europa.

Für den Fall eines Einmarsches in die Ukraine drohten Teilnehmer der Sicherheitskonferenz der russischen Führung erneut Vergeltung an. Die EU und ihre transatlantischen Partner arbeiteten weiter an einem robusten Paket finanzieller und wirtschaftlicher Sanktionen, auch in Sachen Energie und Spitzentechnologie, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. «Das riskante Denken des Kreml, das aus einem dunklen Gestern stammt, könnte Russland seine blühende Zukunft kosten.» Seine Politik bedeute in der Praxis, «Angst zu schüren und das Ganze als Sicherheitsbedenken zu tarnen» sowie «44 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainern zu verwehren, frei über ihre eigene Zukunft zu entscheiden».

EU beim Gas unabhängig?

Die EU selbst ist nach Angaben von der Leyens mittlerweile vollständig für den Fall eines Stopps von russischen Gaslieferungen gerüstet. «Heute kann ich Ihnen mitteilen, dass – selbst bei einer völligen Unterbrechung der Gasversorgung durch Russland – wir diesen Winter auf der sicheren Seite sind», sagte sie.

Neben der russischen Führung machte von der Leyen auch der chinesischen Führung Vorwürfe. Für beide stehe «das Recht des Stärkeren über der Rechtsstaatlichkeit, die Einschüchterung über der Selbstbestimmung, der Zwang über der Zusammenarbeit», sagte sie.

Chinas Außenminister Wang Yi unterstützte auf der Münchner Sicherheitskonferenz Appelle für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts und eine Rückkehr zum Minsker Abkommens zur Beilegung des Konflikts. «Warum können sich nicht alle Seiten zusammensetzen und detailliert Gespräche führen und einen Zeitplan erarbeiten, wie dieses Abkommen umgesetzt werden kann», sagte er am Samstag laut Übersetzung. «Das ist das, was alle Parteien tun sollten, worauf sie sich konzentrieren sollen – anstatt die Spannungen zu erhöhen, Panik zu schüren und vielleicht sogar noch das Risiko eines Krieges zu sensationalisieren.»