Scholz bei Putin in Moskau: Ringen um Abbau der Spannungen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verlässt bei seiner Ankunft in Moskau den Airbus A340 der Luftwaffe.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verlässt bei seiner Ankunft in Moskau den Airbus A340 der Luftwaffe. (Bild: Kay Nietfeld/dpa)

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Erst Kiew, jetzt Moskau: Der zweite Teil des Doppelbesuchs von Kanzler Scholz zur Ukraine-Krise ist eindeutig der schwierigere. Wie kommt der vorsichtige Kanzler mit dem Draufgänger Putin zurecht?

Moskau/Berlin (dpa) – Nach seinem Kurzbesuch in Kiew setzt Bundeskanzler Olaf Scholz seine Bemühungen um eine Entschärfung der Ukraine-Krise am Dienstag in Moskau fort.

Im Kreml trifft er Russlands Präsident Wladimir Putin erstmals zu einem Vier-Augen-Gespräch, für das mehrere Stunden angesetzt sind.

Formal handelt es sich um einen Antrittsbesuch des Kanzlers in einer Zeit, in der die deutsch-russischen Beziehungen auf dem Tiefpunkt sind. Die Ukraine-Krise dürfte bei dem Gespräch aber alle bilateralen Konflikte zwischen Berlin und Moskau überlagern.

Scholz hatte bereits bei seinem Besuch am Montag in Kiew erklärt, dass er bei Putin für eine Deeskalation in der Krise werben wolle. Der Aufmarsch von Zehntausenden russischen Soldaten entlang der ukrainischen Grenze sei «nicht nachvollziehbar», meinte der SPD-Politiker. Zugleich warnte er Russland erneut vor einem Überfall auf die Ukraine und betonte, dass die EU und die USA für diesen Fall harte Reaktionen vorbereitet hätten. 

Verantwortung liege «klar bei Russland»

Derweil bekräftigte Außenministerin Annalena Baerbock ihre Forderung nach einem russischen Truppenrückzug von den Grenzen der Ukraine. Die Verantwortung für eine Deeskalation liege «klar bei Russland», sagte sie vor ihrem Antrittsbesuch beim Nato-Partner Spanien. «An den Grenzen zur Ukraine steht durch den russischen Truppenaufmarsch im Moment das Schicksal eines ganzen Landes und seiner Bevölkerung auf dem Spiel. Die Situation ist äußerst gefährlich und kann jederzeit eskalieren», warnte die Ministerin.

US-Präsident Joe Biden hatte beim Antrittsbesuch des Kanzlers in Washington erklärt, dass das Aus für die Ostseepipeline Nord Stream 2 dazu gehören würde. Scholz nennt die Gasleitung dagegen nicht ausdrücklich als Sanktionsinstrument und spricht lediglich davon, dass «alle Optionen auf dem Tisch» seien. Den Pipeline-Namen Nord Stream 2 hat er seit Mitte Dezember öffentlich nicht mehr in den Mund genommen.

USA verlegen Botschaft von Kiew nach Lemberg

Die Reise des Bundeskanzlers findet vor dem Hintergrund von Spekulationen aus den USA über einen russischen Angriff auf die Ukraine möglicherweise noch in dieser Woche statt. Die Amerikaner kündigten am Montag an, angesichts der extrem angespannten Lage ihre Botschaftsgeschäfte von der ukrainischen Hauptstadt Kiew in die Stadt Lwiw (Lemberg) nahe der Grenze zu Polen zu verlegen. Es handele sich um eine vorübergehende Vorsichtsmaßnahme, teilte US-Außenminister Antony Blinken mit.

Deutschland hat wie die USA seine Staatsbürger zum Verlassen der Ukraine aufgerufen. Scholz sprach schon vor seiner Kiew-Reise von einer «sehr, sehr ernsten Bedrohung des Friedens in Europa». Russland hingegen betont immer wieder, keinen Angriff auf die Ukraine zu planen – und wirft den USA «antirussische Propaganda und Panikmache» vor. Moskau hatte zuletzt deutlich gemacht, weiter an Verhandlungen mit dem Westen interessiert zu sein, um die Krise zu lösen.

Putin will eine Debatte über eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa anstoßen. In einem Forderungskatalog an die Nato und an die USA verlangt er, dass der Westen juristisch verbindliche Garantien für Russlands Sicherheit ausstellt. Das heißt konkret unter anderem ein Verzicht auf Aufnahme der Ukraine in die Nato und ein Verzicht auf die Stationierung von Waffensystemen, darunter eine US-Raketenabwehr vor Russlands Grenzen.

Nato-Beitritt der Ukraine «nicht auf der Tagesordnung»

Die Nato lehnt einen Verzicht auf einen Nato-Beitritt der Ukraine aus prinzipiellen Gründen zwar ab. Scholz betonte in Kiew aber, dass eine Aufnahme der Ukraine in die Nato aktuell auch nicht anstehe. Es sei «schon etwas eigenwillig zu beobachten, dass die russische Regierung etwas, das praktisch nicht auf der Tagesordnung steht, zum Gegenstand großer politischer Problematiken macht», sagte er.

Putin, dessen Heimatstadt St. Petersburg eine Partnerschaft mit Hamburg hat, kennt Scholz noch als Bürgermeister der Hansemetropole. Dort begegneten sich die beiden, als Scholz 2017 die Organisation des von Krawallen überschatteten G20-Gipfels mit zu verantworten hatte. 2018 und 2019 trafen sie sich bei den G20-Gipfeln in Buenos Aires und Osaka wieder, aber ohne sich wirklich näher kennenzulernen.

Deutsch-russische Beziehungen auf dem Tiefpunkt

Als Kanzler steht Scholz nun vor einem schwierigen Wiedersehen mit dem Kremlchef in einer Zeit, da das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland gespannt ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr – auch ohne die Ukraine-Krise. Der Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok auf den Putin-Gegner Alexej Nawalny, der nach seiner Genesung in Deutschland in einem russischen Straflager inhaftiert wurde, vergiftet das Verhältnis beider Länder.

Als einen Schlag für die zivilgesellschaftlichen Beziehungen kritisiert die Bundesregierung auch die Schließung deutscher Nichtregierungsorganisationen in Russland. Deshalb ist auch der einst von Kanzler Gerhard Schröder und Putin ins Leben gerufene Petersburger Dialog eingefroren.

Deutsche Welle begleitet Scholz nach Moskau

Die Liste der Probleme ist so lang, dass ein Gespräch nicht ausreicht für deren Lösung. Noch einmal verschärft haben sich die Spannungen zuletzt durch das Arbeitsverbot für die Deutsche Welle in Russland. Eine Korrespondentin und ein Kameramann des Senders werden aber an der Scholz-Reise teilnehmen.

Ein besonderes Ärgernis vor allem auch der deutschen Wirtschaft, die in Russland Milliarden investiert, sind zudem die neuen medizinischen Zwangsuntersuchungen für alle Ausländer. Deutsche Manager und Investoren hatten sich entsetzt gezeigt über die erniedrigenden Medizinchecks und warnten vor einem Exodus hochqualifizierter Arbeitskräfte und einer Kapitalflucht aus Russland.