Richter und seine Webcam: Corona digitalisiert die Justiz

Richter und seine Webcam: Corona digitalisiert die Justiz
Eine Webcam. (Sven Hoppe/dpa/dpa-tmn/Symbolbild)

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Stuttgart (dpa/lsw) – Der Richter allein vor seiner Kamera, die Klägerbank leer, die Beklagtenbank verwaist – immer mehr Gerichte im Land verhandeln in Zeiten von Corona-Pandemie und Abstandsregeln per Webcam. Rund 1200 Richtern im Land stünde bereits Video-Software zur Verfügung, teilte Justizminister Guido Wolf (CDU) am Montag in Stuttgart mit. Die Corona-Krise beschleunige die digitale Entwicklung. Und Videoverhandlungen würden auch die Jahre nach Corona prägen, sagte Wolf.

Bundesweit setzen Gerichte in der Corona-Krise verstärkt auf Videotechnik. Der Vorteil: Kläger, Beklagte und Anwälte müssen nicht quer durch die Republik reisen, gerade für Risikopatienten ist das eine gute Alternative. Gesetzlich möglich sind Videoverhandlungen aufgrund des Paragrafen 128a der Zivilprozessordnung schon seit Jahren, genutzt wurde diese Möglichkeit bislang kaum. Vor Corona hätten Videoverhandlungen noch ein Nischendasein geführt, sagte Wolf. Aber in der Pandemie habe man die Gunst der Stunde erkannt und die Voraussetzungen in kürzester Zeit ausgebaut.

Vor allem an Arbeitsgerichten und in Zivilprozessen sorgte Corona in den vergangenen Monaten für einen Boom an Videoverhandlungen im Land. 50 Prozent der Güteverhandlungen am Arbeitsgericht Stuttgart werden schon jetzt per Videoverhandlungen durchgeführt. Kontakte müssten soweit wie möglich vermieden werden, der Justizbetrieb könne aber trotzdem nicht eingestellt werden, so der Justizminister. «Der Rechtsstaat muss auch in der Krise funktionieren.» Die Beschäftigten seien mit Laptops ausgestattet worden, auch das Homeoffice werde in der Justiz Teil des Arbeitsalltags bleiben. Bis Ende des Jahres würden alle Gerichte mit Wlan ausgestattet.

Strafprozesse per Webcam sind weiterhin nicht möglich. Für die Bild- und Tonübertragung einer strafrechtlichen Hauptverhandlung gibt es keine gesetzliche Regelung. Bislang sind Zeugenaussagen per Video nur in Ausnahmefällen möglich, etwa wenn dem Opfer eines Sexualdeliktes die persönliche Konfrontation mit dem Angeklagten im Gerichtssaal erspart werden soll. Angesichts der möglicherweise sehr tiefgreifenden Folgen einer strafrechtlichen Verurteilung hält es das Justizministerium auch künftig für erforderlich, dass sich das Gericht einen möglichst unmittelbaren, persönlichen Eindruck vom Angeklagten sowie den Zeugen in strafrechtlichen Hauptverhandlungen machen kann.

Ob eine Verhandlung im Videoformat durchgeführt wird, entscheidet der Richter. Ein rechtlicher Zwang zur Schalte für die Prozessbeteiligten besteht aber nicht, wer persönlich im Gerichtssaal erscheinen will, kann dies weiter tun. Nicht jede Gerichtsverhandlung eigne sich für eine Videokonferenz, etwa bei komplexen Zeugenvernehmungen und hochstreitigen Familiensachen, sagte Wolf.

Besonders Schlichtungsgespräche eigneten sich für Videoverhandlungen, sagte der Präsident des Arbeitsgerichts, Eberhard Natter. 80 Prozent der erstinstanzlichen und 40 Prozent der zweitinstanzlichen Richter dort seien bereits mit Videolizenzen ausgestattet worden. Videoverhandlungen würden auch nach der Pandemie eine große Rolle spielen, sagte Natterer. «Denn es ist eigentlich kaum vertretbar, einen Rechtsanwalt aus Hamburg für einen 20-minütigen Gütetermin nach Stuttgart zu laden, wenn dieser Termin genauso gut virtuell stattfinden kann.»

Am Landgericht Mannheim hätten bereits 31 von 33 Zivilrichter für die Durchführung ihrer Verhandlungen auf Webex-Konferenzen zurückgegriffen, sagte Richter am Landgericht Jens Gomm am Donnerstag. Er sprach von 30 Verhandlungen pro Woche. «Die Anlagen sind eigentlich ständig im Einsatz.» Man wäge aber bei jedem Fall sorgsam ab. Bei Zeugenbefragungen sei er etwa zurückhaltend. «Ich will nicht, dass sich irgendein Zeuge zwischen Tür und Angel mal schnell dazuschaltet.» Da gehe es um die Würde des Gerichts, den Zeugen müsse auch der Ernst der Lage klar sein. Aber er sagt auch: «Die Videoverhandlung ist gekommen um zu bleiben.»