Regionales Lebensmittelhandwerk grenzt sich von Fleischindustrie ab: „Das sind wir nicht“

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Symbolbild (Bild: www.amh-online.de)

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Handwerkskammer Ulm betont Qualität und Verbraucherschutz in regionalen Betrieben – Strukturen in der Region fördern statt verkomplizieren, kleine Betriebe dürfen nicht benachteiligt werden

Ulm – Das Handwerk verfolgt die aktuellen Geschehnisse in der industriellen Fleischindustrie und grenzt sich ab. Jüngstes Beispiel ist der Ulmer Schlachthof, der mit zahlreichen Corona-infizierten Beschäftigten als Hotspot gilt. In den regionalen, handwerklich geführten Metzgereien wird anders gearbeitet. Es herrschen grundsätzlich andere Arbeitsbedingungen als in vielen Industriebetrieben. Die Angestellten sind überwiegend ausgebildete Fachkräfte mit entsprechendem Fachwissen in Hygiene- und Qualitätsstandards.

Die Metzgereien in der Region sind größtenteils kleinere Betriebe mit bis zu 25 Mitarbeitern. Die Beschäftigten sind dual ausgebildete Fachkräfte und arbeiten in festen, oft langjährigen Anstellungsverhältnissen – ohne Werkverträge und Leiharbeiter. Diese gelernte Fachkraft besitzt das nötige Fachwissen über Ausbildung und gegebenenfalls Meisterstudium. Zum Führen einer Metzgerei ist der Meisterbrief im Fleischerhandwerk Voraussetzung. Er steht für Qualität, hochwertige Fleischverarbeitung und Verbraucherschutz – inklusive fachkundiger Beratung der Kunden. „Wir sorgen dafür: Ohne Meisterbrief und den Nachweis der Befähigung, mit Tieren umzugehen, lassen wir keinen Betrieb arbeiten“, so Dr. Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm. „Gegebenenfalls untersagen wir den Betrieb und lassen ihn sperren.“ Handwerksbetriebe kaufen und verkaufen vor Ort. Sie arbeiten mit kurzen Wegen: Tier, Futter, Schlachtung, Verarbeitung, Verkauf und Konsum sind regional. Die meisten Betriebe in der Region erbringen ihre Leistungen in einem Umkreis von 20 bis maximal 30 Kilometern zu ihrem Betriebsort. „All das zeigt: Handwerk ist anders als die Fleischindustrie. Damit wollen wir nicht verglichen werden“, sagt Mehlich. 

Dieses regional verankerte Fleischerhandwerk leidet hingegen stark unter den Vorschriften und Dokumentationspflichten. Die Politik versucht, darüber die Fleischindustrie zu regulieren. Es gibt aber keine oder zu wenige Ausnahmen für kleinere Fleischerbetriebe. So bringen etwa die Hygienestandards, die für die ungelernte Großindustrie mit ihren Helferstrukturen sinnvoll sein mögen, kleinere Betriebe unter hohen Investitionsdruck. Relativ gesehen bezahlen die kleineren Handwerksbetriebe mehr Gebühren und Abgaben als große Schlachtereien. „Das ist Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil der regionalen Metzgereien. Wer jetzt ordentlichen Tierschutz, Hygiene und gute Fleischqualität will, der darf die kleinen Metzgereien nicht gleichzeitig durch höhere Gebühren benachteiligen. Hier können auch unsere Landratsämter vor Ort ihren Beitrag leisten. Wir brauchen einen Anreiz und Vorteile für kleine Strukturen, nicht deren strukturierte Benachteiligung“, so Mehlich weiter.

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in anderen Gewerken: in der Lebensmittelindustrie leiden etwa auch Bäckereien und Konditoreien unter diesen Benachteiligungen. Die Handwerkskammer Ulm nimmt hier die Politik in die Pflicht. Auflagen für die Industrie dürfen nicht in gleichem Maße auch für die regionalen, kleineren Betriebe gelten. Hier gilt es vielmehr, die regionalen Strukturen und funktionierenden Kreisläufe zu stärken und zu fördern. In vielen Orten zwischen Ostalb und Bodensee gibt es heute keine lokalen Metzgereien mehr. So ist die Anzahl der Fleischerbetriebe im Gebiet der Handwerkskammer Ulm in den vergangenen zehn Jahren insgesamt um mehr als 100 Betriebe geschrumpft auf noch 390 Metzgereien. Davon haben 59 Betriebe ihren Sitz im Alb-Donau-Kreis, 50 im Landkreis Biberach, 42 im Bodenseekreis, 46 im Landkreis Heidenheim, 122 im Ostalbkreis, 59 im Landkreis Ravensburg und 12 im Stadtgebiet Ulm. Die Anzahl an Bäckereien ist im selben Zeitraum ebenfalls stark zurückgegangen: Von 365 im Jahr 2010 auf aktuell noch 265 Bäckerbetriebe im Kammergebiet. Im Landkreis Heidenheim gibt es derzeit noch 27 Bäckereien, 32 Betriebe befinden sich im Alb-Donau-Kreis, 13 im Stadtkreis Ulm, 44 im Landkreis Biberach, 64 im Ostalbkreis, 34 im Bodenseekreis und weitere 51 Bäckereien im Landkreis Ravensburg.