Love-Scamming: Wenn aus Liebe ein Berg Schulden wird

Visnja am Smartphone. Die Aulendorferin wurde Opfer von Liebesbetrügern - sogenannten Lovescammern.
Visnja am Smartphone. Die Aulendorferin wurde Opfer von Liebesbetrügern - sogenannten Lovescammern. (Bild: Wochenblatt Media)

Moderne Heiratsschwindler versprechen die große Liebe. Auf die warten ihre Opfer vergeblich. Denn statt der Liebe warten Betrug, ein gebrochenes Herz und ein unüberwindbarer Berg Schulden auf ihre Opfer. Visnja (46) aus Aulendorf ist eines dieser Opfer. Und obwohl sie die Täter sogar ausfindig gemacht hat, werden sie nicht zur Verantwortung gezogen.

Mehr als jede fünfte Beziehung beginnt heute virtuell. Mit einem Like, einem „Hey, schönes Bild!“ oder mit einem digitalen Anstupsen. Damit ist diese Art der Liebesanbahnung nach dem Kennenlernen über den Freundeskreis auf Platz zwei in Sachen „Liebe-fürs-Leben-finden“. Im März 2018 lernte auch Visnja ihre vermeintlich große Liebe im Internet kennen.

Trotz Misstrauen betrogen worden

Über Facebook wurde sie angeschrieben. „Lisa“ schrieb wundervolle Nachrichten, sah gut aus und schlich sich über die Wochen in Visnjas Herz. Sie nahm über kurze Zeit immer mehr Raum im Leben der Verkäuferin ein. Sie sorgte für Schmetterlinge im Bauch – bis sie zwei Monate später nach Geld fragte. Die Anfrage kam eher harmlos daher. Lisa hätte angeblich die Möglichkeit, günstig an einen tollen Oldtimer für Visnja heranzukommen. Sie solle doch bitte 15.800 Euro per Western Union überweisen. Das kam der Aulendorferin merkwürdig vor. Sie ließ sich nicht darauf ein und ließ sich eine normale Kontonummer für die Überweisung geben. Wenig später stellte sich heraus, dass Visnja das richtige Bauchgefühl hatte. Denn sie sah weder den Oldtimer noch etwas von Lisa. Geschweige denn von ihrem Geld.

Alles läuft toll. Bis die Betrüger das erste Mal Geld fordern. Für Flugtickets, Reparaturen...
Alles läuft toll. Bis die Betrüger das erste Mal Geld fordern. Für Flugtickets, Reparaturen… (Bild: picture alliance / Sebastian Gollnow/dpa | Sebastian Gollnow)

Von der Polizei ausgelacht

Sie ging sofort zur Polizei und erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Denn einen echten Namen hatte sie nicht. Doch auf der Wache lachte sie der diensthabende Polizist aus. „Die sagten, dass ich selber schuld bin, wenn ich auf so etwas hereinfalle“, berichtet Visnja bitter. Doch so leicht gab sie nicht auf. Die 46-jährige ist sehr gläubig. Sie schöpfte so viel Kraft aus diesem Glauben, dass sie sich auf eine lange, mühsame und teure Suche nach den Scammern machte. „Es geht mir schon gar nicht mehr ums Geld. Es geht einfach um Gerechtigkeit“, sagt Visnja.  

Uschi hilft Scamming-Opfern

Für den Kampf um Gerechtigkeit, holte Visnja sich Hilfe ins Boot. Sie kontaktierte Ursula Tschorn. Die Wolfsburgerin hat es sich zur Aufgabe gemacht, Opfern von Scamming zu helfen. Denn „Uschi“ weiß, wie es sich anfühlt, auf diese Art betrogen zu werden. Sie selbst fiel einem Scammer zum Opfer. Und obwohl sie immer skeptisch war, nie daran glaubte, bei diesem Menschen Liebe zu finden und sich auf nichts einließ, hatte sie durch ihren Scammer jede Menge Probleme am Hals. Am Ende sogar ein Verfahren, in dem sie der Geldwäsche beschuldigt wurde. Diese Erfahrung veranlasste Uschi dazu, Opfern dieser virtuellen Betrugsmasche beizustehen.

Aktuell kann sie sich vor Anfragen kaum retten. Auf die Frage hin, wer die Opfer der Scammer sind, antwortet Uschi: „Männer und Frauen sind gleichermaßen Opfer. Aber Frauen ticken anders. Die kommen häufiger auf mich zu.“ Und Uschi kümmert sich um sie. Sie geht mit ihnen zur Polizei, berät, informiert und manchmal fliegt sie mit ihnen sogar viele Tausende Kilometer, um den Scammern auf die Spur zu kommen. So wie im Fall von Visnja.

Trotz Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Privatdetektiv ist das Geld weg

Denn die nahm unglaubliche Anstrengungen in Kauf, um ihre Scammer zur Verantwortung zu ziehen. Sie engagierte einen Privatdetektiv, der in London fündig wurde. Hier saß ein Teil der organisierten Love-Scamming-Bande. Doch nicht nur dort. Denn die Betrüger sind weltweit vernetzt. Die Frauen reisten nach Wien und flogen zusammen nach Nigeria, um die Spur der „modernen Heiratsschwindler“ weiter zu verfolgen.

Visnja reiste quer durch die Weltgeschichte, um ihre Scammer ausfindig zu machen. Hier in London saß ein Teil der Bande.
Visnja reiste quer durch die Weltgeschichte, um ihre Scammer ausfindig zu machen. Hier in London saß ein Teil der Bande. (Bild: Privat)

Insgesamt investierte Visnja über 33.000 Euro in die Verfolgung der Kriminellen. In Wien stellte sie sogar ein Mitglied dieser Bande. Sie brachte sie aufs Polizeirevier, doch dort behauptete die Ertappte einfach, ihre Identität sei gestohlen worden. Sie wäre nicht diejenige, die geschrieben hätte. Zwar ihr Name und ihr Facebook-Konto, doch sie hätte nichts damit zu tun. Und genau DA liegt die Schwierigkeit bei solchen Fällen.

Beweise sind schwierig zu beschaffen

Die Ravensburger Opferanwältin Nicole Ferrari sagt: „Das Problem ist die Beweisbarkeit der Personenidentität. Es gibt zwar Gesetze aber es ist extrem schwierig den Nachweis zu führen.“

Rein rechtlich ist es Betrug, was die Liebesschwindler veranstalten. Betrug von der moralisch miesesten Sorte. Mit Gefühlen von Menschen zu spielen, ihnen Zuneigung vorzugaukeln, um sich die eigenen Taschen zu füllen, das ist ein Phänomen, das immer mehr aufkommt. Die klassischen Heiratsschwindler gab es schon immer. Dass es afrikanische, junge Männer gibt, die es auf das Geld alleinstehender älterer, deutscher, reicher Damen abgesehen haben, hat man auch schon mal gehört. Oder umgekehrt. Arme, extrem hübsche, meist osteuropäische junge Frauen, die von älteren deutschen Herren angeblich gerettet werden wollen. Das sind Klischees. Oder?

Immer mehr Fälle von Lovescamming

Sind sie nicht. Denn die Fallzahlen sprechen für die Zunahme dieser Art des Betruges. Und niemand ist davor gefeit. Denn die Betrüger werden immer professioneller. Da gibt es kein gebrochenes Deutsch und keine abgefahrenen Geschichten von angeblich geerbten Diamantenminen mehr. Die Betrüger werden immer besser, realer und spielen mit einem Urbedürfnis des Menschen. Geliebt zu werden. Das sagt auch Visnja: „Wir suchen doch alle nach Liebe. Und niemand sollte sich dafür schämen!“ Damit trifft sie natürlich einen Punkt. Denn viele Fälle gelangen gar nicht erst zur Anzeige. Dabei ist die unfassbar wichtig.

Liebe auf den ersten Klick. Scammer lullen ihre Opfer psychologisch raffiniert ein.
Liebe auf den ersten Klick. Scammer lullen ihre Opfer psychologisch raffiniert ein. (Bild: picture alliance / Bildagentur-online/Ohde | Bildagentur-online/Ohde)

„Machen Sie unbedingt eine Anzeige bei der Polizei!“

Uschi rät allen Betroffenen: „Jeder, der einem Scammer zum Opfer gefallen ist oder denkt, es mit einem Scammer zu tun zu haben, muss eine Anzeige machen. Dann hat man ein Aktenzeichen und mit dem schützt man sich selbst. Denn ein Scammer kommt immer wieder.“ Auch Anwalt Dr. Böttner aus Hamburg rät: „Obwohl die Chance die Hintermänner zu erwischen und das eigene Geld zurückzuerlangen gering ist, kann sich eine Strafanzeige bei der Polizei lohnen. In manchen Fällen gibt es nämlich doch verfolgbare Spuren. Zumindest erschwert man den Tätern dadurch das Finden neuer Opfer. Auch kann man sich gegebenenfalls vor eigenen Strafverfahren schützen.“

Ein Beispiel: In vielen Fällen haben die Betrüger jede Menge Infos von ihren Opfern. Namen, Adressen, oft auch Bankdaten. Mit diesen Informationen können sie im Namen der Geschädigten einkaufen. Das Geld geht von ihrem Konto ab, doch die Waren kommen niemals bei ihnen an. Um sich bei solchen Geschichten wehren zu können und sein Geld zurück zu fordern, braucht es den Nachweis, dass man Opfer eines Betruges geworden ist. Dabei ist so ein Aktenzeichen unerlässlich. Erstatten Sie Anzeige. Auch dann, wenn der Polizist oder die Polizisten Sie zunächst abwimmeln will.

Schlecht ausgebildete Polizisten und fehlende Gesetze

Uschi bemängelt genau diesen Punkt. „In Sachen Scam und Cyber Kriminalität gibt es kaum ausgebildete Polizisten. Wenn dir so etwas passiert und du an so einen unsensiblen Beamten gerätst, verlierst du den Glauben.“ Obendrauf kommt die schwierige Verfolgbarkeit dieser Straftaten. Vom Gesetz her ist es Betrug. Doch da die Betrüger in aller Herren Länder sitzen und Dank Google Translater auch jede Sprache „sprechen“ finden sie ihre Opfer überall. „Wenn der Verbrecher in Deutschland sitzt, kann die Polizei dem nachgehen. WENN der Beamte Lust hat“, schnaubt Uschi. Und bis es soweit ist, Gesetzmäßigkeiten geändert werden und die Täter besser belangt werden können, bleibt nur Aufklärung.

So schützen Sie sich vor Lovescamming

Falls Sie auch den Verdacht haben, mit einem Fall von Lovescamming zu tun zu haben, erstatten Sie Anzeige. Reden Sie mit Freunden und Familie über Ihre Liebschaft und seien Sie wachsam. Überweisen Sie niemals Geld an Menschen, die Sie noch nie gesehen haben. Werden Sie misstrauisch, wenn Ihr Gegenüber nur telefonisch oder schriftlich aber zum Beispiel nie per Video zu sprechen ist. Lovescamming kommt auf allen Plattformen vor. Aktuell groß in den Medien ist zum Beispiel die Reportage vom Tinder-Schwindler, der in ganz großem Stil, Frauen weltweit ins (finanzielle und emotionale) Unglück gestürzt hat. Doch die gibt’s auch auf Facebook, Insta, Lovoo …

Scammer sind auf allen möglichen Plattformen unterwegs. Doch auch auf Tinder, Lovoo und Co. treiben Kriminelle ihr Unwesen.
Scammer sind auf allen möglichen Plattformen unterwegs. Doch auch auf Tinder, Lovoo und Co. treiben Kriminelle ihr Unwesen. (Bild: picture alliance / NurPhoto | Jakub Porzycki)

Wenn Sie den Verdacht haben, dass Angehörige oder Freunde mittendrin stecken in einer Scamming-Geschichte, sprechen Sie mit Ihnen über Ihren Verdacht. Sie wollen ja niemandem das Glück vermiesen. Hier geht es ums Aufmerksam-Machen. Sie wollen nahestehende Menschen schließlich beschützen.

Doch bei all dem gesunden Misstrauen: Verlieren Sie nicht die Hoffnung. Denn wie Scamming-Opfer Visnja sagt: „Wir alle suchen nach Liebe und dafür sollte man sich auch nicht schämen.“ Und damit hat sie einfach recht.