Die Sparmaßnahmen der Bundesregierung zur Konsolidierung des Haushaltes sind äußerst umstritten. In besonderem Maße sind dabei die Landwirte betroffen. Mit diesem Themenbereich und aktuellen Umfragen konfrontierte das Wochenblatt die Bundestags-Abgeordneten Dr. Anja Reinalter (Bündnis90/Die Grünen), Josef Rief (CDU) und Martin Gerster (SPD). Rief beantwortete die gestellten Fragen, Reinalter und Gerster übersandten Statements.
Die Klatsche aus Karlsruhe für den Haushalt kam mit Ansage. Warum wird das Urteil noch immer (wahrheitswidrig), als d i e Ursache für die Haushaltsprobleme kommuniziert?
Josef Rief: Die Ampel versucht so den Schwarzen Peter für das Wirrwarr in der eigenen Koalition und die damit verbundenen Risiken für den Haushalt dem Bundesverfassungsgericht und der CDU/CSU zuzuschieben.
Reinalter: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat mich persönlich nicht großartig überrascht. Wir Grünen haben immer wieder Bedenken geäußert und Diskussionen zur Schuldenbremse angestoßen. Jetzt steht das Urteil und wir akzeptieren es selbstverständlich ohne Wenn und Aber.
Was ich nicht verstehen kann, ist die Schadenfreue, die die Opposition zumindest anfänglich gezeigt hat. Das fand ich völlig unangebracht. Denn es ist offensichtlich, dass sich viele Länder und Kommunen mit dem Urteil schwertun. Ich bin immer bereit für den Austausch und habe in den letzten Wochen viele Gespräche mit Kommunalpolitikern und Bürgermeistern aus dem Landkreis geführt. Alle, unabhängig vom Parteibuch, haben mir ihre Sorgen geschildert, die ich sehr gut nachvollziehen kann und ernst nehme.
Aber solange die Schuldenbremse nicht flexibler genutzt werden kann, wird es Kürzungen der Staatsausgaben geben müssen. Diese sind schmerzhaft und sicher nicht in allen Bereichen gerecht. Mir ist es wichtig, dass die Sparanstrengungen – so gut es geht – fair verteilt werden. Wir müssen auch auf starke Schultern setzen, die bisher überproportional von Steuererleichterungen profitiert haben. Keine Kürzungen hingegen darf es bei der Bildung geben. Das ist nach den letzten PISA-Ergebnissen offensichtlich.
Sieht man die Konsolidierungsvorschläge, stellt sich die Frage, ob die Landwirtschaft außerordentlich belastet werden soll. Ist das der richtige Weg?
Rief: Für die Landwirte ist es wie eine Steuererhöhung und ein großer finanzieller Verlust, wenn gleichzeitig die Vergünstigungen beim Agrardiesel fallen und für die Land- und Forstmaschinen eine Kfz-Steuer eingeführt wird. Zusammen wird die Branche mit einer Milliarde Euro jährlich zusätzlich belastet, ohne dass die Bauern das ausgleichen könnten. Ohnehin belastet die Erhöhung der CO2-Abgabe und die Erhöhung der LKW-Maut die Landwirtschaft weit überdurchschnittlich. Man wird auch künftig vom Pflügen bis zum Ernten auf Sprit angewiesen sein, Elektrofahrzeuge sind noch lange nicht serienreif. Zurück zum Pferdefuhrwerk ist nun wirklich keine Alternative für Deutschland. Wir konkurrieren auch auf unserem heimischen Markt mit europäischen Produkten. Folge der Mehrbelastungen wird sein, dass viele Höfe, auch besonders Bio-Höfe aufgeben müssen, die heimischen Produkte teurer werden und immer mehr Erzeugnisse aus dem EU-Ausland in den Supermärken zu finden sein werden.
Reinalter: In vielen Bereichen werden die Ausgaben gekürzt. Aber das darf nicht auf dem Rücken derer geschehen, die jeden Tag dafür sorgen, dass wir Essen auf dem Tisch haben. Ich verstehe den Unmut der Bäuerinnen und Bauern und die Sorgen um die Zukunft ihrer Betriebe. Wir werden die Bauern nicht im Stich lassen. Daher kämpfen wir auch für verbindliche und faire Milchpreise und gegen unfaire Handelspraktiken. Wir wollen, dass unsere Produkte, wie z.B. Äpfel, Fleisch, Käse oder die Milch aus der Region, weiterhin bezahlbar bleiben und die Bauern von ihrer Arbeit gut leben können.
Haben Sie Verständnis für die Sorgen der bäuerlichen Betriebe, die dadurch existenziell gefährdet werden?
Rief: Ich bin mit vielen Berufskollegen im ganzen Land in engem Kontakt, werde vielfach angesprochen. Ich habe vollstes Verständnis für die Sorgen. Als Verantwortlicher der Unionsfraktion für den Agrarhaushalt habe ich Bundesminister Özdemir bei jeder Gelegenheit davor gewarnt, weiter Politik auf Kosten der Bäuerinnen und Bauern zu machen. Diese Vorschläge, mit denen Herr Özdemir nichts zu tun haben will, bringen das bereits prall gefüllte Fass der Belastungen zum Überlaufen. Die Landwirtschaft hat im Gegensatz zu anderen Branchen ihre Klimaziele weit übererfüllt. Gleichzeitig kürzt die Ampel massiv auch bei CO2-mindernden Maschineninvestitionen.

Reinalter: Für die ausufernden Proteste habe ich allerding nur bedingt Verständnis. Denn radikalisierte Bauern helfen unserer Gesellschaft genau so wenig wie radikalisierte Klimaaktivisten. An dieser Stelle möchte ich gerne noch einen Appell loswerden: Lasst uns als Gesellschaft in diesen schwierigen Zeiten zusammenstehen und zusammenhalten. Das sage ich ausdrücklich an diejenigen, die jetzt denken, ein politischer Rechtsruck wäre eine Lösung und auch ganz offen an die Opposition. Denn eine Demokratie lebt auch von einer konstruktiven Opposition und nicht nur vom Gemotze.
Kaufen wir in Zukunft auch noch Lebensmittel, die überwiegend im Ausland zu beliebigen Standards produziert werden (Stichwort Abhängigkeiten)?
Rief: Das ist zu befürchten. Schon jetzt sehen wir, dass z.B. beim Schweinefleisch zunehmend mehr aus der EU kommt. Spitzenreiter ist momentan Spanien. Wir sollten uns gerade im Rahmen der Krisenfestigkeit über unseren Selbstversorgungsgrad Gedanken machen. Bei Schweinefleisch versorgt sich etwa Baden-Württemberg nur noch zu 40 Prozent selbst. Uns muss immer klar sein: Eine einseitige Verschärfung von Vorschriften und eine einseitige Belastung führen bei der Landwirtschaft immer zu Verlusten in der Wettbewerbsfähigkeit im Europäischen Binnenmarkt. Das bedeutet immer, dass mehr günstiger Produkte aus dem Ausland in den deutschen Einzelhandel kommen und heimische Produkte verdrängen.
Welche Auswirkungen werden die „Zumutungen“ auf die Wähler und deren Wahlverhalten haben?
Rief: Die Umfragen zeigen der Ampel, dass es so nicht weitergehen kann. Man kann auf Dauer nicht Politik gegen Adam Riese machen und jeden Monat die Menschen aufs Neue verunsichern und in der Zwischenzeit nur öffentlich streiten. Es ist nicht nur Parteienkonkurrenz, wenn man sagt, das ist die schlechteste Bundesregierung, die wir je hatten. Es werden an jeder Ecke gravierende handwerkliche Fehler gemacht. Das können wir uns, die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen nicht auf Dauer leisten.
Ist den etablierten Parteien bewusst, dass von diesen Irrungen und Wirrungen nur die politischen Kräfte am rechten und linken Rande profitieren?
Rief: Die Umfrage zeigen eindeutig, dass die Fehler der Ampel zuallererst bei den radikalen Parteien einzahlen. Sollte es zu Neuwahlen kommen, stehen wir bereit, den Menschen in unserem Land ein vernünftiges Angebot zu machen, das die Herausforderungen der Zukunft annimmt, ohne die Menschen zu verunsichern und unseren Wohlstand und unsere Art zu leben aufs Spiel zu setzen.
Reinalter: Wir müssen in Zukunft noch viel genauer überlegen, was notwendige Staatsausgaben sind: Schulen, Straßen und Stromtrassen brauchen wir und gleichzeitig soll Geld eingespart werden. Das wird nicht einfach. Deswegen appelliere ich an das Verantwortungsbewusstsein. Es ist jetzt leicht, auf die Regierung und die leider notwendigen Sparmaßnahmen verbal einzudreschen. Das Urteil aus Karlsruhe gilt aber für alle! Im Übrigen ebenso das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens, in dem der Klimaschutz zum verpflichtenden Staatsziel erklärt wurde.
Am Mittwoch wurde eine aktuelle RTL- Umfrage veröffentlicht. Danach sagen über 80 Prozent der Befragten, dass die Politiker in Berlin die Menschen nicht mehr verstehen. Bedrückt sie das, wollen Sie etwas ändern, oder machen Sie (die Politik) einfach so weiter?
Rief: Wir müssen alle daran arbeiten, unsere Politik besser zu kommunizieren. Es hilft nichts, wenn der Kanzler, der von sich sagt, dass er bestellte Führung auch liefere, wochenlang in Krisensituationen schweigt und von der Opposition aufgefordert werden muss, im Parlament eine Regierungserklärung abzugeben. In erster Linie muss die Regierung zuallererst gute Politik machen und dann auch gut erklären. Es hakt offensichtlich an beidem. Ich versuche, als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Biberach mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen und für Anliegen immer ansprechbar zu sein. Hier erfahre ich oft sehr direkt, wo der Schuh drückt, und erhalte gleichzeitig neue Impulse und auch Zuspruch für die Arbeit der CDU.
Änderungen beim Haushalt sind ungewiss

Der Bundestagsabgeordnete Martin Gerster (SPD) äußerte sich nicht detailliert zu den Fragen, sondern mit einem kurzen Statement: „Ich bin froh, dass sich die Regierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf einen gemeinsamen neuen Vorschlag für den Haushalt 2024 geeinigt hat. Am Ende entscheidet aber wie immer der Bundestag als Haushaltsgesetzgeber über das Budget. Wir Haushälter der Ampel werden uns im neuen Jahr intensiv damit auseinandersetzen. Ob und welche Änderungen es geben kann, kann ich derzeit noch nicht einschätzen.“