Pro und Contra Impfpflicht – Spott über Papiermangel-Warnung

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht im Bundestag zur Impfpflicht.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht im Bundestag zur Impfpflicht. (Bild: Michael Kappeler/dpa)

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Einschränkung von Rechten, Schutz von Kranken, Papiermangel – vor einer Entscheidung über die Impfpflicht prallen die Argumente aufeinander. Eine kuriose Warnung der Krankenkassen bietet Anlass für hämische Kommentare.

Berlin (dpa) – Die Argumente für und gegen die umstrittene Einführung einer Pflicht zur Corona-Impfung sind am Montag im Bundestag heftig aufeinandergeprallt.

In einer Anhörung zu den vorliegenden Entwürfen betonten Mediziner und Juristen, warum eine Impfpflicht aus ihrer Sicht nötig sei, um im Herbst neue Freiheitseinschränkungen und eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden. Andere Expertinnen und Experten wandten sich dagegen. Im April soll im Bundestag ohne Fraktionszwang über mehrere vorliegende Vorschläge abgestimmt werden. Spott zog der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung mit einer Warnung vor Papiermangel auf sich, der einer Impfpflicht in die Quere kommen könne.

In einer Stellungnahme für die Expertenanhörung hatte der GKV-Spitzenverband auf mögliche praktische Probleme einer Impfpflicht ab 18 hingewiesen – darunter auf einen Papiermangel in Europa. Die Kassen seien «keine Gesundheits- oder Ordnungsbehörden». Bis 15. Mai geplante Info-Schreiben an die Versicherten seien nicht zu erfüllen. «Des Weiteren herrscht in Europa ein akuter Papiermangel, und somit fehlt Material für die rund 120 Millionen Schreiben», so der Kassenverband.

Keine Impfpflicht wegen Papiermangels?

Unter dem Hashtag #Papiermangel wurde anschließend im Netz munter diskutiert. «Als Abgeordnete, die eine Impfpflicht ablehnt, könnte ich ja geneigt sein, froh darüber zu sein. Als Digitalpolitikerin ganz und gar nicht», schrieb etwa die Grünen-Politikerin Tabea Rößner bei Twitter. Auch andere machten sich über eine offenbar mangelnde Digitalisierung in Deutschland lustig oder gaben Tipps zur Papierbeschaffung. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums sagte, über einen akuten Papiermangel lägen ihm keine Erkenntnisse vor.

Der GKV-Spitzenverband veröffentlichte später eine Mitteilung und zitiert seine Vorsitzende Doris Pfeiffer: «Wir haben uns in unserer Stellungnahme an keiner Stelle gegen die Einführung einer Impfpflicht ausgesprochen.» Entsprechend äußerte sich Pfeiffer auch vor den Abgeordneten des Gesundheitsausschusses. Man habe lediglich auf zu erwartende praktische Schwierigkeiten hingewiesen.

Pro und Contra Impfpflicht aus Medizinersicht

Mehrere Virologen und Mediziner argumentierten in der Anhörung für eine Impfpflicht – und zwar bereits Monate vor einer möglichen weiteren Corona-Welle im Herbst. «Wenn man zu spät beginnt, dann läuft die Zeit davon», sagte die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk. «Drei Immunisierungen mit den in Deutschland zugelassenen Impfstoffen bieten einen lang anhaltenden Schutz vor schwerer Krankheit», betonte Falk.

Der Virologe Klaus Stöhr erwartet nach eigenen Worten nicht, dass sich die Krankheitslast im Herbst durch eine allgemeine Impfpflicht dramatisch reduzieren lasse. Konzentrieren müsse man sich auf jene Gruppen, bei denen die Impflücken am größten seien. Ferner stellte er fest, dass auch eine natürliche Immunität eine «robuste Immunität» sei.

Der Berliner Impfstoffforscher Leif Erik Sander räumte ein, dass es noch unsicher sei, mit welchen Virusvarianten Deutschland es im Herbst zu tun habe. Es sei aber davon auszugehen, dass es durch die verfügbaren Impfungen auch bei künftigen Varianten guten Schutz gebe. Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, wies darauf hin, dass Kinder in der Regel selbst nicht schwer an Covid erkranken. Aber es gebe «noch Millionen ungeimpfte Risikopatienten», die sich auch selbst impfen lassen könnten – bis dahin dienten die Kinderimpfungen vor allem ihrem Schutz.

Juristische Argumente für und gegen Impfpflicht

Als «schlichtweg zu schmal» bezeichnete der Jurist Robert Seegmüller die Begründungen für eine allgemeine Impfpflicht. Der Richter am Bundesverwaltungsgericht verwies auf die Unsicherheiten beim Szenario einer drohenden Überlastung des Gesundheitswesens und hinsichtlich künftiger Virusvarianten. Grundrechtseinschränkungen seien so nicht ausreichend begründbar. Der Münsteraner Jurist Hinnerk Wißmann verwies dagegen darauf, dass es ohne Impfpflicht im Herbst und Winter zu neuen Freiheitseinschränkungen durch Corona-Auflagen kommen dürfte. «Es gibt keinen Vorrang der Impffreiheit vor allem anderen Grundrechtseinschränkungen», betonte er.

Der Bielefeld Rechtsprofessor Franz C. Mayer verwies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Bundesnotbremse: Bei unsicherer Erkenntnislage habe der Gesetzgeber «erhebliche Spielräume». Wenig geeignet sei der Alternativ-Plan, bis Herbst zu warten und erst wenn dann nötig eine Impfpflicht greifen zu lassen. Der Entwurf für eine Impfpflicht ab 18 entspreche den verfassungsrechtlichen Anforderungen am besten, so Meyer.

Hohe Inzidenz – wenige Impfungen

1714,2 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche – so hoch war die aktuelle Inzidenz laut Robert Koch-Institut (RKI) am Montag. 92 314 Corona-Neuinfektionen und 13 Todesfälle gab es binnen eines Tages. Montags liegen die Werte in der Regel niedriger als unter der Woche. Knapp 9000 Impfdosen wurden am Sonntag im ganzen Land verabreicht. Mindestens 63,1 Millionen Menschen (75,8 Prozent der Gesamtbevölkerung) haben nun einen Grundschutz erhalten, für den meist zwei Spritzen notwendig sind. Mindestens 48,4 Millionen (58,2 Prozent) bekamen zusätzlich eine Auffrischungsimpfung. 19,5 Millionen (23,5 Prozent) sind bislang nicht geimpft, davon sind 4 Millionen bis vier Jahre und können noch nicht geimpft werden.

Rettungsschirm für Kliniken

Angesichts der weiterhin hohen Infektionszahlen will der Bund laufende finanzielle Unterstützung für die Krankenhäuser aufrechterhalten. Die Freihaltepauschale für bereitgehaltene Behandlungskapazitäten werde bis zum 18. April fortgeführt, kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland an. Die Versorgungspauschale als Zuschlag für die Behandlung von Covid-Patienten werde zunächst bis zum 30. Juni verlängert. So bekämen die Kliniken für jeden Patienten, der mit Corona länger als zwei Tage im Krankenhaus behandelt wird, einen Vergütungsaufschlag.