Sparkassen kündigen lukrative alte Prämiensparverträge. Das ist oft rechtswidrig. Jetzt urteilte der BGH: Sparern steht zudem ein oft vierstelliger Zinsnachschlag zu. Stiftung Warentest informiert:
Worum gehts?
Prämiensparverträge waren lange ein Sparkassen-Bestseller. Zusätzlich zum Zins erhält der Sparer eine jährliche Prämie, die mit der Laufzeit steigt. In Niedrigzinsphasen werden die Sparprämien für die Sparkassen zur Belastung. Sie kündigen deshalb die alten Prämiensparverträge. Doch das ist oft unzulässig
Kunden rechtswidrig benachteiligt
Jetzt urteilten die Richter am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe: Die Sparkassen haben ihre Kunden bei der Anpassung der Zinsen zudem rechtswidrig benachteiligt. Ihnen steht ein Nachschlag zu. Wie hoch der ausfällt, steht aber noch nicht fest. Das Oberlandesgericht Dresden muss jetzt klären, mit welchem Referenzzinssatz die Verträge nachzurechnen sind. Die Verbraucherzentrale (VZ) Sachsen klagte im Namen von rund 1 300 Sparern gegen die Sparkasse Leipzig. Immerhin: Es müsse ein Zinssatz für langfristige Geldanlagen sein, sagt Jürgen Ellenberger, Vorsitzender des für Bankrecht zuständigen XI. Zivilsenats des BGH. Das heißt: Der fällige Nachschlag für Prämiensparer dürfte regelmäßig vierstellig ausfallen.
Umstrittene Zinsanpassung
Nach dem neuen Urteil des Bundesgerichtshofs steht fest: Prämiensparer, deren Verträge nicht bereits 2017 oder früher endeten, erhalten einen Nachschlag. Die Sparkassen müssen die Verträge neu abrechnen und die ursprünglich vereinbarten Zinssätze fair anpassen. Dafür sind nach Ansicht der Bundesrichter Zahlen der Bundesbank zur Entwicklung der Zinsen für langfristige Geldanlagen in der Vergangenheit heranzuziehen. Die Sparkassen müssen die Zinsen genau so anpassen, wie sich nach den Zahlen der Bundesbank der Zins verändert hat. Die Zinsen wie früher nach „Gutsherrenart“ anzupassen, sei eine ungemessene Benachteiligung der Kunden und damit unwirksam, sagte Jürgen Ellenberger, Vize-Präsident des BGH während der Urteilsverkündung. Maßgebend ist das Verhältnis zwischen Startzinssatz und dem zu diesem Zeitpunkt gültigen Referenzzinssatz. Damit muss für jeden Monat der für den jeweiligen Vertrag faire Zinssatz neu errechnet werden. Die Folge: Fast allen Sparern steht ein vierstelliger Zinsnachschlag zu. Im Einzelfall sind sogar 10 000 Euro oder mehr drin. Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.10.2021
Aktenzeichen: XI ZR 234/20
„Das ist ein Paukenschlag und wichtiger Meilenstein für den Verbraucherschutz in Deutschland“, freute sich Andreas Eichhorst, Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen gleich nach der Urteilsverkündung. Vor zwei Jahren hatten er und sein Team die Klage erhoben. Inzwischen haben die Verbraucherschützer etliche weitere Sparkassen verklagt. Er erwartet, dass die Sparkassen sich jetzt daran machen, die fälligen Nachschläge auszurechnen und zu zahlen. „Sollte das Geld nicht zügig fließen, drohen tausende Individualklagen und weitere Maßnahmen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – bei aussichtsloser Rechtslage der Sparkasse. Die Verbraucherzentrale Sachsen wird die Betroffenen auch in diesem Fall unterstützen“, kündigte Verbraucherschützer Eichhorst an.
Bafin: Sparkassen müssen von sich aus informieren
Zuvor hatte schon eine Studie der Verbraucherzentrale (VZ) Baden-Württemberg gezeigt: Die Zinsberechnung vieler Sparkassen hält einer Überprüfung anhand der Kriterien der Gerichte nicht stand. Einzelheiten dazu im ausführlichen Bericht der VZ. Die Bafin hatte die Sparkassen in der Folge dazu gedrängt, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Als das nicht fruchtete, ordnete die Behörde an: Sparkassen müssen Kunden von sich aus darüber informieren, dass die Zinsanpassung unwirksam war und sie möglicherweise weniger Zinsen als angemessen gezahlt haben. Darüber hinaus sollen sie ihren Kunden Nachzahlungen zusichern.
Sparkassen wehren sich
Die 1 156 betroffenen Banken und Sparkassen haben inzwischen Widerspruch eingelegt. Folge: Sie müssen die Bafin-Anordnung erst einmal nicht befolgen. Letztlich werden die Verwaltungsgerichte entscheiden müssen. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil werden Jahre vergehen. Die Bafin empfiehlt Prämiensparern deshalb, ihre Ansprüche selbst zivilrechtlich geltend zu machen und sich nicht darauf zu verlassen, dass es der Behörde gelingt, die Geldinstitute zu Nachzahlungen zu zwingen.
Geld trotz Verjährung
Trotzdem kann die Allgemeinverfügung der Bafin noch Bedeutung bekommen, wenn die Verwaltungsgerichte die Prämiensparverfügung der Behörde am Ende bestätigen. Sparkassenkunden dürften nach Einschätzung der Stiftung Warentest auch dann Geld bekommen, wenn sie selbst nichts unternommen haben und ihre zivilrechtlichen Forderungen gegen das jeweilige Geldinstitut inzwischen verjährt sind.
Verjährungsfrist beachten
Erst wenn das Oberlandesgericht Dresden einen Referenzzinssatz festgelegt hat, lässt sich genau ausrechnen, wie viel Geld Sparern konkret noch zusteht. Aber Achtung: Ab der Kündigung des Prämiensparvertrags läuft die Verjährung. Sobald nach Ende des Jahres, in dem die Sparkasse den Vertrag gekündigt hat, drei Jahre vergangen sind, ist das Recht auf eine Zinsnachzahlung nicht mehr durchsetzbar. Die Verjährung können Ex-Prämiensparer stoppen, indem sie ihre Rechte zur Musterfeststellungsklage gegen ihre Sparkasse anmelden, sich beim Ombudsmann beschweren oder gerichtliche Schritte wie ein Mahn- oder Klageverfahren einleiten. Dazu sollten sie einen Rechtsanwalt mit Erfahrung auf diesem Gebiet einschalten (Diese Anwälte waren bereits erfolgreich).
Überprüfung lohnt sich oft
Die Verbraucherzentralen bieten Sparern eine Überprüfung an, ob die Verzinsung über all die Jahre korrekt war. Nach den bisherigen Erfahrungen lohnt sich so ein Check für Sparer oft. Zum Beispiel beträgt nach Auskunft der VZ Sachsen der durchschnittliche Anspruch bei den geprüften Fällen der Erzgebirgssparkasse aus Annaberg-Buchholz rund 6 000 Euro. Auch sonst waren die Nachzahlungen von Sparkassen meist um ein Vielfaches höher als die Kosten für die Überprüfung (85 Euro). Dabei rechnen die Verbraucherzentralen mit einem für Sparer recht günstigen Referenzzinssatz. Bisher hielten einzelne Gerichte das für überzeugend und bestätigten die Berechnungen. Abzuwarten bleibt, ob auch das Oberlandesgericht Dresden im Musterverfahren diesen verbraucherfreundliche Referenzzinssatz für richtig hält.
Musterfeststellungsklagen gegen Sparkassen
Mehrere Klagen anhängig. Die Verbraucherzentrale Sachsen hat außer gegen die Sparkasse Leipzig auch Musterfeststellungsklagen gegen die Erzgebirgssparkasse, die Sparkasse Zwickau, die Sparkasse Vogtland und die Saalesparkasse erhoben. Der Verbraucherzentrale-Bundesverband (vzbv) hat zudem die Sparkassen Nürnberg und München verklagt.
Ansprüche nicht verjährt. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs steht fest: Ansprüche der Verbraucher sind in aller Regel noch nicht verjährt. Damit haben Prämiensparer Anspruch auf die Nachzahlung entgangener Zinsen für die gesamte Vertragslaufzeit. Erst drei Jahre nach Ende des Jahres, in dem der Sparvertrag endete, tritt Verjährung ein.
Zinsberechnung unklar. Gerichtlich immer noch nicht geklärt ist allerdings, mit welchem Referenzzinssatz die faire Anpassung der Zinsen vorzunehmen ist. Davon hängt ab, wie viel Geld Sparer noch bekommen müssen. Details in unserem Special Musterfeststellungsklage.
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