Bregenz, Ravensburg, Friedrichshafen PKW-freie Innenstädte: Welche Vorteile sie bringen und woran die Umsetzung noch scheitert

PKW-freie Innenstädte: Welche Vorteile sie bringen und woran die Umsetzung noch scheitert
Mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger. Gar nicht so leicht umzusetzen für die Städte. (Bild: picture alliance / Rainer Keuenhof | Rainer Keuenhof)

WOCHENBLATT
WOCHENBLATT

Was vor zwanzig Jahren noch undenkbar war, wird heute von vielen Menschen gefordert: eine autofreie Innenstadt. Viele Städte unserer Region bemühen sich redlich um Innenstädte, die weitestgehend den Fußgängern vorbehalten sein sollen. Doch noch lässt sich das Vorhaben für Klimaschutz und mehr Lebensqualität nicht überall durchsetzen. Das sind die Gründe.

Verschiedenste Bürgerinitiativen und Demonstrationen fordern eine Reduzierung oder gar ein Verbot des privaten Autoverkehrs in Innenstädten. Zu hoch sind nicht nur die Auswirkungen auf die Luftqualität, sondern auch die Unfallgefahr und der Lärmpegel. Doch gute Alternativen gibt es vielerorts noch nicht, sodass die autofreie Innenstadt zunächst eine Illusion bleibt.

Elektromobilität: Stellt sie die Zukunft für die Innenstadt dar?

Mehrere große Automobilhersteller haben bereits angekündigt, keine Verbrennungsmotoren mehr zu produzieren. Die Schlussfolgerung ist logisch: In Zukunft wird es immer mehr Elektroautos geben. Schon jetzt sieht man sie überall. In Friedrichshafen zum Beispiel, setzt auch die Stadtverwaltung auf Elektromobilität. In einem Land, in dem die Bevölkerung so stark auf die schwankenden Spritpreise reagiert wie in Deutschland, kommt das den Städten zugute: Das Angebot, den Antrieb für das Auto nicht mehr selbst bezahlen zu müssen, würde die Attraktivität von Elektroautos für die Deutschen deutlich steigern.

Um ein solches Angebot realisieren zu können, benötigen Städte mehr Lademöglichkeiten. Berlin hat sich diesem Problem bereits angekommen und wartet mit immer mehr sogenannten Charge Hubs auf, an denen Elektroautos in möglichst kurzer Zeit auf 80 Prozent aufgeladen werden können. Doch auch außerhalb der Hauptstadt bemühen sich die Städte und Gemeinden um Ladesäulen. Kressbronn ist nur ein Beispiel aus unserer Region. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass sich auch Arbeitgeber um mehr Elektro-Lösungen bemühen und Ladestationen auf den Firmenparkplätzen anbieten werden.

Mehr (kostenlose) Lademöglichkeiten für Elektroautos würden die Mobilitätswende voran treiben. (Bild: Pixabay)
Mehr (kostenlose) Lademöglichkeiten für Elektroautos würden die Mobilitätswende voran treiben. (Bild: Pixabay)

Und auch die Städte selbst werden sich in Zukunft wohl immer mehr für Elektroautos interessieren. Immerhin stehen sie unter dem hohen Druck, nicht nur die Abgase und den Feinstaub, sondern auch den innerstädtischen Lärmpegel so stark zu senken wie möglich. Beispielsweise haben schon heute einige städtische Verkehrsunternehmen und Müllabfuhren E-Fahrzeuge getestet. So wie auch die Stadtwerke Sigmaringen.

Abzuwarten bleiben mögliche Veränderungen im Elektromobilitätsgesetz. Dieses wird zurzeit noch von vielen E-Fahrern kritisiert, denn es erlaubt jeder Kommune, eigene Sonderregelungen für E-Fahrzeuge anzubieten. Zu diesen Vorteilen zählen beispielsweise kostenloses Parken auf öffentlichen Plätzen, eigens für Elektroautos fahrgegebene Spuren oder das Mitbenutzen von Busspuren. Generell spielt der Aspekt der nachhaltigen Parkraumgestaltung bei der Planung von Kommunen und Städten eine immer größerer Rolle. Doch durch die Entscheidungsfreiheit der einzelnen Kommunen kann an einem Ort verboten sein, was an einem anderen noch einen angenehmen Vorteil darstellte. Sollten sich an diesem Punkt Vereinfachungen ergeben, steht der Zukunft der Elektroautos kaum noch etwas im Weg.

Wenn Elektroautos nicht genug sind

Doch die Elektromobilität allein reicht nicht aus, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Der Entwurf des Klimaschutz-Sofortprogramms der deutschen Bundesregierung lässt durchblicken, dass der Verkehrssektor stark hinter dem Ziel zurückliegt: Die durch den Verkehr entstandenen Treibhausgase sanken im Jahr 2020 zwar von 164 Millionen auf 146 Millionen Tonnen ab. Verantwortlich dafür war vermutlich die Corona-Pandemie. Doch bereits im Folgejahr stiegen die Emissionen wieder um zwei Millionen Tonnen – eine ernüchternde Bilanz, die zeigt, dass es noch deutlich Luft nach oben gibt.

Autofreie Innenstädte werden von vielen Menschen gefordert.
Autofreie Innenstädte werden von vielen Menschen gefordert.
(Bild: picture alliance / Rainer Keuenhof | Rainer Keuenhof)

Das ist auch der Volksinitiative „Berlin autofrei“ aufgefallen, die daher ein weitgehendes Autoverbot in der Berliner Innenstadt forderte. Ausnahmen sollte es aber innerhalb des S-Bahn-Rings unter anderem für Lieferfahrzeuge, Busse, die Müllabfuhr, Taxen, Rettungskräfte, Polizisten und mobilitätseingeschränkte Personen geben. Auch Schichtarbeiter könnten unter bestimmten Voraussetzungen Sondergenehmigungen erhalten. Der Vorschlag wurde vom Berliner Senat als nicht verfassungskonform eingestuft: Im Grundgesetz sei eine allgemeine Handlungsfreiheit der Bürger verankert, welche durch das vorgeschlagene Gesetz unverhältnismäßig beschränkt würde. Doch damit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Aktuell liegt die Entscheidung zu diesem Volksbegehren beim Berliner Verfassungsgerichtshof. Diesem obliegt jetzt die Entscheidung über den Fortgang des Gesetzentwurfes und damit auch ein Urteil darüber, ob dieser nun gesetzeskonform ist, oder nicht.

Die autofreie Stadt ist nicht für jeden geeignet

Auch wenn diese Ablehnung auf viel Protest stieß, hatte sie ihre Gründe. Schwierig ist der Gedanke an eine autofreie Innenstadt beispielsweise für Ältere und Kranke, die Wege nicht zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigen können. Doch auch Familien mit Kindern wären betroffen: Die Tagesabläufe berufstätiger Eltern, die zwischendurch noch Schulen, Kindergärten und das Fußballtraining anfahren müssen, sind oftmals nur mit dem Auto organisierbar.

Große Ängste hegen zudem Schwerbehinderte, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Wichtige Facharztbesuche wären im Falle eines Autoverbots nur noch schwer durchführbar, denn trotz aller Bemühungen sind viele öffentliche Verkehrsmittel noch nicht barrierefrei. Hürden bestehen an dieser Stelle nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für psychisch Kranke, für die der öffentliche Nahverkehr schlicht und einfach reizüberflutend ist. Doch es gibt Konzepte für autofreie Innenstädte, die genau diese Bevölkerungsgruppen mit berücksichtigen. In Bregenz gibt es für eingeschränkte Personen Ausnahmeregelungen.

Die Regelungen in den autofreien Innenstädten sind unterschiedlich. Städte entscheiden selbst, was erlaubt ist. Und was nicht. (Bild: Wilfried Vögel)
Die Regelungen in den autofreien Innenstädten sind unterschiedlich. Städte entscheiden selbst, was erlaubt ist. Und was nicht. (Bild: Wilfried Vögel)

Doch auch gesunde, junge und kinderlose Menschen könnten unter der autofreien Innenstadt leiden. Wer aus einem Dorf oder einer bergigen Gegend stammt, muss sich für das Einkaufen entweder auf einen zwei Mal am Tag fahrenden Bus verlassen oder 250 Höhenmeter mit einem schwer beladenen Fahrrad überwinden. Da dies für die meisten Menschen inakzeptabel ist, würden sie die Innenstädte schlicht und einfach nicht mehr besuchen und stattdessen online einkaufen. Das zumindest ist die Befürchtung vieler Einzelhändler in ländlich gelegenen Städten. Auch in Ravensburg war das ein großes Diskussionsthema, als es um die Neugestaltung des Gespinstmarktes ging.

Dass der Einzelhandel tatsächlich darunter leiden könnte, zeigte sich bereits an einem Pilotprojekt in Bielefeld, das die Altstadt neun Monate lang zur autofreien Zone gemacht wurde. Schnell zeigte sich, dass der Einzelhandel weniger Kunden beklagte – ausgerechnet in der Pandemie, die kleinere Geschäfte ohnehin schon auslaugte. Sollten Firmen und Geschäfte nicht mehr mit Autos anfahrbar sein, müssten einige von ihnen ihren Sitz in andere Gegenden verlegen oder Umsatzeinbußen akzeptieren, die wirtschaftlich nicht tragbar wären.

Angebote statt Verbote: Menschen müssen überzeugt werden

Ob Verbote, wie sie von der Initiative „Berlin autofrei“ gefordert werden, tatsächlich zielführend sind, bleibt dementsprechend fraglich. Zu viele Punkte sprechen in den Augen der meisten Menschen gegen den öffentlichen Nahverkehr und für das eigene Auto. Doch für eine Mobilitätswende ist die Bereitschaft der Bevölkerung, etwas zu verändern, von größter Wichtigkeit.

Auf Einschränkungen reagieren die wenigsten Menschen positiv – immerhin möchte sich niemand etwas wegnehmen lassen. Effektiver könnte es daher sein, der Bevölkerung neue Anreize zu bieten. Stellt sich beispielsweise heraus, dass ein ÖPNV-Tagesticket für Familien günstiger ist als die Parkgebühr in der Innenstadt, könnte es passieren, dass die ein oder andere Familie schon bald lieber die S-Bahn nimmt.

Werden öffentliche Verkehrsmittel günstiger als Parkgebühren, würden mehr Menschen ihren PKW stehen lassen. So zumindest die Theorie.
Werden öffentliche Verkehrsmittel günstiger als Parkgebühren, würden mehr Menschen ihren PKW stehen lassen. So zumindest die Theorie. (Bild: picture alliance/dpa | Monika Skolimowska)

Fest steht: Noch sind autofreie Innenstädte ein recht einseitiges Konzept. Um die Masse an Autos in der Innenstadt zu reduzieren, müssen öffentliche Verkehrsmittel und -wege für die Menschen attraktiver werden. Der öffentliche Nahverkehr muss zuverlässig fahren und durch mehr Fahrzeuge gestärkt werden, damit Busse und Bahnen nicht mehr überfüllt sind. Für Radfahrer muss es sichere, durchgängige Wege und ausreichend Fahrradständer geben. Zuletzt müssen Übergänge barrierefrei und sicher werden, damit sich auch Behinderte, Senioren und Menschen mit Kinderwagen trauen, die Straße zu Fuß zu überqueren.

Vier Ideen, die bereits Realität sind

Ganz Europa setzt sich länderübergreifend mit der Zukunft der Mobilität und der Suche nach passenden Lösungen auseinander. Einige Städte haben bereits Konzepte realisiert, die zur Reduzierung des Autoverkehrs in Städten oder der Gleichberechtigung anderer Verkehrsmittel beitragen sollen.

  • Oslo konzentriert sich auf die Umwandlung von Parkplätzen zu Grünflächen oder Wohnraum, um die Lebensqualität der Einwohner zu erhöhen. Diese Maßnahme gründet sich auf die Erkenntnis, dass privat genutzte PKW 96 Prozent der Zeit stehen, statt fahren. Die neue Strategie konnte die Autonutzung in der Osloer Innenstadt um 19 Prozent reduzieren.

  • In Österreich und der Schweiz sind Shared Spaces (Begegnungszonen) bereits zur Normalität geworden. Hierbei handelt es sich um öffentliche Zonen ohne Verkehrsschilder und Ampeln, der von Kraftfahrzeugen, Fahrrädern und Fußgängern gleichberechtigt genutzt werden darf. Verständigen sollen sich die Verkehrsteilnehmer dabei beispielsweise per Blickkontakt. Österreich und die Schweiz haben für ihre Shared Spaces 20 km/h als Höchstgeschwindigkeit festgelegt. In der Schweiz gibt es zudem den Vortritt für Fußgänger, wodurch diese länger in der Innenstadt verweilen. Das tut wiederum den Geschäften gut.

  • Zwei niederländische Städte haben auf Ausgleich statt Verbot gesetzt. In Rotterdam wurden bei einem Pilotprojekt Parkgebühren für den Arbeitsplatz eingeführt. Wer diese nicht zahlen wollte, erhielt stattdessen Bargeld, das für den öffentlichen Nahverkehr genutzt werden konnte. Utrecht hingegen verteilte kostenlose Fahrscheine an die Angestellten teilnehmender Unternehmen, weiterhin gab es einen Shuttlebus, der die Arbeitsplätze anfuhr. Die Folgen waren weitreichend: In Rotterdam nutzten 20 bis 25 Prozent der Mitarbeiter das Angebot, Utrecht verzeichnete 37 Prozent weniger Autopendler als zuvor.

  • Zuletzt verlangt London bereits seit 2003 eine sogenannte City-Maut, also eine Gebühr, die für den innerstädtischen Autoverkehr gezahlt werden muss. Bereits im ersten Jahr nach der Einführung verzeichnete die Stadt 18 Prozent weniger Fahrzeuge im mautpflichtigen Gebiet. Ein Großteil der Einnahmen aus der Maut werden anschließend in den ÖPNV investiert, um zeitgleich dessen Attraktivität zu steigern.