Nobel-Matinee bietet spannende Einblicke in die Arbeit der Nobelpreisträger

Gräfin Bettina Bernadotte, Präsidentin des Kuratoriums für die Tagungen, in Lindau.
Gräfin Bettina Bernadotte, Präsidentin des Kuratoriums für die Tagungen, in Lindau. (Bild: picture alliance / dpa | Felix Kästle)

Seit 2011 laden das Kuratorium und die Stiftung Lindauer Nobelpreisträgertagungen Lindauer Bürger und Bürgerinnen zu einer Matinee ein. Es ist mittlerweile Tradition geworden, dass zu Beginn eines jeden (Tagungs-)Jahres die im vergangenen Jahr vergebenen Nobelpreise vorgestellt werden. Um die Zeit zwischen der Preisverleihung im Dezember und der nächsten Nobelpreisträgertagung im Sommer zu verkürzen, soll, so die Intension der Veranstalter, bereits im Januar der Geist der Laureaten in der Inselstadt spürbar sein.

Forschungsarbeit von Preisträgern 2022 erklärt

Bei der Lindauer Matinee 2023 haben vier fachkundige Referenten bzw. eine Referentin in der Lindauer Inselhalle in möglichst anschaulichen und unterhaltsamen Kurzvorträgen die Forschungsarbeit der Laureaten aus dem Jahr 2022 erklärt.

In Zusammenarbeit mit der Leitung der Tagungen, mit ehemaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern und dem wissenschaftlichen Nachwuchs stand auch dieses Mal die Erklärung der gesellschaftlichen Relevanz und die wegweisenden Entdeckungen der jeweiligen Fachbereiche im Mittelpunkt. Kein einfaches Unterfangen, wie sich an diesem späten Sonntagvormittag rasch zeigte.

Heuer stand die Arbeit der frisch gebackenen Nobelpreisträger aus den Bereichen Chemie, Physik, Medizin und Wirtschaftswissenschaften auf dem Programm.

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Nikolaus Turner, Mitglied der Vorstände von Kuratorium und Stiftung der Lindauer Nobelpreisträgertagungen begrüßte die rund 200 Gäste, unter ihnen auch Lindaus Ehrenbürgerin Anneliese Spangehl und Oberbürgermeisterin Dr. Claudia Alfons.

72. Lindauer Nobelpreisträgertagung findet Ende Mai statt

Turner gab einen kleinen Ausblick auf die diesjährige Tagung, die der Medizin gewidmet ist. Es handelt sich um die 72. Tagung in Lindau, die seit 1951 einen festen Platz in der Inselstadt hat. Sie findet vom 25. bis zum 30. Juni in Lindau statt. 40 Laureaten, so Turner, hätten ihr Kommen bereits fest zugesagt. Unter ihnen auch ein ehemaliger Teilnehmer der Tagung, Morten Meldal. Er ist ein 1954 geborener, dänischer Chemiker. Im Jahr 2022 wurde ihm gemeinsam mit Carolyn Bertozzi und K. Barry Sharpless der Nobelpreis für Chemie zuerkannt. Meldal war bereits 1986 als Nachwuchswissenschaftler bei der Lindauer Tagung dabei.

Gräfin Bettina Bernadotte: „Lindau ist ein „gutes Pflaster“ für Wissenschaftler aus aller Welt“
Gräfin Bettina Bernadotte: „Lindau ist ein „gutes Pflaster“ für Wissenschaftler aus aller Welt“ (Bild: picture alliance / dpa | Felix Kästle)

Das veranlasste Gräfin Bettina Bernadotte in ihrem Grußwort zur launigen Bemerkung, dass eine Teilnahme an der Lindauer Tagung wohl kein schlechtes Zeugnis bedeute. Sie verwies auf die vielen Teilnehmer aus aller Welt, die die Tagungen verfolgten. Sie seien Zeugnis für die Offenheit, Vielfalt und Neugierde und bekundeten damit Zuversicht und Dynamik, die von der Lindauer Nobelpreisträgertagung ausgehe.

Moderiert wurde die Matinee in bewährter Manier von Dr. Hendrik Groth.

Schon beim ersten Vortrag wurde deutlich, dass es schwierig ist, die Arbeit eines Nobelpreisträgers in knapp 20 Minuten einem zwar interessierten aber nur in Einzelfällen wirklich fachkundigen Publikum zu vermitteln.

Professor Dr. Heiner Linke, selbst Mitglied des Kuratoriums und wissenschaftlicher Leiter der Lindauer Tagungen sowie  Mitglied des Komitees zur Vergabe des Chemie-Nobelpreises gelang es, trotz der trockenen Materie, die erfolgreiche Arbeit der Preisträger des Vorjahres im Bereich der Chemie, Carolyn R. Bertozzi, Morten Meldal und Barry Sharpless zu erläutern.

„Click-Chemie“ soll chemische Prozesse vereinfachen

Mit einem verständlichen Beispiel fand er einen eleganten Einstieg, die Gäste in seinen Bann zu ziehen. Er verglich die Arbeiten im Bereich der Chemie mit dem Bau eines Stuhles. Wurde der Stuhl früher mit Holzverbindungen nur unter Verwendung von Spezialwerkzeug gebaut, brachte die Erfindung der Schraube ganz neue Möglichkeiten. War einst herausragendes handwerklich Können notwendig, geling dieses Unterfangen dann mittels der Schrauben heutzutage nahezu jedem und wurde vereinfacht.

So sei es den Geehrten ihrerseits gelungen, vielfältige chemische Prozesse zu vereinfachen. Mittels der sogenannten „Click-Chemie“ sei es nunmehr möglich, molekulare Bausteine schneller und effektiver zu verbinden. Dies komme u.a. bei der Entwicklung neuer Medikamente zum Tragen. Als Beispiel nannte er die Chemotherapie bei der Behandlung von Tumoren. Mittels der neuen Technik werde es künftig möglich sein, Tumorzellen gezielter und mit weniger Nebenwirkungen anzugreifen und gesundes Gewebe zu schonen. Das Verfahren befinde sich allerdings erst noch in der klinischen Erprobung.

Erklärgrafik: "Chemie-Nobelpreis: Click-Chemie und bioorthogonale Chemie".
Erklärgrafik: „Chemie-Nobelpreis: Click-Chemie und bioorthogonale Chemie“. (Bild: picture alliance/dpa/dpa Grafik | dpa-infografik GmbH)

Banken sind unverzichtbar aber auch anfällig

Verständlich wurde es auch, als Dr. Alexander Gruber, Anlageberater und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen, die Vorgehensweise der Nobelpreisträger der Schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel, Ben S. Bernanke, Douglas W. Diamond und Philip H. Dybvig erklärte.

Im Prinzip geht es dabei um die Bedeutung und unverzichtbare Arbeitsweise von Banken bzw. staatlicher Regulierungsmaßnahmen. Gruber gelang es, die grundlegenden Handlungsszenarien in der Bankenwelt zu verdeutlichen. Hier genüge oft schon ein in die Welt gesetztes Gerücht und die Sparer würden in großem Umfang ihre Anlagen zurückholen wollen. Auf der anderen Seite gelänge es den Banken dann nicht ebenso rasch, die an die Wirtschaft langfristig ausgeliehenen Finanzmittel wieder zurückzuholen. Die Folge sei, wie in der Vergangenheit zum Beispiel der Zusammenbruch der „Lehmann Bank“ zeigte, eine nachfolgende Insolvenz mit katastrophalen Folgen. So sei auch die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren zu erklären.

Den Laureaten sei es gelungen, die Zusammenhänge zu ergründen und Handlungsszenarien zu definieren, um solche negativen Ereignisse künftig besser, vorausschauender und effektiver verhindern zu können.

Quantenphysik bleibt für viele ein Buch mit sieben Siegeln

Hochkompliziert wurde es dann beim nächsten Fachgebiet, der Physik, genauer gesagt der Quantenphysik. Dr. Rainer Blatt, Professor an der Universität Innsbruck, Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Quantenphysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und zugleich wissenschaftlicher Leiter der Lindauer Tagungen, selbst Mitglied des Kuratoriums, stellte die Arbeit von Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger vor.

Die theoretische Quantenphysik umfasst die Quantenmechanik und die Quantenfeldtheorie. Erstere beschreibt das Verhalten von Quantenobjekten unter dem Einfluss von Feldern. Letztere behandelt zusätzlich die Felder als Quantenobjekte. Die Vorhersagen beider Theorien stimmen außerordentlich gut mit den Ergebnissen von Experimenten überein, wie Dr. Blatt anhand eines eigenen Experiments erläuterte.

Dr. Blatt gab sich größte Mühe, die Zuhörer in diese hoch komplexe Materie einzuführen. Dazu reichten aber die vorgegebenen 20 Minuten keinesfalls aus. Es blieb die Erkenntnis, dass die Forschungsarbeit der Preisträger die Zukunft neuer, bahnbrechender Technologien geebnet hat.

Wir allen haben Erbanlagen des Neandertalers in uns

Spannend und zugleich verständlicher wurde es beim nächsten und letzten Vortrag der Matinee. Dr. Lara Urban, Forscherin am Helmholz Institut der Technischen Universität München, selbst Teilnehmer an der Lindauer Tagung 2018, führte die Zuhörer in die Forschungsarbeit von Svante Pääbo ein.

Svante Pääbo ist schwedischer Mediziner und Biologe.
Svante Pääbo ist schwedischer Mediziner und Biologe. (Bild: picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | FREDRIK SANDBERG /TT)

Svante Pääbo, geboren am 20. April 1955 in Stockholm, ist ein schwedischer Mediziner und Biologe. Er gilt als Begründer der Paläogenetik. 1984 gelang ihm als Doktorand erstmals die Klonierung der DNA einer Mumie. Die entsprechende Meldung in der Fachzeitschrift Nature zierte 1985 die Titelseite, eine sehr ungewöhnliche Ehrung für einen Doktoranden. In seiner weiteren wissenschaftlichen Laufbahn hat er sich auf evolutionäre Genetik spezialisiert. Bekannt ist er etwa für die Sequenzierung der Erbanlagen des Neandertalers. Im Jahr 2022 wurde ihm der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zuerkannt. Er ist der außereheliche Sohn von Sune Bergström, der 1982 ebenfalls den Medizinnobelpreis erhielt. Die Vaterschaft wurde jedoch bis kurz vor dem Tod Bergströms geheim gehalten, wie Dr. Urban mitteilte.

Pääbo gelang es, das genetische Erbgut der Neandertalers zu entschlüsseln. Dabei entdeckte er auch einen neuen Menschen-Typ, den Denisova-Menschen. Beide hätten sich mit dem Homo-Sapiens gekreuzt. Das hat zur Folge, dass bestimmte Gene auch bei uns heute noch im einstelligen Prozentbereich vorhanden seien. Als Relevanz sah Dr. Urban, dass es dank der Arbeit Pääbos gelingen könnte, den Rassismus in aller Welt einzudämmen, seien wir doch alle eine Mischung aus verschiedenen Rassen.

Von der Lindauer Nobelpreisträgertagung gehen viele wertvolle Impulse hinaus in die Welt

Nach dieser Einführung in die Welt der nobelpreisgekrönten Wissenschaften ging die Matinee nach gut zwei Stunden zu Ende. Spannend war es auf alle Fälle, auch wenn nicht alles für Laien verständlich war.

Man darf sich darauf freuen, welche wichtigen und wertvollen Impulse auch in Zukunft von der Lindauer Nobelpreisträgertagung in alle Welt ausgehen werden.

Weitere Infos unter https://www.lindau-nobel.org/de