Nach dem Schock von Butscha: Wie hart reagiert Deutschland?

Bundeswirtschaftsminister Habeck. Nach den Gräueltaten in Butscha diskutiert die Bundesregierung wieder intensiver über ein russisches Energie-Embargo.
Bundeswirtschaftsminister Habeck. Nach den Gräueltaten in Butscha diskutiert die Bundesregierung wieder intensiver über ein russisches Energie-Embargo. (Bild: Michael Kappeler/dpa)

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Das deutsche Nein zu einem Energie-Embargo gegen Russland schien unverrückbar. Die Bilder aus Butscha verändern die Lage grundlegend. Greift die Bundesregierung nun doch nach der «Mutter aller Sanktionen»?

Berlin (dpa) – Die Gräueltaten in der ukrainischen Kleinstadt Butscha bei Kiew haben weltweit für Entsetzen und Empörung gesorgt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht von einem Verbrechen der russischen Streitkräfte, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sogar von «Völkermord», aber was folgt nun daraus?

Als erste Reaktion erklärte Außenministerin Annalena Baerbock am Montag 40 Mitarbeiter der russischen Botschaft zu «unerwünschten Personen» und wies sie damit faktisch aus. «Die Bilder aus Butscha zeugen von einer unglaublichen Brutalität der russischen Führung», hieß es in ihrer Begründung. «Ähnliche Bilder müssen wir noch aus vielen anderen Orten befürchten, die russische Truppen in der Ukraine besetzt haben.»

Bei dieser Maßnahme wird es aber nicht bleiben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat bereits weitere Waffenlieferungen angekündigt – und eine Verschärfung der Sanktionen.

Kommt jetzt der Energie-Lieferstopp für Russland?

Das sieht nicht so aus. Zwar werden die Forderungen nach einem Importstopp bei jeder neuen Eskalation des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine lauter, die Bundesregierung fürchtet jedoch massive wirtschaftliche Schäden und Arbeitsplatzverluste bei einem plötzlichen Importstopp. Vor allem dann, wenn dieser auch Gaslieferungen umfassen sollte. Gerade erst haben SPD-Chef Lars Klingbeil und Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) entsprechenden Forderungen erneut eine Absage erteilt.

Wie stehen andere EU-Staaten dazu?

Auf EU-Ebene sind neben Deutschland auch Staaten wie Ungarn, die Slowakei und Österreich strikt gegen eine Ausweitung der Russland-Sanktionen auf den Energiebereich. Grundsätzlich heißt es von ihnen, Sanktionen seien kontraproduktiv, wenn sie beim Initiator größeren Schaden anrichteten als beim anvisierten Ziel. Noch am ehesten denkbar ist, dass sich die EU-Staaten darauf einigen, keine Kohle mehr aus Russland zu importieren. Deutschland will ohnehin ab Ende des Sommers kein «schwarzes Gold» aus Russland mehr kaufen. Gegen sofortige Energiesanktionen spricht nach Ansicht von Kritikern auch, dass die EU dann kaum noch Sanktionsoptionen hätte, wenn Russland in der Ukraine Massenvernichtungswaffen wie chemische Kampfstoffe einsetzen sollte.

Welche Stellschrauben gibt es sonst noch bei den Sanktionen?

Als sehr wahrscheinlich gilt, dass weitere russische Geschäftsleute mit Verbindungen zu Putin auf die EU-Sanktionsliste kommen. Dies würde es ermöglichen, ihre in der EU vorhandenen Vermögenswerte einzufrieren. Zudem könnte es neue Sanktionen im Finanzsektor sowie zusätzliche Handelsbeschränkungen geben. Schon jetzt ist die Liste der Strafmaßnahmen lang. So wurde etwa der Zugang von bestimmten russischen Unternehmen und Banken zu den europäischen Märkten komplett unterbunden und der EU-Luftraum für Flugzeuge gesperrt.

Wie sieht es mit weiteren deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine aus?

Die Bundesregierung hat einiges an Waffen bereits geliefert: Panzerfäuste, Luftabwehrraketen, Maschinengewehre und mehrere Millionen Schuss Munition. Die Bereitschaft zur militärischen Aufrüstung der ukrainischen Armee hatte bisher aber auch Grenzen: Die Lieferung von schweren Waffen wie Panzer, Kampfflugzeugen oder Kriegsschiffen kam nicht in Frage. Jetzt könnten die selbst auferlegten Beschränkungen fallen. «Die Lieferung von militärischem Gerät und Waffen sollte meiner Auffassung nach uneingeschränkt und in großem Umfang fortgesetzt werden», sagt der für Rüstungsexporte zuständige Habeck. 

Liefert Deutschland nun auch Panzer in die Ukraine?

Das Rüstungsunternehmen Rheinmetall hat gebrauchte Schützenpanzer Marder auf dem Hof, die für Kriegstauglichkeit erst überholt werden müssen. Der Vorschlag: Die Bundeswehr – allerdings ohnehin von Mangelwirtschaft geplagt – könne eigene Panzer in die Ukraine abgeben und dann binnen eines Jahres die anderen bekommen. 100 dieser Panzer will die Ukraine laut «Welt». Aus dem Verteidigungsministerium wurde abgewunken, denn die Panzer sind für Nato-Verpflichtungen verplant und damit Teil der Landes- und Bündnisverteidigung. Bleibt also, die Rheinmetall-Panzer abzugeben. Wegen der erforderlichen Überholung könnte es dann aber Monate dauern, bis sie im Kriegsgebiet ankommen.

Gibt es noch andere Panzer?

Möglich wäre auch die Lieferung von 50 Flugabwehrkanonenpanzern Gepard, die aus früheren Bundeswehrbeständen beim Panzerbauer KMW stehen. Der Gepard hat auf einem Leopard-1-Fahrgestell einen Turm mit zwei 35mm-Maschinenkanonen montiert und kann auch gepanzerte Ziele am Boden bekämpfen. Die Ausbildung dafür ist weniger kompliziert als der Kampf gegen Luftziele im Verbund mit anderen Waffensystemen.

Was kommt gar nicht in Frage?

Das direkte Eingreifen in den Krieg. Mit seinen Bündnispartnern ist sich Deutschland weiter einig, dass kein Nato-Soldat die Ukraine betreten soll, weil dann eine Konfrontation mit Russland und damit ein Dritter Weltkrieg drohen könnte.

Sieht die Bundesregierung die Gräueltaten von Butscha als Kriegsverbrechen?

Scholz sprach am Sonntag schon in ersten Stellungnahme von einem «Verbrechen des russischen Militärs». Später fügte er hinzu: «Die Ermordung von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen.» Zudem forderte er eine Bestrafung der Verantwortlichen: «Die Täter und ihre Auftraggeber müssen zur Rechenschaft gezogen werden.» Den russischen Präsidenten Wladimir Putin erwähnte der Kanzler in diesem Zusammenhang nicht. Das erledigte Außenministerin Annalena Baerbock: «Putins hemmungslose Gewalt löscht unschuldige Familien aus und kennt keine Grenzen», sagte die Grünen-Politikerin.

Wie können die Täter bestraft werden?

Dafür ist der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zuständig. Es verfolgt individuelle Verdächtige wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermords und hat für das Gebiet der Ukraine ein Mandat. Chefankläger Karim Khan leitete bereits Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine ein und schickte ein Team ins Kriegsgebiet. Unklar ist, ob die Ermittler auch schon nach Butscha reisten. Die Ankläger müssen zunächst nachweisen, dass Kriegsverbrechen begangen wurden. Das heißt zum Beispiel, dass die Opfer von Butscha tatsächlich wehrlose Bürger waren. Darauf deuten die Fotos hin, und das bestätigen Augenzeugen.

Kann auch Putin angeklagt werden?

Waren tatsächlich russische Soldaten die Täter, dann unterliegen sie der offiziellen Kommandostruktur. In dem Fall können auch ihre Kommandanten angeklagt werden. Zu klären wäre dann aber, ob die militärisch und politisch Verantwortlichen wie Putin von den Kriegsverbrechen der Soldaten wussten. Auch Staats- und Regierungschefs können sich nicht auf ihre Immunität berufen. Doch es ist schwierig, deren Verantwortung auch nachzuweisen. Erst wenn der Verdacht ausreichend begründet und mit Beweisen belegt ist, könnte ein internationaler Haftbefehl beantragt werden. Es scheint aber ausgeschlossen, dass Russland den Präsidenten an Den Haag ausliefern würde. Voraussetzung dafür wäre wohl ein Regimewechsel in Moskau.