Moskau droht Mariupol mit «Vernichtung»: So ist die Lage

Ein russischer Militärkonvoi bewegt sich auf einer Autobahn in einem von russisch unterstützten Separatisten kontrollierten Gebiet in der Nähe von Mariupol.
Ein russischer Militärkonvoi bewegt sich auf einer Autobahn in einem von russisch unterstützten Separatisten kontrollierten Gebiet in der Nähe von Mariupol. (Bild: Alexei Alexandrov/AP/dpa)

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Russland setzt seine Raketenangriffe und Artilleriebeschuss auf die Ukraine mit aller Härte fort. Besonders katastrophal ist die Lage weiter in der Hafenstadt Mariupol. Die Ereignisse im Überblick.

Kiew (dpa) – Der Kampf um die belagerte südukrainische Hafenstadt Mariupol dauert auch nach dem Verstreichen eines russischen Ultimatums an.

Der ukrainische Generalstab berichtete am Sonntagabend von russischen Raketen- und Bombenangriffen auf die Stadt mit früher mehr als 400.000 Einwohnern. Dabei kämen auch Überschallbomber vom Typ Tu-22M3 zum Einsatz. Besonders in der Nähe des Hafens sowie des Stahlwerks Asowstal gebe es Angriffsversuche russischer Truppen. Regierungschef Denys Schmyhal sagte dem US-Sender ABC, die Stadt sei nicht gefallen. Die ukrainischen Soldaten würden in Mariupol «bis zum Ende kämpfen».

Außenminister Dmytro Kuleba berichtete im US-Sender CBS, die eigenen Truppen seien «im Grunde eingekreist» von russischen Truppen, die Mariupol dem Erdboden gleichmachen wollten. Wörtlich sagte Kuleba: «Die Stadt existiert nicht mehr.»

Soldaten in Stahlwerk verschanzt

Russland hatte den dortigen ukrainischen Truppen zuvor mit Vernichtung gedroht. Die Einheiten, darunter 400 ausländische Söldner, hätten sich in dem Stahlwerk Asowstal verschanzt, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Sonntag in Moskau.

Die Regierung in Kiew habe ihnen untersagt, die Waffen niederzulegen. Zuvor hatte Moskau ein Ultimatum bis Sonntagmittag gestellt und den Soldaten im Fall einer Kapitulation zugesichert, sie würden am Leben bleiben.

«Im Fall einer weiteren Gegenwehr werden sie alle vernichtet», sagte Konaschenkow. Nach russischen Angaben sollen allein in dem Werk etwa 2500 Kämpfer sein, die die Stadt gegen eine komplette Eroberung verteidigen wollen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte wiederholt erklärt, alles für eine Rettung der strategisch wichtigen Stadt tun zu wollen. Zugleich warnte er Russland davor, im Fall einer Tötung der ukrainischen Kämpfer die Verhandlungen für eine Beendigung des Krieges aufzukündigen. Zum Ärger Russlands hat Selenskyj es bei den Verhandlungen bisher abgelehnt, auf Gebiete zu verzichten.

Russland wirft Ukraine fehlende Bewegung bei Verhandlungen vor

Der russische Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin warf Selenskyj am Sonntag vor, er bewege sich gar nicht bei den Verhandlungen. Er betonte, dass die Ukraine auf ihre Gebiete Luhansk und Donezk, die Kremlchef Wladimir Putin als unabhängige Staaten anerkannt hatte, verzichten müsse. In einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNN lehnte es Selenskyj zudem erneut kategorisch ab, die Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Russland anzuerkennen.

Selensjyj sagte zudem, es sei wichtig, wenn möglich einen Dialog mit Russland zu finden. Nach den Gräueltaten gegen Zivilisten im Kiewer Vorort Butscha und anderen Orten sei das aber schwierig.

Selenskyj fordert vom Westen schwere Waffen

Selenskyj forderte im selben Zug vom Westen wiederholt Panzer und andere schwere Waffen, um den Osten der Ukraine zu verteidigen. Dort droht eine Großoffensive Russlands. Mariupol liegt im Gebiet Donezk, das prorussische Separatisten mit Moskauer Hilfe komplett unter ihre Kontrolle bringen wollen.

Angesichts des befürchteten russischen Großangriffs im Osten des Landes kündigte Selenskyj harte Gegenwehr an. «Wir werden unser Territorium nicht aufgeben», sagte Selenskyj in dem CNN-Interview. Die Schlacht in der Region Donbass könne den Verlauf des gesamten Krieges beeinflussen. Die Ukraine müsse sich daher behaupten.

Ohne Unterstützung von Panzern und anderen Waffen ist die ukrainische Armee Militärexperten zufolge nicht in der Lage, einen russischen Großangriff in dem weitgehend flachen Gelände abzuwehren oder selbst in eine Offensive überzugehen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen appellierte deshalb an die EU-Länder, der Ukraine schnell Waffen zu liefern. «Für alle Mitgliedstaaten gilt, wer kann, sollte schnell liefern, denn nur dann kann die Ukraine in ihrem akuten Abwehrkampf gegen Russland bestehen», sagte von der Leyen der «Bild am Sonntag».

EU schickt weitere 50 Millionen Euro an die Ukraine

Derweil hat die Europäische Union zusätzliche Gelder für humanitäre Güter geschickt. Brüssel stellt weitere 50 Millionen Euro bereit für Menschen, die vom russischen Angriffskrieg betroffen sind, wie aus einer Mitteilung hervorgeht. Demnach sollen 45 Millionen an die Ukraine gehen und 5 Millionen an das Nachbarland Moldau. Die Gelder seien Teil der Mittel, die während einer für die Ukraine organisierten Geberkonferenz vergangenes Wochenende zugesagt wurden.

Damit hat die EU der Mitteilung zufolge nun 143 Millionen Euro für humanitäre Hilfen in Reaktion auf den Krieg bereitgestellt. Die neuen Gelder sollen unter anderem für medizinische Notfallhilfe, Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie Notunterkünfte ausgegeben werden.

Russlang greift weiter an – Menschen sterben

Zahlreiche Gebiete der Ukraine meldeten auch an dem dort begangenen Palmsonntag russische Angriffe. Schwerpunkt war weiter der Osten des Landes. In der Stadt Solote im Gebiet Luhansk starben nach ukrainischen Angaben mindestens zwei Zivilisten. Vier weitere Menschen seien verletzt worden, schrieb der Gouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, auf Telegram.

Ukrainischen Medien zufolge wurden durch Beschuss des Zentrums der ostukrainischen Stadt Charkiw am Sonntag nach vorläufigen Angaben mindestens 5 Menschen getötet und 13 verletzt. Bereits am Samstag kamen nach Behördenangaben mindestens drei Zivilisten durch Beschuss mit Artillerie und Raketen ums Leben. 31 Menschen seien verletzt worden, teilte der Gouverneur des Gebiets, Oleh Synjehubow, mit.

In der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew wurde in dem Ort Browary nach Behördenangaben ein Teil der Infrastruktur getroffen worden. Es könne zu Unterbrechungen bei der Wasser- und Stromversorgung kommen, sagte Bürgermeister Ihor Saposchko in einem Video. Der Krieg gehe weiter, sagte er. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte den Angriff. Es sei dort ein Werk zur Produktion von Munition zerstört worden, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow in Moskau.

In der Hauptstadt Kiew teilten die Behörden mit, dass es dort ruhig geblieben sei – abgesehen vom Luftalarm. Anders als am Vortag habe es keine neuen Explosionen gegeben. Ein Sprecher der Stadt betonte, es sei zu früh, von einer sicheren Lage zu reden. Bürgermeister Vitali Klitschko hatte am Vortag Bürger, die zurückkehren wollten, gewarnt, das zu tun. Sie sollten an einem sicheren Ort bleiben.

In der Region um die südukrainische Stadt Mykolajiw teilte der Gebietsgouverneur Witalij Kim mit, dass die russische Armee weiter mit Raketen schieße. Er erwartet nach eigenen Angaben eine Mobilmachung in Russland, die ein bis zwei Monate dauern könne. Das sei für die Ukraine genug Zeit, um sich mit ausreichend Waffen zu versorgen, sagte er in einem Video.

Selenskyj wünscht sich Besuch von US-Präsident Biden

Präsident Selenskyj rief US-Präsident Joe Biden in dem CNN-Interview zu einem Besuch der Ukraine auf. Berichten nach galt es als unwahrscheinlich, dass Biden selbst in die Ukraine reist. Mit Blick auf die Militärhilfe aus den USA sagte Selenskyj, dass diese niemals ausreichend sein werde. Die Ukraine brauche immer noch mehr, als das, was sie jetzt habe. Die USA hatten der Ukraine zuletzt weitere Waffen und Munition im Wert von bis zu 800 Millionen Dollar (740 Millionen Euro) zugesagt. Die US-Regierung hat der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskrieges Ende Februar damit bereits Waffen im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar zugesagt oder geliefert.

Die Vereinten Nationen haben bisher rund 2000 getötete Zivilisten erfasst, gehen aber wie Kiew von weitaus höheren Opferzahlen unter Zivilisten aus.

Gouverneur: Russische Truppen warten auf besseres Wetter

Der Gouverneur des ostukrainischen Gebiets Luhansk erklärte, Russland habe bereits Zehntausende Soldaten für eine baldige Offensive im Osten der Ukraine zusammengezogen. Zudem seien Hunderte Einheiten Technik in die Region transportiert worden, sagte Serhij Hajdaj.

Seiner Einschätzung nach warteten die russischen Truppen nur noch auf besseres Wetter, um dann zeitgleich in den Gebieten Luhansk und Donezk ihre Angriffe zu starten. In beiden Regionen soll nach Wettervorhersagen voraussichtlich Mitte kommender Woche der Regen aufhören und am Samstag wieder beginnen.