„Meine Zeit in New York war wegen der Finanzkrise sehr spannend“ – Ein Interview mit Nikolaus Piper

Nikolaus Piper hat eine blitzsaubere Karriere als Wirtschaftsjournalist hingelegt.
Nikolaus Piper hat eine blitzsaubere Karriere als Wirtschaftsjournalist hingelegt. (Bild: Altair de Bruin)

Es gibt nur wenige Journalisten, die aus der Region Bodensee-Oberschwaben stammen und sich mit Fug und Recht zu den Großen ihres Berufsstandes zählen dürfen. Neben dem ZDF-Gesicht Claus Kleber (geboren in Reutlingen), ist dies auch Nikolaus Piper (geboren in Hamburg, aufgewachsen in Bad Schussenried) gelungen.

Nach dem Abitur in Riedlingen und einem Volontariat bei der Badischen Zeitung, absolvierte er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Freiburg, das er 1978 als Diplom-Volkswirt abschloss. Piper hat sich verständlicherweise dem Wirtschafts-Journalismus verschrieben.

Für seine Arbeit und diverse Buch-Veröffentlichungen wurde er mehrfach ausgezeichnet. So erhielt er unter anderem 2001 den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik, für sein Buch „Die Große Rezession“ wurde er 2009 mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis ausgezeichnet.

Wir konnten mit der in München lebenden Edelfeder des Wirtschaftsjournalismus ein Interview führen:

Herr Piper, die Inflation ist jetzt schon ungewöhnlich hoch. Durch den Krieg in der Ukraine steigen die Energiepreise deutlich an. Wie wird sich die Inflation weiterentwickeln?

Wir leben in extrem unsicheren Zeiten. Ich würde heute keinerlei Prognose wagen. Alles hängt vom Krieg in der Ukraine ab.

Die Gewerkschaften werden bei den kommenden Tarifverhandlungen versuchen die Inflation durch deutliche Lohnzuwächse auszugleichen. Droht eine Lohn-Preisspirale?

Ich hoffe, alle Beteiligten haben die Lektion der 1970er Jahre gelernt: Lücken im Angebot – durch Lieferengpässe oder einen Krieg – lassen sich nicht durch höhere Nachfrage (also höhere Löhne) ausgleichen. Sie führen nur dazu, dass die Preise noch mehr steigen und Arbeitslosigkeit sich verfestigt.

Durch die Corona-Pandemie wurde die Wirtschaft schon geschwächt. Welche weiteren binnen- und außenwirtschaftlichen Auswirkungen sind durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine zu erwarten?

Das kann heute niemand sagen. Die allgemeine Verunsicherung zeigt sich ja in den heftigen Ausschlägen der Börsenkurse überall auf der Welt. Man mag sich nicht vorstellen, was passiert, wenn die Öl- und Gaslieferungen aus Russland ganz wegfallen.

Die Bundesregierung hat mit der Corona-Pandemie viel Geld in die Hand genommen. Jetzt will sie u. a. noch ein 100 Milliarden schweres Sondervermögen zur Ertüchtigung der Bundeswehr bilden. Müssen die Bürger*innen mit steigenden Steuern rechnen?

Kurzfristig nicht, mittelfristig wohl schon. Zumindest werden wir heftige Debatten über das Thema bekommen.

Ein sozialpolitisch großes Zukunftsthema ist eine ausreichende Altersversorgung. Welche Lösungsmöglichkeiten abseits des bestehenden Systems sollten geschaffen werden, um Altersarmut zu vermeiden?

Rentenfragen sind Generationenfragen. Deshalb können wir nicht so einfach aus unserem jetzigen System der Alterssicherung aussteigen. Es bleibt nichts anderes übrig, als dieses System an den demographischen Wandel anzupassen. Immer weniger junge Menschen müssen für immer mehr Ältere aufkommen. Wir haben schon sehr viel Zeit verloren, weil Politiker aller Parteien Angst vor Entscheidungen hatten. Alle Experten sind sich einig, dass die Lage am Ende dieses Jahrzehnts dramatisch werden wird. Wenn man nicht immer höhere Beiträge oder Steuern für die Jungen und/oder sinkende Renten für die Alten will, bleibt nur, das Rentenalter weiter hochzusetzen. Das ist auch zumutbar, denn heute sind die meisten Menschen länger fit als es frühere Generationen waren.

Außerdem sollte der Staat die private Altersvorsorge fördern. Der Gedanke hinter der Riester-Rente war ja richtig, nur die Ausführung war viel zu kompliziert und zu teuer. Man darf sich aber keine Illusionen machen. Das ist ein langfristig wirkendes Instrument. Die Probleme, die bis 2030 entstehen, kann man nicht durch eine Aktienrente oder Ähnliches lösen, dafür reicht die Zeit nicht mehr.

Sie waren von 2007 bis 2014 für die Süddeutsche als Korrespondent in New York. Wie hat dieser Aufenthalt Ihren Blick auf die Politik in den USA und Deutschland verändert?

Ich weiß gar nicht, ob sich mein Blick so sehr verändert hat. Ich hatte schon immer eine Schwäche für Amerika. Die hat allerdings noch zugenommen. Das bleibt wohl nicht aus, wenn man in dem Land lebt, sich mit Menschen trifft, den Alltag bewältigt, einen Handy-Vertrag abschließt, Steuern zahlt und ähnliches. Wir haben viele gute Freunde und Bekannte in New York gefunden. Die Herzlichkeit vieler Amerikaner ist überwältigend, ihr Pragmatismus wohltuend. Dabei habe ich allerdings auch manches übersehen. Ich hätte zum Beispiel nie geglaubt, dass jemand wie Donald Trump zum Präsidenten gewählt werden könnte.

Umgekehrt lernt man im Ausland die Vorzüge des deutschen Gesundheitssystems schätzen. Oder auch, dass Post und Bahn bei uns einigermaßen verlässlich funktionieren.

Was können die Deutschen von den US-Amerikanern und die Amerikaner von den Deutschen lernen?

Die Deutschen können sicher Unternehmergeist lernen, ebenso die Bereitschaft, nach einem Scheitern einfach noch mal neu anzufangen. Dazu kommt eine Eigenschaft, die ich erst seit Corona richtig wertschätzen kann: Die meisten Amerikaner haben ein Gefühl für die nötige körperliche Distanz. Kaum jemand drängelt in New York. Umgekehrt würde amerikanischen Verwaltungen ein wenig deutsche Effizienz nicht schaden und der ganzen Gesellschaft die Bereitschaft, in Nachhaltigkeit zu investieren. Und vielleicht könnte der konservative Teil der Amerikaner vom europäischen Beispiel lernen, dass ein Land sicherer ist, wenn nicht jeder Bürger ein Gewehr im Schrank stehen hat.

Sie waren zuerst Lokalredakteur bei der Badischen Zeitung (Freiburg), dann Wirtschaftsredakteur für die Wochenzeitung „Vorwärts“ (Bonn), Wirtschaftskorrespondent bei „Associated Press“ (Bonn). Weitere Stationen waren „Die Zeit“ (Hamburg), Wirtschaftsredakteur und später Ressortleiter Wirtschaft bei der „Süddeutschen“ (München). Was war die spannendste Zeit in Ihrer beruflichen Karriere?

Ganz sicher war meine Arbeit als Korrespondent in New York am spannendsten. Es war die Zeit der Finanzkrise und ich habe eigentlich jeden Tag etwas dazugelernt. Schon allein in der Stadt zu leben, war wunderbar. Dafür, dass die Süddeutsche Zeitung mir diese Chance geben hat, bin ich den Kollegen bis heute dankbar.

Sie sind in Bad Schussenried groß geworden, haben in Riedlingen Ihr Abitur abgelegt. Was verbindet Sie nach mit Oberschwaben?

Es ist die Sprache und es ist die Landschaft. Wenn ich irgendwo auf der Welt jemanden Oberschwäbisch reden höre, fühle ich mich sofort heimatlich. Und wenn ich mal zu Besuch bin, auf der Landstraße von Steinhausen nach Kleinwinnaden fahre und plötzlich öffnet sich das ganze Panorama mit dem Olzreuter See, dem Schussenrieder Kirchturm und vielleicht noch den Alpen in der Ferne, dann geht mir das Herz auf.