Luftbrücken-Ende: Tausende noch auf deutscher Ausreiseliste

Fallschirmjäger der Bundeswehr haben Kabul verlassen und kommen in Taschkent an.
Fallschirmjäger der Bundeswehr haben Kabul verlassen und kommen in Taschkent an. (Bild: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa)

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Die USA bringen auch nach dem verheerenden Anschlag in Kabul weiter Menschen aus dem Land. Der Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist dagegen vorbei. Tausende Menschen wollen noch ausreisen.

Kabul/Berlin (dpa) – Nach dem Ende des Evakuierungseinsatzes der Bundeswehr in Afghanistan warten noch Tausende Menschen auf Ausreise nach Deutschland. Es seien noch etwa 300 Deutsche und mehr als 10.000 Afghanen mit Ausreisewunsch beim Auswärtigen Amt registriert, teilt das Ministerium mit.

Die Lage am Flughafen schätzt das Krisenreaktionszentrum des Amts nach dem verheerenden Anschlag am Vortag weiter als «hochgefährlich» ein und warnt deutsche Staatsbürger davor, sich in der Nähe des Flughafens aufzuhalten. Die USA setzten ihre Evakuierungsflüge trotz des Anschlags fort.

Lage weiter «hochgefährlich»

In der Nähe des Flughafens hatte sich am Donnerstag nach US-Angaben ein Selbstmordattentäter der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in die Luft gesprengt und Dutzende Menschen mit in den Tod gerissen, darunter 13 US-Soldaten. Das Pentagon korrigierte die Angabe zur Zahl der Täter am Freitag, zuvor war von zwei Selbstmordattentätern die Rede. Die USA kündigten Vergeltung an. US-Präsident Joe Biden sagte am Donnerstag an den IS gerichtet: «Wir werden Euch jagen und Euch dafür bezahlen lassen.» Die Vereinten Nationen bereiten sich unterdessen auf die Flucht von mehr als einer halben Million Menschen aus Afghanistan vor.

Der Evakuierungseinsatz der Bundeswehr am Flughafen Kabul war am Donnerstag nach elf Tagen zu Ende gegangen. Die Rettungsaktion soll aber weiter gehen. Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, sagte am Freitag, es sei nun wichtig, auf den diplomatischen Weg zu setzen, «um Ortskräften und Schutzbedürftigen, die es nicht geschafft haben, eine Ausreise zu ermöglichen.» Die Bundesregierung führt dazu über den Entsandten Markus Potzel Verhandlungen mit dem politischen Arm der Taliban im Golfstaat Katar.

Taliban wollen weiter Ausreisen ermöglichen

Die Taliban haben nach dessen Angaben bereits zugesagt, Afghanen mit gültigen Ausweispapieren auch nach dem 31. August – also dem Stichtag für den Abzug der US-Truppen – außer Landes zu lassen. Die Taliban dürften fü ihre Kooperation mit Deutschland und den USA auf gewisse Hilfen der internationalen Gemeinschaft hoffen. Biden erklärte dazu: «Sie sind keine guten Kerle, die Taliban. Das meine ich überhaupt nicht. Aber sie haben ein klares Interesse.»

Die Vereinten Nationen (UN) bereiten sich angesichts der schlechten Sicherheitslage auf weitere Flüchtlinge vor. 515.000 Menschen könnten das Land im schlimmsten Fall in diesem Jahr verlassen, berichtete das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Freitag in Genf. Die Weltgemeinschaft müsse die Nachbarstaaten Afghanistans finanziell unterstützen, forderte die UN. Diese haben bereits 5,2 Millionen Afghaninnen und Afghanen aufgenommen. 90 Prozent seien im Iran und in Pakistan, weitere in Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.

Großes Entsetzen in afghansischer Bevölkerung

Unter der afghanischen Bevölkerung hat der Anschlag am Donnerstag großes Entsetzen ausgelöst. Der Platz vor dem Tor, wo am Vortag noch Tausende, die auf einen Evakuierungsflug hofften, Schulter an Schulter standen, war am Freitag menschenleer, wie Fernsehbilder zeigten. In sozialen Medien tauchten mehrere Bilder von Kindern auf, die seit dem Anschlag vermisst werden.

Zu der genauen Opferzahl des Anschlags gibt es weiter unterschiedliche Angaben. Dem britischen Verteidigungsminister zufolge wurden 60 bis 80 afghanische Zivilisten getötet. Die Nichtregierungsorganisation Emergency sagte der Deutschen Presse-Agentur, allein in ihrem Krankenhaus seien 16 Tote eingeliefert worden. Die Taliban sprachen zunächst von nur 13 bis 20 getöteten Zivilisten. Der afghanische Sender Tolo News berichtete am Freitag aber unter Berufung auf Taliban-Kreise, die Zahl der Todesopfer sei auf mehr als 100 gestiegen, 150 Menschen seien verletzt worden.

Verletzte werden nach Ramstein ausgeflogen

Der Landkreis Kaiserslautern bereitet sich im Rahmen der Amtshilfe für den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein auf die Behandlung von bis zu 40 Menschen vor, die bei dem Anschlag verletzt wurden. Dabei soll es sich um Männer, Frauen und Kinder handeln. Für eine mögliche Rettung weiterer verletzter Verbündeter aus Afghanistan lässt die Bundeswehr nach Angaben des Verteidigungsministeriums ein Spezialflugzeug in der Region.

Die Soldaten der Evakuierungsmission sind unterdessen auf den Weg nach Deutschland und werden gegen 19.45 Uhr auf dem Fliegerhorst Wunstorf in Niedersachsen erwartet. An Bord waren neben den Soldaten des Einsatzes auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die Wehrbeauftragte Högl sowie der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, Deutschlands ranghöchster Soldat.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden während des Einsatzes 5347 Menschen aus mindestens 45 Ländern ausgeflogen, darunter rund 500 Deutsche und mehr als 4000 Afghanen. Unter den Afghanen sind ehemalige Mitarbeiter von Bundeswehr und Bundesministerien, aber auch besonders schutzbedürftige Menschen, die beispielsweise für Frauen- oder Menschenrechtsorganisationen tätig waren.

Insgesamt rund 105.000 Menschen evakuiert

Die USA haben innerhalb von 24 Stunden rund um den Anschlag rund 12.500 Menschen außer Landes gebracht. 8500 Menschen wurden vom US-Militär ausgeflogen, 4000 wiederum in Maschinen internationaler Partner, wie das Weiße Haus am Freitag mitteilte. Seit dem Start der Evakuierungsmission in Kabul Mitte August flogen die USA und ihre Verbündeten rund 105.000 Menschen aus.

Italien, das derzeit den Vorsitz der G20 innehat, forderte am Freitag zum weiteren Vorgehen in Afghanistan eine «enge internationale Absprache.» Dazu will das Land einen Sondergipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) einberufen.