Kretschmann zu Kanzlerin Merkel: «Sie wird uns fehlen»

Bundeskanzlerin Angela Merkel (r, CDU) im Gespräch mit Winfried Kretschmann (Grüne).
Bundeskanzlerin Angela Merkel (r, CDU) im Gespräch mit Winfried Kretschmann (Grüne). (Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/Archivbild)

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«Warum ich für Merkel gebetet habe» ist die Bilanz von Winfried Kretschmann über die Kanzlerin überschrieben. Der Grüne lobt sie in den höchsten Tönen. Und betont mitten im Bundestagswahlkampf, wie wichtig moderne Christdemokraten für die Demokratie seien.

Stuttgart (dpa/lsw) – Baden-Württembergs grüner Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) hat die «große Leistung» von Kanzlerin Angela Merkel als historisch gelobt und eine moderne CDU als existenziell für Deutschland bezeichnet. In einer Bilanz über Merkels Kanzlerschaft schreibt der wertkonservative Grünen-Politiker: «Wir werden über die Jahre von 2005 bis 2021 einmal als Ära Merkel reden – ähnlich wie bei den Kanzlerschaften von Konrad Adenauer und Helmut Kohl.» In seinem Artikel in der «Zeit»-Beilage «Christ & Welt» (Donnerstag) heißt es weiter: «Kanzlerin Angela Merkel wird uns fehlen. Davon bin ich überzeugt.»

Anders als viele in der Union dächten, habe Merkel auch ihre Partei deutlich nach vorne gebracht. Sie habe «ihrer Partei eine
modernere Anmutung gegeben. Dass die Union sich heute noch als Volkspartei fühlen darf, hat viel mit ihr zu tun. Und auch damit hat sie die Messlatte für ihre Nachfolger hoch gelegt», schreibt der 73-jährige Kretschmann, der im Südwesten eine grün-schwarze Regierung führt.

Eine moderne Union sei extrem wichtig für Deutschland, auch wenn er an der aktuellen CDU viel auszusetzen habe: «Moderne Christdemokraten, die ihren Grundprägungen treu bleiben, sind eine Lebensversicherung für unsere Demokratie», betont der Grüne, der als großer Anhänger einer Zusammenarbeit seiner Partei mit der Union auch auf Bundesebene gilt.

Kretschmann schreibt weiter, er werde Merkels «unprätentiöse Art» vermissen, «mit der sie sich jedem Bohei um ihr Amt entzog. Bei ihr geriet fast schon das Anticharismatische zum Charisma». Der Grüne verwies auf Jürgen Klopp, den Trainer des englischen Fußballclubs FC Liverpool: «Der Satz: „I’m the normal one“, den der sehr außergewöhnliche Stuttgarter Jürgen Klopp einmal sagte, könnte von ihr stammen.»

Mit Blick auf große Herausforderungen in Merkels Amtszeit wie die Finanz-, Flüchtlings- und Corona-Krise lobt Kretschmann: «Sie hat das Land als Lotsin erfolgreich durch die Untiefen der Zeit gesteuert. Das allein ist eine große Leistung, mit der sie eine Ära geprägt hat.» Er lobt Merkels Fähigkeit, «Politik auch jenseits der alten Lagergrenzen zu machen und dabei auch komplizierte Kompromisse einzugehen». Hier könne die politische Klasse viel von Merkel lernen, denn es gelte «aus Grundsatztreue keine Prinzipienreiterei» zu machen. Wohl auch mit Blick auf die eigene Partei ergänzt Kretschmann: «Und bei aller Liebe zu großen gesellschaftlichen Entwürfen nicht zu vergessen, dass Politik eine ungemein pragmatische Angelegenheit ist.»

Allerdings äußert sich der Grünen-Politiker kritisch über die Klimapolitik der Kanzlerin. Zwar habe sie sich kurz nach Beginn ihrer Amtszeit als «Klimakanzlerin» inszeniert. «Doch der gekonnten Inszenierung folgte zu wenig entschlossenes politisches Handeln. «Der Umstieg auf die erneuerbaren Energien wurde zu wenig entschlossen vorangetrieben, der Kohleausstieg zu lange verschleppt», moniert er. Kretschmanns Bilanz ist Teil des Buches «Die hohe Kunst der Politik. Die Ära Angela Merkel», das von der früheren Forschungsministerin und Merkel-Vertrauten Annette Schavan (CDU) herausgegeben wird.

Kretschmanns Artikel ist überschrieben mit: «Warum ich für Merkel gebetet habe». Es ist eine Anspielung auf einen Satz, den er vor der Landtagswahl 2016 mitten in der Flüchtlingskrise gesagt hatte. Schon zu dieser Zeit stand er eng an Merkels Seite, während sein damaliger CDU-Herausforderer Guido Wolf ihren Kurs kritisierte. Der gläubige Katholik Kretschmann erklärte damals sogar, er bete täglich für Merkel – und gewann die Wahl. Nun schreibt der Grüne in dem Artikel: «Als ich damals sagte: «Ich bete jeden Tag für Angela Merkel«, dann war das zwar metaphorisch gemeint, aber es entsprach genau meinen Empfindungen.»