Kanzler Scholz wegen Waffenlieferungen weiter unter Druck

Bundeskanzler Olaf Scholz nach einer Telefonschaltkonferenz mit US-Präsident Biden und europäischen Verbündeten zur Lage in der Ukraine.
Bundeskanzler Olaf Scholz nach einer Telefonschaltkonferenz mit US-Präsident Biden und europäischen Verbündeten zur Lage in der Ukraine. (Bild: Lisi Niesner/Reuters/Pool/dpa)

WOCHENBLATT
WOCHENBLATT

Kanzler Scholz unterstützt, dass die Ukraine schwere Waffen von Nato-Ländern erhält. Direkt aus Deutschland sollen sie aber nicht kommen. In der Ampel-Regierung knirscht es deshalb weiter.

Berlin (dpa) – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht trotz seiner jüngsten Ankündigungen weiter auch in der eigenen Koalition wegen Rüstungshilfen für die Ukraine unter Druck.

Dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter und der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gehen Scholz‘ Äußerungen vom Dienstagabend nicht weit genug. Auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zeigte sich unzufrieden.

Scholz hat der Ukraine zugesagt, direkte Rüstungslieferungen der deutschen Industrie zu finanzieren. «Wir haben die deutsche Rüstungsindustrie gebeten uns zu sagen, welches Material sie in nächster Zeit liefern kann», sagte er am Dienstag. «Die Ukraine hat sich nun von dieser Liste eine Auswahl zu eigen gemacht, und wir stellen ihr das für den Kauf notwendige Geld zur Verfügung.» Darunter seien wie bisher Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrgeräte, Munition «und auch das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann».

Ruf nach schweren Waffen

Melnyk kritisierte im ZDF-«heute journal», auf der Liste möglicher Waffenlieferungen, die die Ukraine vor einigen Woche aus Deutschland bekommen habe, befänden sich gar keine schweren Waffen. «Die Waffen, die wir brauchen, die sind nicht auf dieser Liste.» Die Bundeswehr wäre aber fähig, der Ukraine die Waffen zu liefern, die das Land benötige. Er nannte den Marder-Schützenpanzer.

«Die Bundeswehr hat nach unseren Angaben über 400 an der Zahl, und nur ein geringer Teil davon ist eingebunden in Missionen.» Die deutsche Rüstungsindustrie könne diese Panzer innerhalb weniger Wochen ersetzen. Die Ukraine hoffe weiter, dass sie diese Waffen so schnell wie möglich bekomme.

Scholz hatte am Dienstag jedoch nicht von einer direkten Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland gesprochen. Nato-Partner, die Waffen sowjetischer Bauart in die Ukraine liefern, könnten aber Ersatz aus Deutschland erhalten. «Das ist etwas, was wir mit vielen anderen zusammen machen, die den gleichen Weg einschlagen wie wir.» Sofortige Einsetzbarkeit und Verfügbarkeit seien bei den Waffenlieferungen wichtig. Lieferungen aus Bundeswehrbeständen soll es laut Scholz dagegen kaum noch geben. «Hier müssen wir inzwischen erkennen, dass die Möglichkeiten, die wir haben, an ihre Grenzen stoßen», sagte er.

Kritik auch aus Deutschland

Grünen-Politiker Hofreiter sagte dem Nachrichtenportal t-online: «Die von Olaf Scholz angekündigte Unterstützung unserer Partnerländer bei den Waffenlieferungen in die Ukraine ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, aber er reicht nicht aus». Auch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er, wirklich entscheidend sei, dass die Ukraine jetzt schnell auch schwerere Waffen bekomme.

Die FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann begrüßte auf Twitter, dass Scholz den Vorschlag aufgreift, für die Ukraine sofort bedienbare Waffen über osteuropäische Partner zu liefern, die Deutschland dann kompensiere. «Um Freiheit und Menschenrechte muss man aber kämpfen, die bekommt man nicht geschenkt. Dafür kam heute noch zu wenig Konkretes.» Auch aus der oppositionellen Union kam erneut Kritik. «Zu wenig – zu spät», das bleibe die bittere Bilanz nach der Pressekonferenz von Scholz, schrieb Vize-Unionsfraktionschef Johann Wadephul (CDU) bei Twitter. «Deutschland liefert weiter keine schweren Waffen, d.h. lässt die Ukraine im Stich.»

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen, forderte eine Entscheidung des Parlaments. Mit einer Lieferung schwerer Waffen werde «die Bundesrepublik völkerrechtlich zwar eindeutig nicht zur Kriegspartei», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Es besteht aber das Risiko, dass Moskau dies anders sieht. Dieses erhebliche Risiko muss die Bundesregierung kalkulieren und eine Entscheidung dieser Tragweite daher zwingend dem Deutschen Bundestag zur Abstimmung vorlegen.»

Bundeswehr-Vize: Brauchen unsere Waffen

Die Bundeswehr widersprach Aussagen des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk, dass sie sofort einen Teil ihrer schweren Waffen an die Ukraine liefern könnte, wenn Deutschland das wollte. Dies würde die Einsatzfähigkeit innerhalb der Nato-Verpflichtungen mit derzeit 13.000 und im nächsten Jahr 16.000 deutschen Soldaten beeinträchtigen, erklärte der stellvertretende Bundeswehr-Generalinspekteur Markus Laubenthal im ZDF-«Morgenmagazin». «Wir hätten keine Möglichkeit mehr, auf Eventualitäten zu reagieren, und das würde die Verteidigungsfähigkeit doch erheblich schwächen.»

Ein Großteil etwa der Schützenpanzer Marder werde auch herangezogen, um Ersatzteile für den Einsatz bereitzustellen. «Das heißt, wir bedienen uns sozusagen aus der Flotte, damit wir den Teil, den wir dann wirklich einsetzen in unseren Nato-Verpflichtungen und an der Ostflanke der Nato zurzeit, damit wir den auch betreiben können», sagte der Generalleutnant und wies auf die Materiallücken hin, die im Zuge des früheren Sparkurses bei der Bundeswehr entstanden sind.

Sicherheitsexperte: Lieferung einiger Schützenpanzer möglich

Der Sicherheitsexperte Carlo Masala bezweifelt dagegen die Darstellung, dass die Bundeswehr überhaupt keine schweren Waffen entbehren könne. «Die Position, dass wir keine (Schützenpanzer) Marder geben können, erscheint mir nicht glaubwürdig, weil es sicher noch ein paar Marder in der Umlaufreserve gibt», sagte der Professor von der Universität der Bundeswehr in München im ZDF-«Morgenmagazin». Umlaufreserve meint, dass ein im Training kaputtgegangener Schützenpanzer durch einen anderen ersetzt und der kaputte repariert wird.

«Da wird es ein paar geben, die könnte man sicherlich mit einem verkürzten Training relativ schnell in die Ukraine bringen. Aber da gibt es halt erhebliche Widerstände», sagte Masala. «Wenn die Verteidigung des Bündnisses an 15 Mardern hängt, dann ist es um die Verteidigung des Bündnisses nicht besonders gut bestellt. Also von daher ist dieses Argument ein bisschen, ich sage mal: vorgeschoben.»

Schlagabtausch zwischen Melnyk und Gabriel

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken will sich an diesem Mittwoch mit dem ukrainischen Botschafter Melnyk treffen. «Gerade in Zeiten, in denen uns die Herzen schwer sind und die Debatten manchmal hitzig, ist es umso wertvoller, das offene und vertrauensvolle Gespräch zu pflegen», schrieb sie zu dem Gespräch auf Twitter. Melnyk machte deutlich, dass er sich grünes Licht für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine erhoffe. Außerdem erwarte er einen Lieferstopp für russisches Gas und Öl. Einem generellen Energie-Embargo hat die gesamte Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP eine Absage erteilt.

Melnyk hatte in den vergangenen Wochen immer wieder mit scharfen Worten den früheren Russland-Kurs der SPD verurteilt und mehr deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert. Am Wochenende kam es zu einem harten Schlagabtausch, als der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) in einem Gastbeitrag für den «Spiegel» «gezielte Angriffe» auf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisierte und Melnyk «Verschwörungstheorien» vorwarf.

Vor Eskens Treffen mit Melnyk hat sich SPD-Chef Lars Klingbeil unterdessen auch für eine klare EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine ausgesprochen. «Die Menschen in der Ukraine sind Europäerinnen und Europäer. Sie kämpfen für unsere europäischen Werte und mit großer Entschlossenheit gegen Putins brutale Truppen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Ukraine hatte kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs die Mitgliedschaft in der EU beantragt und dringt auf ein beschleunigtes Verfahren. Bei einem früheren Gespräch Eskens mit Melnyk am 6. April war auch Klingbeil dabei.