Geschichte unter Wasser Insel Reichenau: Taucher entdecken archäologische Sensation

Ein Unterwasser-Archäologe taucht im Bodensee im Flachwasser, um eine Reihe von Unterwasser-Pfählen aus dem Mittelalter zu fotografieren (Aufnahme mit Drohne).
Ein Unterwasser-Archäologe taucht im Bodensee im Flachwasser, um eine Reihe von Unterwasser-Pfählen aus dem Mittelalter zu fotografieren (Aufnahme mit Drohne). Foto: picture alliance/dpa | Felix Kästle

Taucharchäolgische Forschungen des Landesamtes für Denkmalpflege Baden- Württemberg (LAD) brachten es ans Licht: Drei hölzerne Pfahlreihen aus dem Jahr 909/910 nach Christus befinden sich in der Flachwasserzone um das Weltkulturerbe Klosterinsel Reichenau.

Bei einem Pressetermin in Reichenau-Mittelzell präsentierte das LAD erste exaktere Untersuchungsergebnisse. Das Projekt „Reichenau unter Wasser“ geht der Frage nach, welchen Zweck die drei entdeckten Holzpfahlreihen mit rund 2.500 Pfählen unter Wasser erfüllt haben und in welcher Verbindung sie zum Inselkloster standen. Wochenblatt-Redakteur Wilfried Vögel erläutert, was es nach Informationen des LAD mit den Pfahlreihen auf sich hat.

Die Insel Reichenau gehört seit dem Jahr 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Bisher umfasst der geschützte Bereich die Fläche der Insel bis zur Uferzone. Die Untersuchung der Flachwasserzone schlägt ein neues Kapitel in der Erforschung des Weltkulturerbes Insel Reichenau auf. Erst Untersuchungen machen deutlich, wie umfangreich sich die Raumplanung rund um das Kloster im Mittelalter gestaltete.

Dr. Bertram Jenisch vom Fachgebiet Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit  vom LAD präsentierte die Ergebnisse der diesjährigen Forschungskampagne.

Eine Luftaufnahme zeigt die Insel Reichenau in ihrer ganzen Pracht.Bild: picture alliance/dpa/Werner Kuhnle
Eine Luftaufnahme zeigt die Insel Reichenau in ihrer ganzen Pracht.
Bild: picture alliance/dpa/Werner Kuhnle

Pfähle gehen auf die Gründungsphase des Klosters zurück

Die Pfahlreihen wurden, so Dr. Jenisch, vor wenigen Jahren entdeckt und zuerst nur ansatzweise untersucht. Erst kürzlich folgten sogenannte „taucharchäologische Forschungen“ dieser drei Holz-Pfahlreihen in der Flachwasserzone. Dabei entnahm man eine Datierungsprobe. Für die Archäologen war das eher eine „junge Geschichte“. Die Pfähle gehen auf die Gründungsphase des Klosters zurück. Die Archäologen stellten sich die Frage, ob und welche Zusammenhänge zwischen den drei Pfahlgruppen an der Nordseite der Insel Reichenau und der Klostergründung bestehen.

Die erste entdeckte Pfahlreihe westlich von Mittelzell hat eine Länge von rund 500 Metern. Bei der Kirche St. Georg befindet sich eine zweite Reihe mit einer Länge von rund 600 Metern. Bei Niederzell befindet sich die dritte, etwas kürzere Reihe.

Oliver Nelle vom Landesamt für Denkmalpflege zeigt am Ufer des Bodensees einen Pfahl aus dem Mittelalter, der vor der Insel Reichenau im Flachwasser war. Bild: picture alliance/dpa | Felix Kästle

1.300 Eichenpfähle untersucht um „datierendes Material“ zu finden

Bei der Untersuchung ging es, so Dr. Jenisch, zuerst einmal darum, sogenanntes „datierendes Material“ zu finden. Bis heute hat das LAD rund 1.300 Pfähle konkret erfasst. Aus jedem zehnten Pfahl hat man eine Probe entnommen. Die ging an den Leiter des Dendrolabors, Dr. Oliver Nelle, in Hemmenhofen am Bodensee.

Interessant war die Lage zwischen der Tief- und Flachwasserzone. Dabei stellte sich die konkrete Frage nach dem Alter der Pfähle.

Unterwasserarchäologe Dr. Nelle untersuchte die Hölzer, die von den Tauchern geborgen wurden. Dabei sägte man unter Wasser aus den Pfählen eine Scheibe aus. Diese brachte man dann verpackt ins Labor.

Eichen für die Pfähle wurden exakt 909 nach Christus gefällt

Laut Dr. Nelle handelt es sich dabei um Eichenholz. Dabei konnte er insbesondere die Jahresringe genauer unter die Lupe nehmen. Jeder Jahresring wurde exakt ermittelt und gemessen. Jeder dieser Jahrringe konnte einer Jahresringkurve zugeordnet werden. Das konnte man dann mit einem exakten Fälldatum der Bäume in Verbindung bringen. Dabei hat Dr. Nelle festgestellt: Exakt 909 nach Christus wurden die für die Pfahlreihen genutzten Bäume gefällt.

Denn der letzte Jahresring konnte exakt auf das Jahr 909 nach Christus datiert werden. Der Baum wurde in der sogenannten Winterruhe geschlagen, also zwischen August 909 und Frühjahr 910 nach Christus.

Die Pfahlreihen, die vor der Klosterinsel Reichenau im Bodensee gefunden wurden, stammen Experten zufolge aus dem Mittelalter. Sie wurden zwischen August 909 und Frühjahr 910 nach Christus datiert, sagte Nelle. Bild: picture alliance/dpa | Felix Kästle
Die Pfahlreihen, die vor der Klosterinsel Reichenau im Bodensee gefunden wurden, stammen Experten zufolge aus dem Mittelalter. Sie wurden zwischen August 909 und Frühjahr 910 nach Christus datiert, sagte Nelle. Bild: picture alliance/dpa | Felix Kästle

Holz wurde zeitnah verbaut

Die Hölzer wurden samt Rinde zeitnah, also 910 eingebaut, lagen also nicht auf Vorrat. Fälldatum war also auch gleichzeitig Baudatum.

Es waren relativ junge Bäume. Die Bäume waren maximal 60 Jahre alt und stammten offenbar aus Waldbewirtschaftung. Woher sie kamen, lässt sich heute nicht mehr sicher sagen. Eichen waren in dieser Zeit relativ häufig.

Die untersuchten Pfähle bestehen überwiegend aus Eichenholz. Die Stämme wurden offenbar mit Metalläxten und Holzkeilen bearbeitet und bei Bedarf gespalten.

Aus einem Stamm wurden je nach Umfang bis zu sechs Pfähle gewonnen.

Archäologische Untersuchungen an Land und im See

Dr. Julia Goldhammer vom Fachgebiet Feuchtbodenarchäologie berichtete von der harten Arbeit der Taucher der Fachfirma UwArc in einem Meter Wassertiefe. Die Arbeiten fanden überwiegend in der Winterzeit statt. Sie führte des Weiteren aus, dass Archäologie nicht nur an Land sondern auch in den umliegenden Gewässern untersucht werden müsse. Oft würden auch unter Wasser spannende Strukturen gefunden.

Dr. Jenisch ergänzte, dass man 1.300 Pfähle habe lokalisieren können. Weitere lägen aber noch vollständig im Seeboden sodass sich die Gesamtzahl auf rund 2.500 Stück belaufen könne. Die Pfähle waren ursprünglich drei bis vier Meter lang und schauten aus dem Wasser heraus. So sei fast ein kleiner Wald verbaut worden, der sicher nicht von der Insel sondern aus dem Hinter-/Festland und dem Besitz der Abtei stammte.

Das Kloster wurde 724 v.Chr. gegründet und besaß umfangreiche Ländereien auf dem Festland.

Archäologen arbeiten auf vielfältigem Terrain. So wie Martin Mainberger. Er ist selbstständiger Unterwasserarchäologe und steht hier im Bodensee, um mit seinen Kollegen vor der Insel Reichenau im Flachwasser nach historischen Pfählen aus dem Mittelalter zu suchen. Bild: picture alliance/dpa | Felix Kästle
Archäologen arbeiten auf vielfältigem Terrain. So wie Martin Mainberger. Er ist selbstständiger Unterwasserarchäologe und steht hier im Bodensee, um mit seinen Kollegen vor der Insel Reichenau im Flachwasser nach historischen Pfählen aus dem Mittelalter zu suchen. Bild: picture alliance/dpa | Felix Kästle

Abt Hatto III. war eine schillernde Person

Verglichen mit der Klostergeschichte führte die Pfahlreihe in eine spannende Phase. Damals war Hatto III. (um 850 geboren, gestorben am 15. Mai 913) Abt, eine äußerst schillernde Persönlichkeit. Er war nicht nur auf der Reichenau Abt sondern auch noch Abt von drei weiteren Abteien, nebenbei auch noch Erzbischof von Mainz. Er war nicht nur als Kirchenmann sondern auch als Politiker aktiv. Hatto war unter drei spätkarolinischen Königin Kanzler – sozusagen einer der mächtigsten Politiker im Deutschen Reich damals, so Dr. Jenisch, aber kein „frommer Mann im Betstübchen“.

Er war viel unterwegs, u.a. auch in Rom beim Papst, der ihm die St. Georgs-Reliquien übergeben hatte. Unter Hatto wurde St. Georg gebaut – zur Verehrung dieser Reliquien.

Das Münster in Mittelzell geht ebenfalls auf Hatto zurück. Er war damit einer der bedeutendsten Äbte der Klostergeschichte auf der Reichenau. Er hatte, so Dr. Jenisch, sozusagen den „Bauwurm“. Die Pfahlreihen gehen wohl auf seine Initiative zurück.

Ein Blick ins Innere der Abtei auf der Insel Reichenau. Bild: picture alliance / Westend61 | Michael Runkel
Ein Blick ins Innere der Abtei auf der Insel Reichenau. Bild: picture alliance / Westend61 | Michael Runkel

Pfahlreihen dienten der „Verkehrslenkung“ auf dem Wasser

Wie war nun der Zusammenhang mit dieser Pfahlreihe? Waren sie für den  Hochwasserschutz gedacht? Heute geht man davon aus, dass diese Anlagen direkt am Übergang von der Tief- zur Flachwasserzone eher dazu gedient haben, den Schiffsverkehr zu lenken, damit die beladene Frachtkähne nicht im Flachwasser auf Grund gelaufen sind. Vor der Insel Richtung Allensbach floss ein Zweig des Rheinstromes mit schwierigen Strömungsverhältnissen. Dazu kam häufig auch Nebel. Mit den Pfahlreihen konnte man die Hafenanlagen sichern und die Kähne vor dem Kentern oder Auflaufen schützen.

Die alte Uferlinie konnte man im Rahmen der Untersuchung ebenfalls rekonstruieren. Sie verlief damals direkt vor dem Münster. Die Klostermauer lag in dieser Zeit unmittelbar am Seeufer. Das heutige Gelände davor wurde nach und nach immer weiter aufgeschüttet.

Den alten Hafen legte man im Schutz vor Westwinden an. Die Pfähle im Wasser sollten die Schiffe offenbar sicher zum Hafen leiten.

Ergänzend zur Baugeschichte des Münsters bildeten die Pfähle einen interessanten, ergänzenden Aspekt, weil das gesamte Baumaterial für das Kloster auf dem Wasserweg transportiert werden musste.

Reichenau, Allensbach, Radolfzell bildeten eigenen Wirtschaftsraum

Im gegenüberliegenden Allensbach und in Radolfzell gab es ähnlich Hafenanlagen. Beide Orte erhielten im Mittelalter das Marktrecht von der Reichenau. Es entstand sozusagen einen eigenen Wirtschaftsraum, der über Wasserwege gesichert werden musste.

Die Pfahlreihen wurden bereits vor einigen Jahren entdeckt, aber 2019 erstmalig untersucht. Die jetzt festgestellte Dimension der Anlage wurde aber erst jetzt anhand der taucharchäologischen Untersuchungen deutlich.

Auf diese Weise wurde ein eindeutige Datierung möglich. Alle drei Pfahlreihen stammen aus der gleichen Zeit.

Dr. Jenisch führte weiter aus, dass ihm ähnliche mittelalterlichen Hafenanlagen am Bodensee nicht bekannt seien. Im kommenden Jahr könne man ein großes Klosterjubiläum verbunden mit einer großen Landesausstellung feiern und da passe diese Untersuchung sehr gut in den Kontext.

Umfangreiche Raumplanung rund um das Kloster im Mittelalter

Die Untersuchungen haben deutlich gemacht, wie umfangreich sich die Raumplanung rund um das Kloster bereits im Mittelalter gestaltet hat. Das Unterwasser-Projekt des LAD zeigt die Bedeutung der archäologischen Denkmalpflege für die Erforschung unseres kulturellen Erbes.

In den kommenden Wochen werden sich die Archäologen*innen mit der weiteren Auswertung der Ergebnisse befassen. Weitere Tauchgänge sind nicht geplant.

Große Landesausstellung 2024 präsentiert die Ergebnisse

Die Ergebnisse der Untersuchung werden 2024 dann im Rahmen der großen Landesausstellung zur Reichenau im Badischen Landesmuseum in den Räumen des Archäologischen Landesmuseums in Konstanz der Öffentlichkeit präsentiert.