Inklusive Workshops zur „Euthanasie“: Das Unbegreifliche hinterfragen

Mitorganisatorin der Workshopreihe Susanne Droste-Gräff führt in die Workshopreihe ein.
Mitorganisatorin der Workshopreihe Susanne Droste-Gräff führt in die Workshopreihe ein. (Bild: Stiftung Liebenau)

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Die grauen Busse sind zu einem Sinnbild für Massenmord geworden: Mehr als 500 Menschen mit Behinderungen oder Erkrankungen sind mit diesen Bussen in den Jahren 1940/41 aus Liebenau und Rosenharz abgeholt und in Grafeneck und Hadamar umgebracht worden. Seit vielen Jahren gedenkt die Stiftung Liebenau Ende Januar der Opfer dieser sogenannten Euthanasie.

Jetzt bekommt die Erinnerungskultur eine neue Dimension: In verschiedenen Workshops befassen sich Menschen mit und ohne Behinderungen mit der Liebenauer Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus und hinterfragen das Unbegreifliche.

Eingebunden in die Erinnerungskultur

„Viele Menschen mit Behinderungen, aber auch Mitarbeitende der Stiftung Liebenau haben Fragen zu dem damaligen Geschehen. In der Workshop-Reihe wollen wir Antworten suchen und in einen Dialog miteinander treten“, erklärt Susanne Droste-Gräff, stellvertretende Pressesprecherin der Stiftung Liebenau und Mitorganisatorin des Projekts. Die Workshops ziehen sich zum Teil durchs ganze Jahr und richten sich sowohl an Bewohnerinnen und Bewohner von Einrichtungen der Stiftung Liebenau als auch an Mitarbeitende. Das Besondere: „Menschen mit Behinderungen werden so intensiv wie noch nie zuvor in die Erinnerungskultur der Stiftung Liebenau miteinbezogen“, sagt sie.

Auftakt am bundesweiten Gedenktag

Dass das Bedürfnis, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, tatsächlich vorhanden ist, zeigte das Interesse an der Auftaktveranstaltung, in der wie an Marktständen die Inhalte und Methoden aller Workshops vorgestellt wurden. Der Termin dafür war mit Bedacht gewählt worden: Es war der bundesweite Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, der sich auf die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 bezieht. Die Stiftung Liebenau nimmt diesen Gedenktag seit vielen Jahren zum Anlass, um an die Opfer einer mörderischen Politik zu erinnern, die sich anmaßte, Menschen für „lebensunwert“ zu erklären.

Zum Auftakt der Workshop-Reihe wurden die Inhalte und Methoden in kleinen Gruppen erläutert. Hier erklärt der Heilpädagoge Stephan Becker, worum es bei der Fahrt in die Gedenkstätte Grafeneck geht.
Zum Auftakt der Workshop-Reihe wurden die Inhalte und Methoden in kleinen Gruppen erläutert. Hier erklärt der Heilpädagoge Stephan Becker, worum es bei der Fahrt in die Gedenkstätte Grafeneck geht. (Bild: Stiftung Liebenau)

Denkanstöße für die Gegenwart

„Was geht mich das an?“, lautet der Titel der Workshop-Reihe. Damit ist bereits angedeutet, dass es nicht darum geht, in der Vergangenheit zu verharren. Sondern: „Durch unser Gedenken bekommen die Menschen, die damals wehrlos waren, wieder eine Bedeutung“, erklärt der Heilpädagoge und Mitorganisator Stephan Becker. Ihm ist nicht nur die Wissensvermittlung wichtig, sondern auch der Umgang mit den Gefühlen, die dabei entstehen. „Wir wollen aber auch Denkanstöße für die Gegenwart geben und fragen: Was können wir tun, wenn Unrecht geschieht?“, erklärt er.

Ausdruck mit und ohne Worte

Sieben Workshops bieten die Möglichkeit, sich dieser Thematik aus verschiedenen Perspektiven anzunähern, sich in Situationen hineinzuspüren und einen Ausdruck dafür zu finden – mit und ohne Worte. Es gibt einen Foto-Workshop, einen Theater-Workshop, eine Schreibwerkstatt und eine Gruppe, die einen Podcast erstellt. Jeder Workshop ist mit mehreren Terminen im Jahresverlauf verbunden und wird von Fachkräften der Stiftung Liebenau professionell begleitet. Zudem werden zwei Fahrten zu Gedenkstätten angeboten – zum einen in die einstige Tötungsanstalt Grafeneck, zum anderen in das damalige Arbeitslager Goldbacher Stollen bei Überlingen.

(Pressemitteilung: Stiftung Liebenau)