Impfpflicht: SPD und Grüne treten auf die Bremse

Die Debatte über eine mögliche Impfpflicht braucht Zeit, sagen SPD und Grüne.
Die Debatte über eine mögliche Impfpflicht braucht Zeit, sagen SPD und Grüne. (Bild: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa)

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Die Omikron-Welle rollt, eine allgemeine Impfpflicht wird sie nicht stoppen können. Dennoch fordert die Union Tempo bei dem Vorhaben. Ampelkoalitionäre dämpfen hingegen die Erwartungen.

Berlin (dpa) – Die Debatte über eine allgemeine Impfpflicht im Kampf gegen die Corona-Pandemie in Deutschland könnte sich hinziehen.

Politiker von SPD und Grünen dämpften am Wochenende Erwartungen an einen raschen Beschluss des Bundestages. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte dem Berliner «Tagesspiegel»: «Die Beratungen im Bundestag sollten wir im ersten Quartal zum Abschluss bringen.» Das sei ein anspruchsvoller Zeitplan. Mit Blick auf mögliche Verzögerungen sagte er, die Impfpflicht wirke ohnehin nicht kurzfristig, sondern sei «perspektivisch eine Vorsorge für den kommenden Herbst und Winter».

«Keine einfache Entscheidung»

Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann, betonte: «Das ist keine einfache Entscheidung, das bedeutet einen tiefen Eingriff.» In den Fraktionen müsse zunächst diskutiert werden, welche Vorstellungen es gebe. «Und dann können wir Ende Januar die öffentliche Debatte im Bundestag darüber führen», sagte Haßelmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Frage sei «so relevant und weitgehend», dass es eine «fundierte und sehr sorgfältige Beratung» brauche. Haßelmann selbst sprach sich für eine Impfpflicht aus.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte hingegen der «Bild am Sonntag»: «Der Bundestag sollte schnell entscheiden, ob eine Impfpflicht eingeführt wird. Und wenn ja, für wen.» Die Abgeordneten müssten sich aber auch die Zeit für eine sorgfältige Abwägung nehmen.

Abstimmung ohne Fraktionsvorgaben

Über eine Impfpflicht soll der Bundestag ohne Fraktionsvorgaben abstimmen. Eine schnelle Entscheidung wird es aber voraussichtlich nicht geben. Im Gespräch ist zunächst eine «Orientierungsdebatte» im Januar. Die SPD strebt den Abschluss eines Gesetzgebungsprozesses «im ersten Quartal» an, also bis Ende März.

Der Deutsche Städtetag setzt auf eine rasche Entscheidung. «Um die Pandemie hinter uns zu lassen, müssen wir ganz überwiegend geimpft sein, das schaffen wir vermutlich nur mit einer allgemeinen Impfpflicht», sagte Städtetagspräsident Markus Lewe den Funke-Zeitungen. «Die notwendige Debatte dazu muss der Bundestag zügig führen und entscheiden. Dann würden wir besser gerüstet in die fünfte Welle gehen.»

Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, in der Frage aktiver zu werden. «Der Bundeskanzler kann jetzt nicht mit verschränkten Armen warten, ob es Vorschläge aus dem Parlament gibt oder nicht. Da wird wertvolle Zeit vertrödelt. Das ist das Gegenteil von Führung, das ist Arbeitsverweigerung!», sagte der CDU-Politiker der «Bild am Sonntag».

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstrich die Bedeutung einer hohen Impfquote im Kampf gegen die Pandemie. Eine Impfpflicht sei «auch für weitere Varianten wichtig, die sich noch entwickeln können», sagte er der «Welt am Sonntag». Nach eigenen Angaben arbeitet der SPD-Politiker derzeit «als Abgeordneter» an einem Vorschlag für eine allgemeine Impfpflicht für Über-18-Jährige.

Umfrage: Mehrheit für Impfpflicht

Eine Mehrheit der Bürger spricht sich einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa zufolge für eine allgemeine Impfpflicht aus. In der Umfrage für die «Bild am Sonntag» befürworteten 61 Prozent eine solche Impfpflicht, 32 Prozent sind dagegen, 7 Prozent machten keine Angabe.

Die Frage einer allgemeinen Impfpflicht war auch Thema der Bund-Länder-Beratungen am Freitag. «Alle 16 Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder haben sich dazu bekannt, dass sie für eine allgemeine Impfpflicht sind», hatte Kanzler Scholz im Anschluss gesagt. Die Runde hatte auch neue Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung beschlossen – unter anderem eine flächendeckende 2G-plus-Regelung in der Gastronomie und geänderte Quarantänebestimmungen.

Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Sonntag erneut einen Anstieg der bundesweiten Sieben-Tage-Inzidenz. Es gab den Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche mit 362,7 an. Am Vortag hatte der Wert bei 335,9 gelegen. Vor einer Woche lag die bundesweite Inzidenz bei 222,7 (Vormonat: 390,9). An diesem Montag beginnen in den letzten acht Bundesländern nach den Weihnachtsferien wieder die Schulen, darunter in den drei bevölkerungsreichsten Ländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg.

Der Ärzteverband Marburger Bund befürchtet unterdessen, dass sich viele Menschen unbemerkt mit der Omikron-Virusvariante infizieren. «Es besteht die Gefahr, dass viele Menschen ihre Corona-Infektion gar nicht als solche wahrnehmen und lediglich von einer Erkältung ausgehen», warnte die Verbandsvorsitzende Susanne Johna im Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Sonntag). Sie riet, auch bei ganz leichten Symptomen einen Antigen-Schnelltest zu machen.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt appellierte an die Menschen, sich wegen der rasant ausbreitenden Omikron-Variante umgehend impfen oder eine Auffrischungsimpfung geben zu lassen. Wer noch nicht erst- und zweitgeimpft sowie geboostert sei, sollte dies dringend nachholen, sagte Reinhardt der «Rheinischen Post» (Sonntag). «Zwar schützt auch die Booster-Impfung nicht verlässlich vor einer Corona-Infektion, sehr wahrscheinlich bleibt einem aber ein schwerer Krankheitsverlauf mit Krankenhausaufenthalt oder sogar intensivmedizinischer Behandlung erspart», machte Reinhardt deutlich.