Immer zur Stelle, wenn Herz, Hirn und Hand gebraucht werden: Lindaus Ehrenbürgerin Anneliese Spangehl wird 95

Immer zur Stelle, wenn Herz, Hirn und Hand gebraucht werden: Lindaus Ehrenbürgerin Anneliese Spangehl wird 95
Heute ist ihr Ehrentag: Lindaus Ehrenbürgerin Anneliese Spangehl wird 95! (Bild: Wilfried Vögel)

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine macht sie traurig und fassungslos

Lindau – Man sieht ihr die 95 Jahre nicht an. Die Augen sind hellwach, der Verstand messerscharf. Sie interessiert sich für das Geschehen in Lindau, dem Landkreis und in der ganzen Welt nach wie vor brennend. Wilfried Vögel hat die „Powerfrau“ ein paar Tage vor ihrem 95. Geburtstag in ihrer Wohnung An der Kalkhütte auf der Lindauer Insel besucht.

Ihre kommunalen Verdienste aufzuzählen ist fast nicht möglich. 30 Jahre gehörte sie dem Lindauer Stadtrat an, 32 Jahre dem Lindauer Kreistag. 12 Jahre lang war sie als erste Frau stellvertretende Landrätin. 1988 erhielt sie die Dankurkunde für die Verdienste um die kommunale Selbstverwaltung, 2002 die Verdienstmedaille des Landkreises, 2013 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Immer war sie zur Stelle wenn „Kopf, Hirn und Hand“ gefragt waren.

Seit dem 8. Mai 2015 ist sie Ehrenbürgerin der Stadt Lindau. Und das ist mehr als verdient, denn auch ihr soziales Engagement kann man nicht hoch genug loben. 24 Jahre lang war sie Stiftungspflegerin des Evangelischen Heilig-Geist-Hospitals auf der Lindauer Insel. Und das in turbulenten und schwierigen Zeiten, als das altehrwürdige Gemäuer sich mit hohem finanziellen Aufwand vom Altenwohnheim in ein modernes Altenpflegeheim wandelte – ein nicht nur finanzieller Kraftakt, der alle Beteiligten enorm forderte, ja sogar bis an ihre Grenzen brachte.

Elf Jahre lang leitete sie den Seniorenbeirat des Landkreises Lindau. Und zu Zeiten, in denen sich andere zur Ruhe setzen und ihren Lebensabend genießen, gründete sie zusammen mit anderen engagierten Mitbürgern die Bürgerstiftung „Wir helfen“ für in Not geratene Bürger. Mit einem engagierten Team hat sie seither vielen Menschen in Stadt und Landkreis mit Spendengeldern in schwierigen Lebenslagen unter die Arme gegriffen – und tut es auch heute noch unermüdlich und selbstlos.

Mit einer gewissen Sorge beobachtet sie, wie sich ihre Heimatstadt Lindau nach und nach verändert. Annelise Spangehl dazu: „Ich sehe, wie immer mehr traditionsreiche Häuser verschwinden und seelenlosen Betonbunkern Platz machen, wie Baufinanzierer auf Kosten des Stadtbildes Profit machen. Das stimmt mich traurig“.

Dazu kommt, dass die Jubilarin selbst aus einer alteingesessen Handwerkerfamilie, der „Georg Schneider Holzbau“ stammt. Das Stammhaus befand sich dort, wo die Stadt Lindau im Erdgeschoss Kunst präsentiert, in der ehemaligen Hauptpost auf der Insel. Als der Betrieb dort dem Postgebäude weichen musste, zog er ans Aeschacher Ufer (heute Wohnquartier Am Alpengarten). Ihr Vater war Betriebsleiter, der Onkel Eigentümer. Die Firma spezialisierte sich auf hölzerne Fertighäuser. Spangehl: „Mein Elternhaus, ein hölzernes Musterhaus, stand anlässlich der Handwerker- und Gartenausstellung 1925 im Stadtgarten am Eingang zur Insel.  Bald schon wurde es abgetragen und an der Brougierstraße in Aeschach wieder neu aufgebaut. Die Wände waren damals schon mit Kork isoliert, einfach eine solide Handwerksarbeit. Wir waren damals schon der Zeit voraus“.

In Lindau entstanden einige dieser Fertighäuser. Erst kürzlich wurde zu ihrem Leidwesen im Näherweg wieder ein solches Schmuckstück abgerissen. Es muss einer größeren neuen Wohneinheit weichen.

Frau Spangehl ist in Lindau eingeschult worden und ist später selbst Lehrerin mit Herzblut, Leib und Seele in Lindau geworden. Bis zur Schulleiterin in der Grundschule Aeschach hat sie es gebracht. Es hat ihr immer großen Spaß gemacht, ihren Schulkindern den Start ins Leben zu ebnen und leichter zu machen. Lange war sie auch im Personalrat der Lehrerschaft tätig, über Jahre hinweg auch dessen Vorsitzende.

Auch in der Kirchengemeinde St. Stephan war Annelies Spangehl viele Jahre aktiv.

Der damalige Oberbürgermeister Josef Steurer hat sie in die Kommunalpolitik gebracht. Zu dieser Zeit waren Frauen in politischen Ämtern noch eine Seltenheit. Spangehl erinnert sich: „Auch damals wurde um viele Entscheidungen hart gerungen, manchmal sogar erbittert gekämpft. Am Ende stand da aber meistens ein Kompromiss, den dann fast alle mitgetragen haben. Leider ist das oft nicht mehr so. Immer mehr greift heute der Egoismus um sich“.

An vielen wichtigen Entscheidungen hat sie aktiv mitgewirkt. Sie erinnert sich: „Da war die neue Kläranlage, die die Wasserqualität des Sees zusammen mit anderen wieder deutlich verbessert hat. Damals war noch nicht davon die Rede, dass die Fische wegen des sauberen Wassers nicht mehr genug Nahrung finden würden. Auch die Eröffnung der Fußgängerzone auf die Insel war ein Highlight, ebenso die Einführung des Lindauer Stadtbusses. Diverse Schulgebäude wurden neu gebaut bzw. renoviert“.

Nach wie vor eines der wichtigsten Ereignisse des Jahres ist für sie das Lindauer Kinderfest. Unzählige Schulkinder hat sie auf dieses größte Lindauer Fest vorbereitet und eingestimmt. Sie erinnert sich an das 300. Kinderfest: „Es hat in Strömen geregnet. Ich hatte mir zuvor in Sizilien ein eierweißes Spitzenkleid extra dafür gekauft. Die grün-weißen Bändel der Erinnerungsmedaille haben damals auf Kleid abgefärbt. Aber wir haben die Lindauer Nationalhymne „Lindau hoch“ trotzdem wie alle anderen auch mit voller Inbrunst mitgesungen“.

Auf den Krieg in der Ukraine angesprochen wird Spangehl einsilbig und traurig: „Das ist für mich unfassbar. Ich bin tief bedrückt und geradezu fassungslos. Nie hätte ich damit gerechnet, dass nach mehr als 70 Jahren Frieden in Europa wieder ein Krieg ausbrechen könnte, der ebenso grausam wie sinnlos ist. Ich habe noch selbst den Zweiten Weltkrieg miterlebt, habe Sirenen heulen hören, Luftschutzbunker erlebt, weiß wie sich Leid und Schmerz anfühlen, wenn man geliebte Menschen verliert. Wir haben alle geglaubt, dass sich das niemals wiederholen würde. Putin hat uns alle getäuscht, um unter allen Umständen seine Macht zu sichern und auszubauen. Das alles lässt einen fast mut- und ratlos zurück. Vielleicht haben wir geglaubt, dass Frieden selbstverständlich ist. Jetzt wissen wir, dass man nie aufhören darf, dafür einzutreten und zu kämpfen“.

Auf die Frage, was sie jungen Menschen aufgrund ihrer Lebenserfahrung mit auf den Weg geben könne, hat sie mehrere Antworten parat: „Geht Euren eigenen Weg, mischt Euch ein, wann und wo es notwendig ist, vertretet Eure Meinung, pflegt soziale Bindungen, setzt Euch für ein verständnisvolles und tolerantes Miteinander ein,  redet mehr miteinander und weniger über einander, setzt Euch für Kompromisslösungen ein und steht dann auch dahinter!“

Das Wochenblatt wünscht der Jubilarin alles Gute und noch viele Jahre mit Glück, Zufriedenheit und vor allem Gesundheit!