Tödlicher Raketeneinschlag Hinweise auf ukrainische Flugabwehrrakete in Polen

Nach dem Einschlag einer Rakete in Polen kommen am Rande des G20-Gipfels mehrere Staats- und Regierungschefs für Beratungen zusammen.
Nach dem Einschlag einer Rakete in Polen kommen am Rande des G20-Gipfels mehrere Staats- und Regierungschefs für Beratungen zusammen. (Bild: Steffen Hebestre/Bundesregierung/dpa)

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In Polen schlägt nahe der Grenze zur Ukraine eine Rakete russischer Bauart ein und tötet zwei Menschen. Moskau weist jede Verantwortung von sich. Es gibt Hinweise auf tragische Umstände.

Nusa Dua/Warschau/Moskau (dpa) – Nach dem tödlichen Raketentreffer im Osten Polens gibt es Hinweise darauf, dass es sich bei dem Geschoss um eine Flugabwehrrakete aus der Ukraine handelt. Das teilte US-Präsident Joe Biden am Mittwoch nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur bei einem Treffen mit anderen Staats- und Regierungschefs von Nato- und G7-Staaten auf Bali mit. Er soll demnach von einer Rakete des Systems S-300 gesprochen haben. Das System sowjetischer Bauart ist wesentlicher Bestandteil der ukrainischen Flugabwehr.

Von mehreren Seiten hieß es nach dem Treffen, Moskau trage mit seinem Beschuss der Ukraine die Verantwortung für den Vorfall in Polen. Dies gelte selbst dann, wenn es sich tatsächlich um eine ukrainische Abwehrrakete gehandelt haben sollte.

Biden hatte nach dem Krisentreffen öffentlich erklärt, die in Polen nahe der ukrainischen Grenze eingeschlagene Rakete sei wahrscheinlich nicht von Russland aus abgefeuert worden. Es gebe entsprechende Informationen über die Flugbahn, die dem entgegenstünden. «Ich werde sicherstellen, dass wir ganz genau herausfinden, was passiert ist», ergänzte er.

Die russische Regierung bestritt, Ziele im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet beschossen zu haben und sprach von einer gezielten Provokation.

An dem Krisentreffen nahmen die Staats- und Regierungschefs der sieben großen westlichen Demokratien (G7) sowie andere Nato- und EU-Staaten teil. «Wir bieten Polen unsere volle Unterstützung und Hilfe bei den laufenden Ermittlungen an», hieß es danach in einer Erklärung. «Wir verurteilen die barbarischen Raketenangriffe, die Russland am Dienstag auf ukrainische Städte und zivile Infrastrukturen verübt hat.»

Am Tisch saßen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die Regierungschefs aus Großbritannien, Italien, Kanada und Japan. Biden hatte zuvor mit dem polnischen Präsident Andrzej Duda telefoniert. Polen versetzte einen Teil seiner Streitkräfte in eine höhere Bereitschaft.

Scholz: Raketenvorfall in Polen sorgfältig aufklären

Scholz sprach sich für intensive Untersuchungen des Vorfalls aus. «Es ist jetzt notwendig, dass sorgfältig aufgeklärt wird, wie es dazu gekommen ist, dass diese Zerstörung dort angerichtet werden konnte», sagte er. Zugleich verurteilte der Kanzler die jüngsten Angriffe auf die Ukraine scharf. «Das ist keine akzeptable Form der Kriegsführung in diesem ohnehin ungerechtfertigten Krieg», sagte er.

Nach Angaben der polnischen Regierung war eine «Rakete aus russischer Produktion» im ostpolnischen Dorf Przewodow sechs Kilometer von der Grenze zur eingeschlagen. Nach Feuerwehrangaben wurden dabei zwei Menschen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb getötet.

Die Nachrichtenagentur Interfax Ukraina in Kiew hatte unter Berufung auf Militärexperten berichtet, Fotos von Trümmerteilen an der Einschlagstelle deuteten auf Raketen des Flugabwehrsystems S-300 hin.

Polens Armee: Luftabwehr kann nicht das ganze Territorium schützen

Der tödliche Raketentreffer in Polens Grenzgebiet zur Ukraine konnte nach Darstellung des polnischen Generalstabs von der Raketenabwehr des Nato-Landes nicht verhindern werden. Die Aufgabe der Systeme bestehe darin, kritische Infrastrukturen zu schützen,teilte die Armeeführung am Mittwoch per Twitter mit. «Keine Armee verfügt über ein Luftabwehrsystem, das das gesamte Territorium eines Landes schützt. Ein Raketenangriff zeichnet sich dadurch aus, dass ein ausgewähltes Ziel punktgenau getroffen wird und nicht mehrere Ziele über große Gebiete hinweg zerstört werden.»

Nato will am Vormittag beraten

Ein Sprecher der polnischen Regierung erklärte, man habe mit den Nato-Verbündeten beschlossen, zu überprüfen, ob es Gründe gebe, die Verfahren nach Artikel 4 des Nato-Vertrags einzuleiten. Artikel 4 sieht Beratungen der Nato-Staaten vor, wenn ein Land die Unversehrtheit seines Gebiets, seine politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht sieht.

Moskau spricht von gezielter Provokation

Das Verteidigungsministerium in Moskau sprach von einer gezielten Provokation. Es seien keine Ziele im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet beschossen worden. Auch die in polnischen Medien verbreiteten Fotos angeblicher Trümmerteile hätten nichts mit russischen Waffensystemen zu tun. Russland hatte die Ukraine am Dienstag nach Kiewer Zählung mit mehr als 90 Raketen und Marschflugkörpern beschossen.

Ukraine dringt auf Flugverbotszone

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte über den Raketeneinschlag in Polen gesagt: «Dies ist ein russischer Raketenangriff auf die kollektive Sicherheit!» Kiew dringt nach dem Einschlag der Rakete auf polnischem Gebiet auf die Einrichtung einer Flugverbotszone. «Wir bitten darum, den Himmel zu schließen, weil der Himmel keine Grenzen hat», schrieb Verteidigungsminister Olexij Resnikow auf Twitter.

Russland beschießt Infrastruktur in der Ukraine

Durch die gezielten russischen Angriffe auf die Energieversorgung fiel nach Angaben von Präsident Selenskyj zeitweise für zehn Millionen Menschen der Strom aus. Für acht Millionen Menschen habe die Versorgung später wieder hergestellt werden können. Der Mittwoch ist für die Ukraine der 266. Tag im Abwehrkampf gegen die russische Invasion.

G20 wollen Russlands Angriff auf die Ukraine verurteilen

Das G20-Treffen geht am Mittwoch zu Ende. Dabei soll auch eine Erklärung verabschiedet werden, mit der Russlands Krieg gegen die Ukraine verurteilt wird. Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der Kremlchef Wladimir Putin vertrat, hatte das Treffen bereits am Dienstag verlassen.