Unterstützung für Trauernde Hilfe für Suizid-Angehörige: Trauergruppe startet

In einer neuen Trauergruppe erfahren Angehörige von Menschen, die Suizid begangen haben, Unterstützung.
In einer neuen Trauergruppe erfahren Angehörige von Menschen, die Suizid begangen haben, Unterstützung. (Bild: picture alliance / Zoonar | Robert Kneschke)

Über 9.000 Menschen nehmen sich jährlich in Deutschland das Leben. Was bleibt sind sprachlose Angehörige, die sich oft die Schuld geben und täglich aufs Neue gegen widersprüchliche Gefühle ankämpfen. Ein kleiner Strohhalm sind Trauergruppen. Am 5. November startet eine ‘geschlossene Selbsthilfegruppe‘ in Wangen. Wir haben mit einer betroffenen Familie gesprochen.

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, steht die Welt für einen Moment still und danach ist nichts mehr so wie es war. Das Leben geht zwar weiter, aber es wird ein anderes sein. Bei uns sterben jährlich mehr Menschen durch Suizid als bei Verkehrsunfällen. Allein in den Landkreisen Ravensburg und Bodenseekreis sind es ca. 35 Suizidtode pro Jahr. Eine Zahl, die erschreckend ist.

Es ist immer schwer für die Angehörigen, wenn ein Mensch aus dem Leben scheidet. Tut er dies freiwillig und unerwartet, bleiben viele Fragen.(Bild: picture alliance / photothek | Ute Grabowsky)
Es ist immer schwer für die Angehörigen, wenn ein Mensch aus dem Leben scheidet. Tut er dies freiwillig und unerwartet, bleiben viele Fragen.(Bild: picture alliance / photothek | Ute Grabowsky)

Haben wir versagt? – Die Frage nach der Schuld

Angehörige stehen neben der Trauer vor quälenden Fragen, hinzu kommen Schmerz, Scham, Wut und Enttäuschung. Nicht zu vergessen die Selbstvorwürfe, die täglich aufs Neue nagen: „Hätten wir was tun können? Warum haben wir es nicht kommen sehen? Wir haben versagt!“ Ehen gehen auseinander, Partnerschaften zerbrechen und ganze Familien leiden ein Leben lang.

Ähnlich geht es Hans und Lisa Köster* aus dem Allgäu. Ihr gemeinsamer Sohn hat vor vier Jahren in seinem eigenen Haus Suizid begangen. Der Vater hat ihn gefunden, der Notarzt kam, doch es war zu spät. So eine Situation möchte sich niemand vorstellen und doch finden sich viele Menschen in einer solchen wieder. „Man greift nach jedem Strohhalm, jedes tröstende Wort und jede Umarmung tut gut. Man reflektiert, grübelt und in der Endlosschleife dreht sich die Frage ‘Haben wir versagt?‘.“

Unterstützung aus dem Umfeld lässt schnell nach

Die Wochen vergehen, die gutgemeinten Worte der Bekannten und Freunde versiegen schnell, für alle kehrt wieder Normalität ein, nur leider für die Betroffenen nicht. „Vielen Menschen fehlt das Verständnis und die Empathie, sich mit Trauernden zu unterhalten. Oft wären es nur Kleinigkeiten, ein Nachfragen, ein Anruf am Geburtstag des Kindes… Unser Sohn ist zwar tot, aber er wird für uns ewig weiterleben. Von der Kirche hätten wir uns auch mehr erwartet. Wir sind fest im Glauben, hadern nicht mit Gott, aber sind doch enttäuscht, wie wenig Hilfe es von dieser Seite gab. Das soll kein Vorwurf an das gesamte Umfeld sein, es tut halt manchmal einfach nur weh. Als ich nach dem Tod unseres Sohnes nach 5 Wochen wieder zur Arbeit ging, begrüßte mich eine Kollegin mit den Worten: ‘Und, ist jetzt wieder alles gut?‘ Das sind Worte, die nehmen einem gleich wieder den kompletten Boden unter den Füßen weg,“ so Hans Köster.

Spezielle Trauergruppen sind wichtig

In unserer Region gibt es wenige Trauergruppen für Angehörige von Suizidopfern, obwohl sie doch so wichtig für die Betroffenen wären. Leiter Alexander Nikendei, Notfallsanitäter, Trauerbegleiter und Diplom-Pädagoge, richtet sich in der neu beginnenden Trauergruppe in Wangen gezielt an „Trauernde nach Suizid“. Er hat schon mehrere Gruppen geleitet und weiß, dass die Unterstützung aus dem Umfeld schnell nachlässt, die Menschen mit ihrem Schmerz alleine bleiben und dazu oft noch eine Art Ablehnung aus dem Bekanntenkreis erfahren müssen, da Suizid für viele ein Tabuthema ist.

Unterstützung und Verständnis sind wichtig. Auch Wochen, Monate, Jahre nach dem Verlust.(Bild: picture alliance / Bildagentur-online/Beg)
Unterstützung und Verständnis sind wichtig. Auch Wochen, Monate, Jahre nach dem Verlust.
(Bild: picture alliance / Bildagentur-online/Beg)

Für das Ehepaar Köster sind diese speziellen Trauergruppen eine Hilfe. „Wir haben zwar viel Rückhalt durch unsere anderen Kinder und die nahen Verwandten, trotzdem haben wir uns damals gleich einer Gruppe angeschlossen und haben Trost und Verständnis erfahren. Ich kann hier meinem Sohn etwas näher sein, er wird nicht vergessen und das Gefühl, dass es noch andere Menschen gibt, die dasselbe erleiden, tut gut. Man ist kein Außenseiter, jeder erzählt über sein Schicksal, man hört zu, es entwickeln sich Freundschaften, man versteht sich und stärkt sich gemeinsam. Wichtig sind auch die Erfahrungen und der Umgang mit der Trauer, die gibt man weiter und jeder kann sie aufgreifen“, so Lisa Köster.

„Trauernde nach Suizid“ ist eine geschlossene Gruppe

Die neue Gruppe in Wangen beginnt am Samstag, 5. November, mit einem Einführungstag. Es folgen insgesamt 8 Abende, die sich bis in den März 2023 erstrecken. Die für die Trauernden schwierige Zeit um Weihnachten und Neujahr ist bewusst in diesen Zeitraum eingebettet. Im Unterschied zu anderen Selbsthilfegruppen ist dies eine geschlossene Gruppe, die gemeinsam startet und bis zum Ende zusammenbleibt. „Dieser gemeinsame Weg wird als sehr wertvoll wahrgenommen,“ so Alexander Nikendei.

Anmeldungen sind bis zum 31. Oktober möglich. Nähere Infos und Anmeldung: Kontaktstelle Trauerpastoral in Weingarten, Tel. 0751 / 3541050 oder per Mail an [email protected]

Familie Köster bietet bei Interesse an, nach dem Ende der neu beginnenden Trauergruppe selbst eine Gruppe ins Leben zu rufen. Das Ziel, ihre Erfahrungen bei Treffs einmal im Monat weiterzugeben. Dafür nimmt Hans Köster an verschiedenen Schulungen teil. Damit möchte er Betroffenen helfen. Niemand soll in seiner Trauer allein bleiben müssen.

Wenn Sie dringend eine Anlaufstelle benötigen, um über Ihren Kummer zu sprechen und sich über Hilfsangebote zu informieren, können Sie sich 24 Stunden täglich, 365 Tage im Jahr, bei der Telefonseelsorge melden. Per Telefon 0800 / 111 0 111 , 0800 / 111 0 222 oder 116 123 per Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de. Das Angebot ist natürlich kostenfrei.



*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.