Grün-Schwarz im Corona-Chaos

Grün-Schwarz im Corona-Chaos
Baden-Württembergs SPD-Chef Andreas Stoch. (Sebastian Gollnow/dpa)

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Stuttgart (dpa/lsw) – Andreas Stoch schimpft oft und gerne auf die grün-schwarze Landesregierung, das gehört zu seinem Jobprofil als Oppositionspolitiker. Aber dass immer noch keine Strategie für Corona-Hotspots im Land vorliegt, regt den SPD-Fraktionschef richtig auf. «Es heißt ja Hotspot, weil es heiß ist», sagt er. «Das ist so, wie wenn die Feuerwehr vor dem brennendem Haus steht und diskutiert, welchen Schlauch sie nehmen will.»

Das Haus brennt. Das Land steckt mitten in der zweiten Corona-Welle. Die Infektionszahlen halten sich hartnäckig auf hohem Niveau, während sich die Intensivstationen mehr und mehr füllen. Hunderte Menschen sterben bundesweit jeden Tag. Und der Winter ist noch lang. Am Donnerstag beschließt der Corona-Lenkungskreis der Regierung nach tagelanger Debatte nächtliche Ausgangsbeschränkungen für Hotspots. Aber mit einem klaren Kurs kann die Landesregierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Kampf gegen das Virus derzeit nicht dienen – im Gegenteil. Drei aktuelle Beispiele:

WEIHNACHTSFERIEN-WIRRWARR – Erst nennt Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) einen früheren Start in die Ferien ein kluges Vorgehen, um die Kontakte kurz vor Weihnachten zu minimieren. Sie wolle das aber nicht landesweit anordnen. Ein paar Tage später verkündet dann aber Ministerpräsident Kretschmann einen landesweit früheren Start. Eisenmann hält davon nichts, sagt Probleme mit der Notbetreuung voraus. Bund und Länder beschließen die Verlängerung der Ferien dennoch. Diese Woche macht Baden-Württemberg dann die Rolle rückwärts – mit Verweis auf Betreuungsprobleme. Die Ferien starten nun wie ursprünglich geplant erst am 23. Dezember. Eltern und Schüler sind verwirrt, die Lehrer sind sauer.

HOTSPOT-STRATEGIE – Seit Anfang November ufert das Infektionsgeschehen in manchen Regionen im Land völlig aus. In Mannheim, Pforzheim, Heilbronn und drei weiteren Landkreisen liegt der sogenannte Sieben-Tages-Inzidenzwert, also die Zahl der Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner binnen einer Woche, derzeit über der Marke von 200. Die Bayern haben längst eine Strategie für solche Hotspots beschlossen. In Baden-Württemberg stritten Grüne und CDU tagelang über Ausgangsbeschränkungen – die CDU hatte vor allem Bedenken. Selbst in Koalitionskreisen war von einem «Armutszeugnis» die Rede. Am Donnerstag einigt sich der Lenkungskreis der Regierung darauf, dass nächtliche Ausgangsbeschränkungen in den Hotspots kommen sollen. Aber betroffene Kommunen wollen nicht länger auf das Land und den geplanten Erlass warten. In Mannheim sollen bereits ab Freitagabend Ausgangsbeschränkungen gelten. Auch der Kreis Tuttlingen und der Schwarzwald-Baar-Kreis wollen am Freitag strengere Maßnahmen ankündigen.

ZWANGSQUARANTÄNE – Was tun mit Menschen, die sich partout nicht an Quarantäneregeln halten wollen und andere gefährden? Innenminister Thomas Strobl (CDU) ist für eine strikte Zwangseinweisung solcher Personen in eine zentrale Klinik im Land. Da will Lucha aber nicht mitgehen. Es gehe um Einzelfälle, da sollen sich die Kommunen dezentral drum kümmern, findet der Gesundheitsminister. Auch bei dem Thema gibt es seit Wochen keine Bewegung – auch hier tagt eine Arbeitsgruppe. «Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis», spottet Stoch. Das Krisenmanagement sei katastrophal.

Ist das also schon Wahlkampf? Vor den Kameras lassen die Verantwortungsträger des Landes verlautbaren, dass sich wahlstrategische Manöver über den Kurs in der Pandemie verböten, dafür gehe es um zu viel. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, der Wahlkampf sei in vollem Gange. Die grüne Seite wirft der CDU vor, dass sie permanent in der Pandemie-Politik auf der Bremse stehe, um Lobby-Interessen zu bedienen, von Gastronomen, Hoteliers, Lehrern.

Die CDU-Seite steht zunehmend unter Druck. Ein zartes Rumoren ist zu spüren im Landtag. Die Unruhe wächst mit Blick auf den 14. März 2021. Denn die Umfragewerte für die Christdemokraten lassen weiter zu wünschen übrig, Eisenmann ist vielen Bürgern noch unbekannt. Wenn sie Schlagzeilen macht, dann meist durch den Ärger, der auf sie als Kultusministerin von allen Seiten einprasselt. Eisenmann muss sich nun profilieren und abgrenzen, wenn sie selbst einmal eine Regierung führen möchte. Auch beim Thema Wechselunterricht in Schulen in Hotspots ging sie mehrfach offen auf Distanz zu Kretschmann. Das macht das Regieren nicht einfacher.

Kretschmann hingegen profitiert zwar weiter von seiner hohen Beliebtheit in Umfragewerten. Da mag der Wähler vielleicht hin und wieder ein Auge zudrücken, wenn der Regierungschef nicht immer ganz so tief im Detail steckt. Mitte Oktober zeigten sich zwei von drei Befragten mit der Arbeit von Grün-Schwarz noch zufrieden. Da war die zweite Welle aber noch kaum im Anrollen.

Weitere Kehrtwenden und Zick-Zack-Kurse wie bei den Ferien dürften auch Kretschmanns Ansehen schaden. Aber der Wahltermin rückt näher, in den den kommenden Wochen dürfte sich das grün-schwarze Gezerre noch zuspitzen. «Die Gemeinsamkeiten von Grünen und CDU sind aufgebraucht», sagt Stoch. Corona wird auf jeden Fall zum Wahlkampf-Thema – allein schon, weil der Umgang mit dem Virus alle anderen Themen überlagert.