„Gefangensein hinter Mauern“: Was gegen Einsamkeit helfen kann

Einsamkeit kann krank machen. Oft treten seelische Probleme wie Depressionen, Angstzustände oder Suchtkrankheiten auf.
Einsamkeit kann krank machen. Oft treten seelische Probleme wie Depressionen, Angstzustände oder Suchtkrankheiten auf. (Bild: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa-tmn)

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Nicht jeder, der alleine ist, fühlt sich einsam. Dennoch ist Einsamkeit weit verbreitet – und das Problem hat sich während Corona verschärft. Was hat das für Folgen und was kann dagegen getan werden?

Frankfurt/Bochum (dpa) – Wenig Resonanz, keine Nähe, kaum Austausch: Viele Menschen in Deutschland fühlen sich einsam, und Corona hat das Problem noch einmal verschärft.

«Es ist schwierig, konkrete Zahlen zu nennen, manche Studien gingen bereits vor Corona von einigen Millionen aus», sagt Maike Luhmann, Einsamkeitsforscherin von der Ruhr-Universität in Bochum. Klar sei: «Während der Pandemie hat es eine deutliche Zunahme an einsamen Menschen gegeben. Das betrifft alle Altersgruppen – und insbesondere die Jüngeren.»

Physische und psychische Belastung

Die möglichen Folgen sind gravierend: «Wenn man über längere Zeit einsam ist, kann das zu erheblichen körperlichen und seelischen Problemen führen», erklärt die Wissenschaftlerin. Depressionen, Angstzustände und Suchtkrankheiten könnten verstärkt auftreten. Aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Demenz seien mit Einsamkeit in Verbindung gebracht worden.

Doch wie kann die Einsamkeit gelindert werden? Und was kann die Gesellschaft und vielleicht auch jeder Einzelne tun? Als positives Beispiel gilt für viele Großbritannien. Dort gibt es bereits seit 2018 einen Regierungsposten, der für die Bekämpfung von Einsamkeit zuständig ist. So können Ärzte Rezepte gegen Einsamkeit ausstellen, auf denen sie beispielsweise soziale Aktivitäten verschreiben. Und in den Niederlanden hat eine Supermarktkette Plauderkassen eingeführt, an denen man beim Einkauf noch ein paar Worte wechseln kann.

Kreative Konzepte gegen Einsamkeit

Aber auch in Deutschland tut sich etwas – auf unterschiedlichen Ebenen. In Baden-Württemberg wurden bei einem Aktionstag im letzten Jahr zwanzig «Schwätzbänkle» aufgestellt, um Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Die hessische Landesregierung sucht derzeit bei einem Wettbewerb kreative Konzepte gegen Einsamkeit. «In Hessen gibt es vielfältige und inklusive Aktionen, kleine und große Projekte, die generationsübergreifend gegen Einsamkeit und Isolation wirken – und deren Engagement wollen wir würdigen», sagt Sozialminister Kai Klose (Grüne).

Und Anfang des Jahres wurde das von der Bundesregierung unterstützte «Kompetenznetz Einsamkeit» (KNE) auf den Weg gebracht. «Einsamkeit hat viele Gesichter und Gründe und ist keine Frage des Alters», hatte die damalige Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) erklärt. Bei dem KNE gehe es darum, Wissen zu bündeln, engagierte Menschen zu vernetzen und eine Strategie gegen Einsamkeit zu entwickeln.

Unerfülltes Bedürfnis nach Nähe

Natürlich würden sich immer mal wieder Menschen einsam fühlen, wichtig sei aber, dass daraus kein Dauerzustand werde, sagt Alexander Langenkamp vom Frankfurter Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik und wissenschaftlicher Mitarbeiter beim KNE. «Chronische Einsamkeit ist das, was uns krank macht.» Auch müsse man zwischen Einsamkeit und Alleinsein unterscheiden: «Einsamkeit ist eine negative Empfindung. Alleine sein ist ein körperlicher Zustand. Man kann umgeben von Menschen sein und sich einsam fühlen, man kann aber auch alleine sein und sich glücklich fühlen.»

Die in Frankfurt lebende Moderatorin und Autorin Bärbel Schäfer hat sich zuletzt intensiv mit dem Thema Einsamkeit beschäftigt. In ihrem gerade erschienen Buch «Avas Geheimnis» geht es um ihre Begegnung mit einer alten Bekannten, die einsam ist und um die vorsichtige Annäherung der beiden Frauen. «Einsamkeit bedeutet, sich alleine zu fühlen, nicht verbunden zu sein. Es ist ein Gefangensein hinter Mauern und letztendlich heißt es, keinen Empfänger zu haben für die Bedürfnisse nach Nähe und Austausch», sagt Schäfer.

Sowohl jeder Einzelne als auch die Gesellschaft sollten sensibler mit dem Thema umgehen. Sie rät, dranzubleiben, wenn man erste Signale von einer nahestehenden Person mitbekomme – und diese einzubinden. «Manchmal reicht es auch, einfach nur da zu sein.» Bei der Arbeit an dem Buch hat sich Schäfer auch auf Spurensuche in ihrem eigenen Leben begeben. Vor allem in den Teenagerjahren habe sie Momente der Einsamkeit erlebt: «Dieses suchende Ich ist etwas, das ich auch kenne. Dieses nicht ankommen und sich dabei sehr verloren in der Welt fühlen.»

Thema Einsamkeit ist oft noch ein Tabu

Wichtig sei, Tabus zu brechen, sagt die Autorin. So sei Einsamkeit noch immer ein schambesetztes Thema. «Den Menschen ist dieses stille und unsichtbare Leiden oft gar nicht anzusehen. Das ist anders, als bei einem gebrochenen Bein». Während Pandemie und Lockdown hätten viele Menschen eine Ahnung davon bekommen, was es bedeutet, einsam zu sein. «Corona hat uns wachgerüttelt und für das Thema sensibilisiert. Das kann auch eine Chance sein.»

Doch wie kann es in einer Post-Corona-Zeit weitergehen? Sie rechne damit, dass in diesem Jahr die Zahl einsamer Menschen in Deutschland nach dem Hoch 2021 wieder etwas zurückgehe, sagt Expertin Luhmann. «Was ich aber befürchte, ist, dass die Einsamkeitsschere weiter auseinander geht. Dass sich also die Ungleichheit weiter verstärkt.» Vielen, vor allem den Jüngeren, werde es wohl gut gelingen, ihre Einsamkeit zu überwinden – gerade jetzt wo das soziale Leben wieder los gehe. «Aber es gibt die anderen, die während der Pandemie in eine chronische Einsamkeit gerutscht sind. Sie brauchen unsere Hilfe, um da wieder rauszukommen.»