Freibier für alle

Mike Jörg, seit 1994 bekannt für seinen Jahresrückblick „Wa(h)r was?“
Mike Jörg, seit 1994 bekannt für seinen Jahresrückblick „Wa(h)r was?“ (Bild: PR/Mike Jörg)

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Mike Jörg, oberschwäbischer Kabarett-Grandseigneurs aus Weingarten, heitert Sie, in diesen humorlosen Zeiten, jede Woche bei uns ein bisschen auf. Der Satiriker ist seit 1994 bekannt für seinen satirischen Jahresrückblick „Wa(h)r was?“. Aus bekannten Gründen müssen alle Termine für die treffsicheren Sticheleien landauf und landab leider ausfallen. Nicht aber bei uns. Lassen Sie sich jede Woche überraschen, mit was Mike Jörg Ihre Lachmuskeln digital kitzeln wird. Viel Vergnügen!

Die Hoffnung wächst, die Stimmung neigt sich in Richtung Übermut. Bald gibt es wieder Sommerschlussverkäufe, gibt es wieder Winterschlussverkäufe, bald werden neue Supermärkte öffnen mit super Sonderangeboten? Und in deiner Lieblingskneipe gibt´s zur Begrüßung Freibier. Es herrscht überall Vorfreude. Der Übermut sprießt schneller als der Spargel: Rettung ist in Sicht. Demnächst gibt es den ersten Freischuss für alle. Alle dürfen sich ihr Lieblings-Vakzin spritzen lassen.

Ab sofort kann geimpft werden, bis sich die Nadeln biegen

Privatpatienten stürmen Hausarztpraxen und drohen damit, dass sie sich einen anderen Hausarzt suchen, wenn sie nicht geimpft werden. Und zwar pronto! Jens Spahn hat angekündigt, dass ab dem 7. Juni allen der Impfstoff ihrer Wahl zur Verfügung steht. Das ist viel mehr als „Freibier für alle“. Nur: Es muss endlich schneller gehen mit dem Impfen.  Verdammt noch mal: Wir wollen in den Urlaub fliegen. Warum dürfen nur Ärzte impfen? Es gibt so viele ehemalige Junkies, die haben das mit dem Spritzen richtig gut drauf. Warum kann man sich nicht an einer Tankstelle impfen lassen? Natürlich nur bis 22 Uhr, erst danach wird es kriminell.

Wenn das Gewissen die gute Laune versaut

Bekannte von mir sind vor fünf Wochen nach St. Petersburg geflogen, bisschen Urlaub machen samt Impfung. Die haben sich Sputnik V injizieren lassen. Sputnik heißt Weggefährte, heißt Begleiter. Und die haben wir aktuell nötiger denn je. Aber was wir vor allem brauchen, ist einen Impfpass, in dem mit Stempel und Unterschrift dokumentiert ist, dass du geimpft bist. Ein gefälschter Impfpass kostet höchstens ein Zehntel von dem, was eine Reise nach St. Petersburg kostet. So einen Impfpass kann sich eigentlich jeder leisten. Es sei denn, dass ihm sein Gewissen die gute Laune versaut.  

Mir fällt immer mehr auf, dass diese Pandemie nur anfänglich zu mehr Solidarität geführt hat. Denk nur an die Solidaritätsbekundungen für Ärzte und Pflegekräfte; denk an die vielen Nachbarschaftshilfen, wenn jemand nicht aus der Wohnung durfte; denk an die gesamtgesellschaftliche Bereitschaft, diese vielen – oft auch unsinnigen – staatlichen Verbote ohne Murren zu ertragen; denk an die Priorisierung beim Impfen.

Erst die Kranken und Schwachen

Nach und nach wurde sichtbar, dass Solidarität nicht für alle gilt.

Bevor die meisten über 80-Jährigen überhaupt wussten, wo sie sich impfen lassen können, war so mancher Landrat, Bürgermeister oder gar Bischof längst geimpft.

Im März dann das Theater mit den FFP2 Masken. Jens Spahn hatte vollmundig angekündigt, sie würden kommen, aber sie kamen lange Zeit nicht. Derweilen hatten sich einige seiner Parteifreunde mit Maskendeals eine goldene Nase ergaunert.

Ankündigungen sind eine Stärke von Jens Spahn

Jetzt hat Jens Spahn angekündigt, dass er allen Schülern*innen ein Impfangebot machen wird. Lachen sie nicht. Ankündigungen sind eine Stärke von Jens Spahn. In der nächsten Regierung bekommt er deshalb wieder ein Ministerium, egal was. Hauptsache er macht weiter mit seinen Ankündigungen.