Festnahmen nach Präsidentenmord in Haiti

Ein Mitglied der Sicherheitskräfte versperrt den Zugang zu der Residenz des haitianischen Präsidenten Moïse.
Ein Mitglied der Sicherheitskräfte versperrt den Zugang zu der Residenz des haitianischen Präsidenten Moïse. (Bild: Joseph Odelyn/AP/dpa)

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Haiti steckt seit langem in einer tiefen Krise aus Armut, Gewalt und Korruption – und nun wird auch noch der Präsident ermordet. Die Polizei hat mehrere mutmaßliche Täter gefasst.

Port-au-Prince (dpa) – Trotz erster Festnahmen ist die Lage in Haiti nach der Ermordung des Präsidenten Jovenel Moïse weiter angespannt. Die Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince waren ungewöhnlich leer.

Wer hinter dem Attentat steckt, blieb weiter unklar. Der Karibikstaat steckt seit vielen Jahren in einer schweren Krise. Durch den Mord am Präsidenten hat sich die Lage nun noch verschlimmert.

Nach Angaben der Polizei wurden vier mutmaßliche Täter getötet und zwei festgenommen. Die Verdächtigen seien nach dem Attentat am Rand der Hauptstadt abgefangen worden, sagte Polizeichef Léon Charles am Mittwochabend (Ortszeit) im Fernsehen. «Sie werden getötet oder gefangen genommen.» Einzelheiten zu deren Identität nannte er nicht. Haitis Botschafter in den USA, Bocchit Edmond, bezeichnete die Attentäter als gut ausgebildete und schwer bewaffnete ausländische Söldner. Sie hätten sich als Agenten der US-Drogenbehörde DEA ausgegeben.

Moïse (53) war in der Nacht zum Mittwoch gegen 1.00 Uhr (Ortszeit) in seiner Residenz erschossen worden. Seine Ehefrau Martine wurde dabei schwer verletzt. Sie wurde zur Behandlung nach Miami in den USA gebracht, gut 1000 Kilometer entfernt. Die Zeitung «Le Nouvelliste» berichtete, Moïses Leichnam habe zwölf Einschusslöcher, zum Teil von großkalibrigen Waffen. Sein Büro und sein Schlafzimmer seien durchwühlt worden. Seine Tochter habe sich im Zimmer ihres Bruders versteckt. Zwei Angestellte seien gefesselt worden.

Das Attentat hinterlässt ein Machtvakuum. Da eine für Oktober 2019 vorgesehene Parlamentswahl unter anderem wegen heftiger Proteste gegen Moïse ausgefallen war, gibt es dort seit Januar 2020 kein handlungsfähiges Parlament mehr. Moïse regierte seither per Dekret.

Kurz vor seiner Ermordung hatte Moïse am Montag den Neurochirurgen Ariel Henry zum Interims-Premierminister ernannt. Den Titel hatte seit April Außenminister Claude Joseph inne, der allerdings mangels Parlament nie verfassungsmäßig im Amt bestätigt wurde. Weil Henry bisher nicht vereidigt wurde, nahm Joseph das Heft in die Hand: Er berief eine Sitzung des Ministerrats ein, trat vor die Kameras und unterschrieb Erlasse für 15 Tage Belagerungszustand und Staatstrauer.

In einem Interview mit «Le Nouvelliste» gab sich Henry zurückhaltend. «Ich möchte nicht noch Öl ins Feuer gießen», betonte er. Über Joseph sagte er aber auch: «Meiner Meinung nach ist er nicht mehr Premierminister.» Henry bezeichnete den Belagerungszustand als unnötig. Dieser erlaubt es der Regierung unter anderem, das Militär für Polizeiaufgaben einzusetzen und Rechte der Bürger einzuschränken.

Moïse, der seit 2017 regierte, war äußerst unbeliebt. Ihm wurden Korruption, Verbindungen zu brutalen Banden und autokratische Tendenzen vorgeworfen. Proteste legten Haiti in den vergangenen drei Jahren immer wieder lahm. Zuletzt trieben blutige Kämpfe zwischen Banden um die Kontrolle über Teile der Hauptstadt Tausende Menschen in die Flucht. Am 26. September sind Präsidenten- und Parlamentswahlen sowie ein Verfassungsreferendum geplant. Joseph hat erklärt, an dem Datum festhalten zu wollen.

Der UN-Sicherheitsrat will sich in einem Treffen hinter verschlossenen Türen mit der Lage in Haiti beschäftigen. Es gibt Forderungen, eine internationale Friedenstruppe nach Haiti zu schicken, die für Sicherheit sorgen soll. Manche haitianische Twitter-Nutzer reagierten empört. «Ausländische Interventionen, besonders militärische, sollten niemals eine Option sein», schrieb etwa der Filmemacher Etant Dupain.

Bereits 2004 – nach einem Putsch gegen Haitis ersten demokratisch gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide – war die UN-Stabilisierungsmission Minustah in das Karibikland geschickt worden. Die Sicherheitslage verbesserte sich zwar, die Blauhelme unter brasilianischer Führung machten sich bis zur ihrem Abzug 2017 allerdings äußerst unbeliebt: Sie schleppten Cholera in das Land ein und sollen auch zahlreiche Sexualverbrechen begangen haben.