«Fatale Situation»: Badeunfälle im Südwesten häufen sich

Ein «Betreten verboten»-Schild steht am Neckarufer bei Nürtingen.
Ein «Betreten verboten»-Schild steht am Neckarufer bei Nürtingen. (Bild: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild)

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Sonne, Hitze, volle Freibäder: Viele Menschen suchen bei Sommerwetter Abkühlung in Flüssen und Seen. Immer wieder enden solche Ausflüge tödlich. Dafür sehen Rettungskräfte mehrere Gründe: Neben der Corona-Pandemie spielt dabei auch das Smartphone eine Rolle.

Stuttgart (dpa/lsw) – Ein 81-Jähriger ertrinkt trotz Rettungsrings im Bodensee, eine Achtjährige wird leblos aus einem Mannheimer Badesee geborgen, der Badeausflug eines 26-Jährigen im Ortenaukreis endet tödlich: Im Südwesten kam es im Juni zu zahlreichen Badeunfällen. «Wir haben festgestellt, dass wir eine erhöhte Zahl von Einsätzen hatten», sagte der Präsident des DLRG-Landesverbands Württemberg, Armin Flohr. Die Gründe für die Häufung seien vielfältig, grundsätzlich steige die Zahl der Unfälle bei Sommmerwetter. Doch die Corona-Pandemie verschärft die Situation.

Freibäder hätten bislang streng reglementiert, wie viele Besucher auf das Gelände dürften, sagte Flohr. «Da sagen die Leute, dann gehen wir halt an den Neckar oder an den Rhein.» An Flüssen und Seen gebe es aber oft keine Badeaufsicht, wodurch die Gefahr tödlicher Unfälle im Wasser steige, betonte Flohr. «Dann haben wir die fatale Situation, dass die Leute dafür nicht gut genug schwimmen können.»

Nach Angaben der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) hatten wegen der Corona-Pandemie rund 100.000 Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg keinen Zugang zu Schwimmunterricht. Deshalb setzen die Rettungskräfte auf eine «Ausbildungsoffensive» im Anfängerschwimmen. «In normalen Jahren werden bei der DLRG in Baden und Württemberg über 9500 Seepferdchen abgenommen», sagte Flohr. «2020 waren es nicht einmal 2500.» Die Präsidentin der DLRG Baden, Ingrid Lehr-Binder, betont, man werde «Jahre benötigen», um diesen Abzeichen-Stau abbauen zu können.

Doch nicht nur die «Generation Nichtschwimmer» bereitet den Rettungskräften Sorgen. «Wir haben auch ein Riesenproblem mit Aufsichtspersonen», sagte Armin Flohr. «Die Leute daddeln mit ihren Handys rum und währenddessen ertrinken womöglich die Kinder.» Der Bundesverband der DLRG fordert deshalb Eltern mit einer Videokampagne auf, das Smartphone beim Badeausflug beiseite zu legen.

Darüber hinaus rät die DLRG, sich genau zu überlegen, welche Gewässer sich für Badeausflüge eignen. Rhein und Neckar als Schifffahrtsstraßen seien problematisch, sagte Flohr. «Sie würden ihre Kinder ja auch nicht an der Autobahn spielen lassen. Aber viele Menschen denken sich, Hauptsache Wasser und raus.»

Allerdings wird die Auswahl geeigneter Badestellen zunehmend schwerer. Immer wieder entscheiden sich Gemeinden wie jüngst im oberschwäbischen Bad Saulgau (Landkreis Sigmaringen), Badestege und andere Infrastruktur wie Duschen an öffentlich zugänglichen Seen abzubauen – aus Angst davor, bei Unfällen dort haften zu müssen.

Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs seien die Kommunen in Naturbädern für die Verkehrssicherung verantwortlich, betonte eine Sprecherin der Württembergischen Gemeinde-Versicherung (WGV). In diesen Fällen sei eine Badeaufsicht vor Ort notwendig.

Die können oder wollen sich einige Gemeinden aber nicht leisten – und bauen deshalb Stege und Umkleidekabinen ab. Dann können die Gewässer als «Badestellen» ohne Aufsicht deklariert werden. «Das macht es nur noch schlimmer», sagte der württembergische DLRG-Präsident Flohr. «Aber natürlich sagt kein Bürgermeister, er haftet persönlich für diese Seen.» Die DLRG fordert deshalb, Rechtssicherheit zu schaffen.

Bei der WGV sieht man dafür aber keinen Bedarf. Die Deutsche Gesellschaft für das Badewesen habe zu dem Thema «detaillierte Merkblätter entwickelt», sagte eine Sprecherin. «Sofern die dort entwickelten Kriterien eingehalten werden, sind Kommunen haftungsrechtlich in der Regel «auf der sicheren Seite».»

Auf Nummer sicher gehen sollten nach Ansicht der DLRG aber auch die Badegäste. «Es geht manchmal einfach darum, das Hirn einzuschalten», sagte der württembergische DLRG-Präsident Flohr. «Wenn das auf einem Schild an der Brücke steht, sollte man eben nicht von dort ins Wasser springen.» Ein Sprecher des Landesverbands Baden betonte zudem, aufmerksame Badegäste könnten im Unglücksfall Leben retten: «Je früher ein Unfall erkannt, gemeldet und geholfen wird, desto höher grundsätzlich auch die Überlebenschancen.»