Ein „Frontweib im Hamsterrad“ – die Powerfrau Inge Graf hat sich nie verbiegen lassen

Die Lindauerin Inge Graf setzt sich unermüdlich für Senioren und sozial Benachteiligte ein - ein echte Powerfrau. Sie hat sich nie verbiegen lassen
Die Lindauerin Inge Graf setzt sich unermüdlich für Senioren und sozial Benachteiligte ein - ein echte Powerfrau. Sie hat sich nie verbiegen lassen (Bild: Privat)

Lindau – Sie saß 12 Jahre lang im Lindauer Stadtrat und sechs Jahre im Kreistag des Landkreises Lindau, sie war Seniorenbeauftragte der Stadt Lindau, sie hat sich unglaublich stark ehrenamtlich für soziale Angelegenheiten und die Kultur in ihrer Stadt eingesetzt, war manchmal auch unbequem und hartnäckig, hat sich aber nie verbiegen lassen. Die Rede ist von der Powerfrau Inge Graf.

Heute lebt das 73jährige „Stehaufweibchen“ in der Bindergasse auf der Lindauer Insel und hat allen Grund über ihr unglaubliches, ehrenamtliches Engagement aber auch über die Zukunft der Lindauer Insel nachzudenken. Kaum jemand in Lindau kennt seine Heimatstadt so gut wie Inge Graf, kann unglaublich viele Geschichten erzählen und das tut sie auch nach wie vor sehr gerne – immer wieder auch auf Facebook im Internet.

Ihre Kindheit, die sie im Zentrum von Aeschach verbracht hat, war alles andere als einfach oder gar glücklich. Als ungewolltes Kind und als Nachkömmling zweier deutlich älterer Schwestern musste sie viel Leid ertragen, wurde geschlagen, eingesperrt, trug sich sogar mit Selbstmordgedanken. Das alles hat sie nur stärker und härter gemacht. Mit 16 ging sie von zuhause weg, kehrte aber mit 18 wieder zurück. Sie machte eine Ausbildung als Pflegerin im Krankenhaus. Schon früh entwickelte sie den Drang und das starke Gefühl, anderen, schwächeren helfen zu wollen, ja zu müssen.

Das zieht sich wie ein roter Faden durch ihr weiteres Leben. Eine Schulfreundin bescheinigte ihr ein ausgeprägtes Helfersyndrom. Ihre Ehe scheitert, jahrelang muss  sie die Schulden ihres verschwenderischen Mannes abzahlen. Private Schicksalsschläge bleiben ihr nicht erspart. Sie pflegt die blinde Mutter und nimmt den an Alzheimer erkrankten Vater zu sich. Die Tochter kommt schwerbehindert zur Welt.  Das macht sie sensibel für Behinderungen. Aber sie beißt sich durch.

Graf engagiert sich in der SPD, geht in die Kommunalpolitik als Stadt- und Kreisrätin. Den Blick auf Menschen, die oft am Rande der Gesellschaft stehen, verliert sie dabei aber nie – ganz im Gegenteil. Längst hat sie der Partei aber enttäuscht den Rücken gekehrt. Das „Soziale“ sei längst auf der Strecke geblieben.

Inge Graf hat sehr viele Veranstaltungen für Senioren in und um Lindau vorbereitet und zum Erfolg geführt
Inge Graf hat sehr viele Veranstaltungen für Senioren in und um Lindau vorbereitet und zum Erfolg geführt (Bild: Inge Graf)

Sie entwirft Angebote für Senioren, gründet den Seniorentreff in Lindau, den Seniorentag, den Seniorenbeirat, die Seniorenplattform Bodensee, die Lindauer Kulturwochen für Senioren, die Schreibwerkstatt „Goldener Oktober“, den „Tanz auf dem Schönbühl“, den Stammtisch „44 plus“ und vieles mehr. Aber das ehrenamtliche Engagement bringt ihr außer extrem viel Arbeit kaum was ein. Manchmal fühlt sie sich wie im Hamsterrad gefangen.

Sie hält trotzdem unzählige Vorträge, veranstaltet Halb- und Ganztagesausflüge für Senioren. Immer wieder stellt sie verschiedenste Anträge um die Lebensbedingung von Senioren auf allen Ebenen zu verbessern. Dabei kommt ihr ihre Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit zugute. Oft bleibt sie aber im Verborgenen und überlässt bescheiden anderen Erfolg, Ruhm und Ehre.

Besonders gerne erinnert sie sich an die Zeit, als sie in der Hauptschule Aeschach unter schwierigsten Umständen für Lehrer und Schüler ein gesundes Essen kochte. Mit viel Salat und Gemüse. Inge Graf: „Das sollte sie von Pommes und Gummibärchen fernhalten“. Für die Schulkinder ist sie Mutter, Freundin, Oma, Beichtmutter, Vertrauensperson, heute würde man das wohl Schulsozialarbeiterin nennen.

Manchmal grüßen sie die Kinder, inzwischen längst erwachsen, noch. Das freut sie dann ganz besonders. Als die Schule das Essen aus der Kantine des Krankenhauses kommen lässt, ist diese Zeit wieder vorbei. Sie wird nicht mehr gebraucht. Das hat ihr weh getan.

Sie testet Spiele für Senioren, die dann als Reklame für die Spielwarenmesse verwendet wurden. Auch für Peugeot und Ford hat sie Autos darauf untersucht, inwieweit sie seniorengerecht sind.

Seit vielen Jahren veranstaltet sie für Interessierte einen „Bummel durch die Insel“, gespickt mit Histörchen, die sogar manch eingefleischter Lindauer nicht mal kennt.

Immer wieder wird sie auch von gesundheitlichen Problemen gequält und muss sich verschiedenen Operationen unterziehen. Trauriger Höhepunkt ist aber eine schwere Hirnhautentzündung, von der sie sich nur mühsam erholt hat.

Mit geprägt hat sie die tiefe Freundschaft zu Lindaus Ehrenbürger, dem Malerpoeten Martin Thomann, mit dem sie bis zu seinem Tod viel Zeit verbrachte. Er bestärkt sie in ihrem sozialen Engagement.

Seit 20 Jahren lebt sie auf der Lindauer Insel und macht sich viele Gedanken, wie es mit der Insel weitergehen soll. Inge Graf: „Die Kinder brauchen mehr Platz zum Spielen, z.B. auf dem tristen Hafengelände (das nur Touristen schön finden….) mit vielen Mauern und Asphalt, aber wenig Grün. Inge Graf: „Wir müssen die Kinder wieder mehr in den Mittelpunkt rücken“.

Aber auch die Insulaner selber sollten mehr Zusammenhalt finden. „Da sollten viel mehr Straßenfeste stattfinden, damit sich die Menschen aus der Nachbarschaft besser kennenlernen können“.

Mit Wehmut sieht sie, wie ein Traditionsgeschäft nach dem anderen auf der Insel schließt, weil die einheimischen Kunden fehlen. In der aktuellen Diskussion um Parken und Wohnen hat sie klare Vorstellungen: „Wir brauchen einfach mehr Auffangparkplätze am Stadtrand, die in kurzen Intervallen mit Bussen an die Insel angebunden werden. Die vielen Fremden sollten nicht mehr ungebremst und ungestört mit dem eigenen Auto auf die Insel fahren dürfen“. Auch dass jetzt E-Scooter die Insel befahren werden, kann sie nicht nachvollziehen.

Auch die vielen Ferienwohnungen auf der Insel sieht sie ausgesprochen kritisch. Inge Graf ist sicher, dass da die Dunkelziffer enorm hoch ist. „Da ging viel kostbarer Wohnraum verloren, meistens unwiederbringlich und man hat da in der Stadtpolitik viel zu spät Einhalt geboten“.

Auch dass sich kaum ein Autofahrer im Inselkern an die vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit hält, Radfahrer sich oft rücksichtslos benehmen und sich an keine Verkehrsregeln halten, ist ihr ein Dorn im Auge. Ein Allheilmittel hat aber auch sie nicht parat. Nur: „Das müsste alles viel besser überwacht und kontrolliert werden“.

Heute genießt sie den Ausblick von ihrer Altane über den Dächern von Lindau und macht sich darüber Gedanken, über das Erlebte ein Buch zu schreiben
Heute genießt sie den Ausblick von ihrer Altane über den Dächern von Lindau und macht sich darüber Gedanken, über das Erlebte ein Buch zu schreiben (Bild: Inge Graf)

Heute genießt sie den Ausblick von ihrer Altane über den Dächern von Lindau und macht sich darüber Gedanken, das Erlebte demnächst in ein Buch über ihr bewegtes  Leben zu fassen. Da wäre unglaublich viel für die Nachwelt zu berichten.

Ein paar Ratschläge hat sie für die Herausforderungen einer alternden Welt parat: „Möglichst gesund und kompetent alt werden, die eigene Selbständigkeit und Unabhängigkeit möglichst lange erhalten, sich die Lebensqualität auch in der letzten Lebensphase sichern und das Altern in Würde gestalten“.