Tradition vs. Sicherheit Diskussionen um sichere Reithelme statt traditioneller Zylinder beim Blutritt in Weingarten

Die Kleidung der Reiter ist beim Blutritt in Weingarten genau vorgeschrieben. Doch aktuell werden Forderungen immer lauter, den Zylinder gegen einen sichereren Reiterhelm zu tauschen.
Die Kleidung der Reiter ist beim Blutritt in Weingarten genau vorgeschrieben. Doch aktuell werden Forderungen immer lauter, den Zylinder gegen einen sichereren Reiterhelm zu tauschen. (Bild: Daniela Leberer)

Beim Blutritt in Weingarten letzten Freitag, stürzte ein Teilnehmer vom Pferd und zog sich schwere Verletzungen zu. Es war nicht der erste Unfall auf der Prozession. Deshalb wird jetzt diskutiert: Sollen sichere Reithelme statt der vorgeschriebenen Zylinder getragen werden?

Immer wieder kommt es vor, dass es beim Blutritt in Weingarten zu Unfällen kommt. Ein 73-jähriger Reiter aus der Blutreitergruppe Aulendorf ist letzten Freitag vom Pferd gestürzt und hat sich Verletzungen am Kopf zugezogen. Hätte ein Reithelm anstelle des vorgeschriebenen Zylinders schützen können?

Helme schützen nachweislich

Auch langjährige Pferde- und Reiterfahrung kann nicht vor Unfällen schützen. Pferde sind Fluchttiere und selbst das freundlichste und ruhigste Pferd reagiert unberechenbar, wenn es sich erschreckt. Doch die richtige Kopfbedeckung kann zumindest das Risiko schlimmer Schädelverletzungen reduzieren. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2018 zeigt auf: „Ein Reithelm senkt das Risiko für schwere Schädelverletzungen um 96 % – auch das Risiko von Hirnblutungen ist mit Sicherheitshelm deutlich geringer.“

Ein einheitliches Bild der Reiter auf dem Blutritt ist Vorschrift

Zum Gesamtbild des Blutritts in Weingarten und zur Anzugsordnung gehören: Frack, Zylinder, schwarze Hose und Krawatte oder Fliege. Das war immer schon so und wird auch von der Blutfreitagsgemeinschaft Weingarten so verlangt. Mit einem Versicherungsbeitrag von 12 Euro pro Blutreiter sind die Reiter – ob mit Helm oder Zylinder – versichert, wenn ein Reiter oder Zuschauer zu Schaden kommt.

Blutritt nur mit traditionellem Zylinder. Daran halten sich die meisten Teilnehmer.
Blutritt nur mit traditionellem Zylinder. Daran halten sich die meisten Teilnehmer. (Bild: Daniela Leberer)

Wenige Unfälle, gemessen an der Zahl der Reiter

„Jeder Blutreiter, der mitreitet, ist sich des Risikos bewusst und reiten ist ein nicht ungefährlicher Sport – egal wo man reitet,“ so Tierarzt Dr. Christoph Ganal. Schon sein Vater war ab Anfang der 50er Jahre für das Wohl der Pferde während der Reiterprozession zur Stelle. Der Junior selbst ist in seine Fußstapfen getreten und betreut nunmehr schon seit 30 Jahren die Pferde beim Blutritt. Mit ihm im Einsatz waren weitere 5 Tierärzte. „Aus tierärztlicher Sicht passiert bei der stolzen Anzahl von rund 2.000 Pferden extrem wenig.“

Erfahrungen werden über Generationen weitergegeben

„Es gibt unter den Blutreitern Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Die Erfahrungen der Reiter im Umgang mit den Pferden beim Blutritt gehen meist vom Opa an den Sohn und dann zum Enkel über. Das ist wichtig und gibt Sicherheit für die Einzelnen. Man kann sich aufeinander verlassen. Viele wissen gar nicht, wie professionell die einzelnen Reitergruppen im Hintergrund alles vorbereiten.“ Sie sehen das Ganze aber vom Boden aus? „Nein, ich bin dieses Jahr selbst mitgeritten und mir des erhöhten Risikos durchaus bewusst.“

Meinungen: So stehen Teilnehmer und Angehörige zum Thema Helm auf dem Blutritt

„Ein Helm würde stören.“

Wie geht es den Frauen, die am Straßenrand stehen, wenn der Mann mitreitet? Helga H. aus dem Deggenhausertal: „Mein Mann reitet seit Jahren in einer Blutreitergruppe mit. Das Thema Helm war bei uns noch nie eines. Die Pferde reiten im Schritt und zur Tradition gehören einfach Frack und Zylinder. Ein Helm würde stören. Bei den Ministranten ist es was anderes und auch wichtig. Da umwuseln die Mütter ihre Kinder und schauen bis kurz vor dem Ritt, dass der Helm auch richtig sitzt. Eine Helmpflicht gibt es aber bei uns nicht, das liegt allein in der Fürsorgepflicht der Eltern.“

Freizeitreiter oben ohne

Tanja S. hat auf ihrem Hof Pferde untergestellt und ihr Mann reitet stolz beim Blutritt mit. „Die Besitzer kommen in der Freizeit und reiten bei uns auf dem Reitplatz oder im Gelände. Wollen sie wissen, wie viele da einen Helm aufhaben? Fast keiner. 90 % reitet oben ohne. Beim Rutenfest in Ravensburg reiten doch auch viele ohne Helm mit, oder?“

„Ohne Helm geht bei mir nichts“

Silvia K. reitet für ihr Leben gerne und hätte beim Blutfreitag jetzt auch mitreiten dürfen. „Wenn ich geritten wäre, dann nur mit Helm. Da mir klar war, dass dies zu einer Endlosdiskussion mit dem Führer unserer Blutreitergruppe geführt hätte, habe ich erst gar nicht den Versuch gestartet.“

Ein erfahrener Begleiter gibt Sicherheit

Was sagt Dekan Ekkehard Schmid, der seit Jahren auf einem Schimmel die Heilig-Blut-Reliquie in der Hand hält? „Bei einem tragischen Vorfall kommt man immer in eine Nachdenklichkeit, der nachgegangen werden muss. Ich selbst hatte rückwirkend betrachtet noch nie Sorge wegen eines Sturzes. Man muss dazu aber auch sagen, dass ich einen erfahrenen Begleiter habe.“

Gute Vorbereitung ist wichtig

Werner Elbs, Geschäftsführer der Blutreitergruppe Baindt: „Ich weiß, dass die Frauen der Blutreiter oft ein ungutes Gefühl haben, wenn die Männer ohne Helm reiten und immer froh sind, wenn alles gutgeht. Natürlich mache ich mir auch Gedanken zum Thema Helm und Sicherheit beim Blutritt, besonders wenn ein Reiter mit einem geliehenen Pferd mitreitet.“ In der Blutreitergruppe Baindt sind dieses Jahr 35 Personen mitgeritten, 10 Reiter weniger als in den Jahren zuvor.

Auch unterm Jahr muss geübt werden

Bei den Baindter Blutreitern ist es wie bei vielen anderen Gruppen ebenfalls sehr wichtig, dass die Blutreiter auch unterm Jahr aktiv reiten und Unterricht bekommen. „Jeder muss sich gut vorbereiten. Da dies durch den Pferdemangel und Corona nicht bei allen gewährleistet und möglich war, sind weniger Reiter mitgeritten. Die gute Vorbereitung und Sicherheit gehen vor. Bei uns ist es egal, ob ein Mann oder eine Frau mitreitet, wichtig ist die Liebe zum Blutritt, der Glaube und dass der Rosenkranz perfekt sitzt,“ so Elbs mit einem Schmunzeln. „Wer weiß, wie sich die Dinge noch verändern. Die Frage der Sicherheit ist ein wichtiges Thema und bedarf sicherlich noch einiger Diskussionen.“

Wie sieht es im professionellen Reitsport aus?

In einer Pferdezeitung stand neulich: „Der Helm ist salonfähig und pass gut zum Frack.“ Hört sich vernünftig an. Bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung heißt es in einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2019: „Ob im Turniersport oder im Freizeitbereich, bei der Dressur, dem Springen oder dem Freizeitreiten, gerade mit einem lebendigen Sportpartner können unvorhergesehene Ereignisse einen aus dem Gleichgewicht bringen – mit mehr oder weniger fatalen Folgen. Vor einem Reitunfall schützt auch der größte Erfahrungsschatz und das bravste Pferd nicht, allerdings können viele Verletzungen durch das Tragen der richtigen Ausrüstung verhindert werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Reithelm, denn er schützt eines der empfindlichsten und gleichzeitig wichtigsten Körperteile, den Kopf.“ Aus diesem Grund hat der Verband auch die Kampagne „Helm-Helden“ mit namhaften deutschen Profireitern ins Leben gerufen.

Kein Kommentar

Der Geschäftsführer der Blutfreitagsgemeinschaft Weingarten e.V. wollte sich auf Anfrage des Wochenblattes nicht zum Thema äußern.

Pro und Contra

Die Meinungen zwischen Tradition und Sicherheit werden sicherlich noch lange andauern. Fakt ist, dass einen lebendigen Sportpartner immer wieder unvorhergesehene Ereignisse aus dem Gleichgewicht bringen können. Laut Angaben der Polizei wurden bei der Reiterprozession in Weingarten acht Pferdeunfälle registriert. Zu wünschen ist, dass der verunglückte Reiter aus der Blutreitergruppe Aulendorf wieder vollkommen gesund wird.