Die Abgeordneten begrüßen schärfere Maßnahmen

Die Abgeordneten begrüßen schärfere Maßnahmen
v.l. Martin Gerster (SPD), Anja Reinalter (Bündnis90/Die Grünen), Josef Rief (CDU). (Bild: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka // picture alliance / Eibner-Pressefoto | EIBNER/DROFITSCH // picture alliance/dpa | Jörg Carstensen)

Im Vorfeld der gestrigen Bundestags- und Bundesratssitzung zur Corona-Pandemie hat das Wochenblatt die Bundestagsabgeordneten Anja Reinalter (Bündnis90/Die Grünen), Martin Gerster (SPD) und Josef Rief (CDU) nach ihrer persönlichen Meinung zu wichtigen Themen rund um die Pandemie befragt. Abseits des Plenarsaales, in dem es oft zur „Sache geht und auch gestern wieder hitzig debattiert wurde, fielen die Antworten der Abgeordneten aus der Region erfreulich sachlich aus.

Warum wurden Booster-Impfungen so spät ermöglicht?

Reinalter: Die Lage in Deutschland hat eine äußerste Dramatik. Wenn die vierte Welle nicht schnell gebrochen wird, droht dem Krankenhaussystem im Dezember wieder eine Überlastung. Das ist schlichte Mathematik. Schon im Sommer war klar, dass sich die meisten Ungeimpften infizieren werden und ein Teil der Infizierten so schwer erkranken wird, dass er in Intensivstationen um sein Leben kämpfen wird. Außerdem war auch klar, dass der Impfschutz abnehmen wird und entsprechend durch Drittimpfung aufgefrischt werden muss. Die Dritt- Impfung oder auch Booster-Impfung genannt, wird erst ab einem Abstand von sechs Monaten zur zweiten Impfung empfohlen. Viele Geimpfte kommen jetzt im Herbst / Winter in diesen Abstand von sechs Monaten und damit an den Punkt an dem die Impfstoffwirkung nachlässt und Impfdurchbrüche wahrscheinlicher werden können. Darum wird die Booster-Impfung jetzt mit Nachdruck empfohlen. Es wäre falsch, weiter abzuarten. Die Lage wird sich nicht von allein verbessern. Wichtig ist, den Impfschutz schnell zu erneuern, und das mit hoher Priorität bei den Älteren. Impfzentren und vor allem mobile Impfteams sollten umgehend ein viel breiteres und unbürokratisches Impfangebot machen, für die Erst- wie für die Booster-Impfung. Es bilden sich jetzt schon wieder Schlangen vor Impfstationen. Die Kapazitäten hätten längst hochgefahren werden müssen.

Gerster: Die von Ihnen aufgeworfenen Fragen werden derzeit in den Fraktionen und im Hauptausschuss des Deutschen Bundestags beraten. Dass Booster-Impfungen „so spät ermöglicht“ wurden, kann ich nicht erkennen. Seit über einem Monat existiert die Empfehlung der Ständigen Impfkommission zur Covid-19-Auffrischimpfung für Personen über 70 Jahren sowie für weitere bestimmte Personengruppen – z.B. Bewohner und Pflegekräfte in Altern- und Pflegeeinrichtungen sowie Immungeschwächte. Die unabhängige STIKO empfiehlt Auffrischungsimpfungen (für mRNA-Impfstoffe) frühestens sechs Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung. Gut möglich, dass die STIKO ihre Empfehlung für Booster-Impfungen demnächst überarbeitet. Für die Umsetzung der Empfehlung sind gleichwohl die Landesregierungen zuständig. In deren Verantwortung liegt auch ein reibungsloser Ablauf der Booster-Impfkampagne.

Rief: Zunächst ist enttäuschend, dass sich immer noch nicht alle haben erst- und zweitimpfen lassen, die dies könnten. Die Notwendigkeit des Boosterns wurde erst nach und nach erkannt. Gründe sind die Delta-Variante, die viel infektiöser ist als der Wildtyp des Corona-Virus. Auch sehen wir die nachlassende Immunisierung, vor allem der Gruppen mit schwächerem Immunsystem, also vorrangig der Älteren, die auch zuerst geimpft wurden. Bei der Bekämpfung des Virus lernen wir immer dazu. So auch bei der Frage einer dritten Impfung.

Warum müssen sich die Beschäftigten im Gesundheitsdienst nicht verpflichtend impfen lassen?

Reinalter: Was jene anbetrifft, die sich noch nicht haben impfen lassen: Bei allem Respekt vor individuellen Entscheidungen, appelliere ich dringend an jeden und jede, diese Entscheidung noch mal zu überprüfen und die Abwägung neu zu treffen. Wer sich impft, schützt die eigene Gesundheit und das eigene Leben und hilft, unser Gesundheitssystem am Laufen zu halten. Darum halte ich persönlich eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen auch nicht für ganz abwegig. Ganz wichtig ist es jetzt aber auch, die kostenlosen Tests endlich wieder zu ermöglichen. Dementsprechend müssen die Testkapazitäten wieder hochgefahren werden. Um jetzt unmittelbar den Schutz für Altenheime und Pflegeeinrichtungen aber auch für Kliniken zu verbessern, braucht es überall eine Testpflicht für Bewohner, Pflegekräfte und Besucher und alle die Personen, die Kontakt zu Patienten haben, auch wenn diese bereits geimpft oder genesen sind. Auch das ist jetzt schon machbar und muss da dringlichst umgesetzt werden, wo es noch nicht der Fall ist.

Gerster: Dass derzeit auch über eine Impfpflicht für bestimmte Berufe diskutiert wird, kann ich nachvollziehen. Wer z.B. im Gesundheitsbereich, in der Pflege oder mit Kindern zu tun hat, übernimmt für seine Schutzbefohlenen dort besondere Verantwortung, gerade auch für deren gesundheitliche Unversehrtheit. Wer in diesen Bereichen eine individuelle Entscheidung gegen die Impfung trifft, gefährdet nicht nur sich, sondern auch viele andere, die auf diese Entscheidung keinen Einfluss haben. Deshalb halte ich die Diskussion für richtig, sie sollte aber nicht überstürzt entschieden werden.

Rief: Beschäftigte im Gesundheitsdienst sind größtenteils ihrer Verantwortung gerecht geworden und haben sich impfen lassen. Sie kämpfen an vorderster Front rund um die Uhr gegen die Pandemie. Ich werbe dafür, dass sich ungeimpfte Pflegekräfte noch impfen lassen. Eine Impfpflicht ist nicht einfach durchzusetzen und könnte zum Verlust von Pflegekräften führen. Ungeimpfte Pflegekräfte sollten für Aufgaben ohne direkten Patientenkontakt eingesetzt werden, soweit dies möglich ist.

Wäre es nicht sinnvoll 2 G dauerhaft anzuordnen?

Reinalter: Aus meiner Sicht sind 2 G –Regelungen in der jetzigen Alarmstufe bei uns im Landkreis Biberach absolut nötig. Wichtig ist aber auch, dass die Regeln konsequent kontrolliert werden. Die Erhöhung der Sicherheit auf 2G plus (Testen von Geimpften) ist für mich auch der logisch nächste Schritt, sobald die Testzentren wieder flächendeckend aufmachen. Außerdem halte ich es dringend geboten 3G-Maßnahmen Arbeitsplatz zu etablieren, um Arbeitsplätze sicherer zu machen. Damit das Bus- und Bahnfahren sicherer wird, sollte aus meiner Sicht auch hier über 3-G gesprochen werden.

Gerster: Die Einführung von verpflichtenden 2G-Regelungen steht den Ländern bereits jetzt zur Verfügung, in Baden-Württemberg tritt angesichts der sehr hohen Hospitalisierungsinzidenz und der Zahl intensivmedizinisch behandelter Corona-Patienten nun die sogenannte Alarmstufe in Kraft. Im Bund diskutieren wir derzeit, ob solche regionalen Maßnahmen durch bundesweit geltende Schutzmechanismen wie 3G am Arbeitsplatz, im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr und mit Testpflichten z.B. in Pflegeeinrichtungen sinnvoll flankiert werden können. Insgesamt legen die Ampel-Parteien jetzt einen umfassenden Gesetzentwurf vor, der einerseits einen Maßnahmenkatalog für die Länder rechtssicher bereitstellt, andererseits selbst angemessene und wirksame Maßnahmen bundesweit ermöglicht, um die vierte Welle einzudämmen. Über diesen Entwurf werden wir am Donnerstag abschließend beraten.

Rief: Wir sehen ja, dass die Länder zunehmend zu 2G übergehen. Und nach meiner Einschätzung brauchen wir bei der aktuellen Dynamik 2G+, also auch die Testung von Geimpften und Genesenen, da diese auch zur Verbreitung des Virus beitragen können. Wir müssen weiter für das Impfen werben, hier müssen wir besser werden und niedrigschwellige Impfangebote machen, z.B. mit mobilen Impfteams. In der jetzigen Lage muss jeder einzelne seinen Beitrag leisten: wenig Kontakte, Maske tragen, impfen lassen. Es wäre das völlig falsche Signal, im aktuellen, beschleunigten Infektionsgeschehen die epidemische Lage aufzuheben und durch schwächere Maßnahmen zu ersetzen.

Aktuelle Entwicklung

Mittlerweile haben sich Bund und Länder bei ihren Corona-Beratungen wohl auf flächendeckende Zugangsbeschränkungen im öffentlichen Leben für nicht geimpfte Menschen geeinigt. So sollen laut Beschlussvorlage nur noch Geimpfte oder Genesene (2G) Zutritt etwa zu Freizeit-, Kultur- und Sportveranstaltungen, Gastronomie sowie zu körpernahen Dienstleistungen und Beherbergungen haben. Die Maßnahmen sollen dann ergriffen werden, wenn die für das jeweilige Land ausgewiesene Hospitalisierungsrate den Schwellenwert 3* überschreitet. * Das ist die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen.