Der Zirkus ist in der Stadt! … und kämpft um Stellplätze und Zuschauer

Manege frei für die Pferde des Zirkus Alessio! Auf Puschel-Deko und enges Zaumzeug wird bei der Dressur verzichtet.
Manege frei für die Pferde des Zirkus Alessio! Auf Puschel-Deko und enges Zaumzeug wird bei der Dressur verzichtet. (Bild: privat)

Clowns, Artisten und exotische Tiere. Der kleine Wanderzirkus „Alessio“ gastiert derzeit in Bad Saulgau. Und hofft darauf, dass das begeisterte Publikum endlich wieder das ganze Zelt ausfüllt. So geht es dem Zirkus nach zwei Jahren Corona, Tierschutzdebatten und Vorurteilen.

Tina Nestelberger (34) ist Zirkusdirektorin und Mutter des 5-jährigen Alessio. Dem Jungen, der dem Zirkus 2017 seinen Namen gab. Sie ist zuständig für die musikalische Untermalung der Vorstellung, Technik und steht selbst in der Manage. Unter anderem schafft sie es, kunstvoll um die 20 Hula-Hoop-Reifen um sich kreisen zu lassen. Gleichzeitig versteht sich. Vater André, seines Zeichens Zirkusdirektor in 9ter Generation, bietet eigene Artistik-Nummern und verschiedene Tier-Dressuren.

Der rote Teppich ist ausgerollt. Das transportable Zirkuszelt lädt Besucher in vielen Städten und Gemeinden zur Show ein. (Bild: Alexander Leumann)
Der rote Teppich ist ausgerollt. Das transportable Zirkuszelt lädt Besucher in vielen Städten und Gemeinden zur Show ein. (Bild: Alexander Leumann)

Tiere in der Manege kommen nicht immer gut an

Letztere sind umstritten. Die Debatte um Tierwohl und Zirkustiere ist alt. Seit Jahren sind bestimmte Tiere in Zirkussen nicht mehr erlaubt. Bären und Elefanten gehörten früher auch in kleinen Zirkussen fest ins Programm. Auch Tina selbst ist noch mit Zirkuselefanten aufgewachsen. Denn sie selbst ist ebenfalls Zirkuskind. In ihrem Fall in der achten Generation. Generation Nummer sieben steht im Zirkus Alessio ebenfalls in der Manege. Und nicht nur das. Mutter Beatrice kümmert sich auch um die Stellplätze. Und hat damit alle Hände voll zu tun. Denn Stellplätze für einen Zirkuszelt, vier LKW und fast 50 Tiere, sind rar. Immerhin GIBT es sie. Doch immer weniger Städte und Gemeinden stellen sie auch einem Wanderzirkus zur Verfügung.

Darum geben die Städte oft keine Standplätze an den Zirkus

Die Gründe dafür vermutet Tina im Fehlverhalten von Kollegen. „Es gibt Städte, die sagen, dass sie ihren Platz nie wieder einem Zirkus anbieten, weil der Letzte ihn schmutzig verlassen hat oder auch mal welche ohne zu zahlen abgehauen sind. Das wirft dann natürlich auch ein schlechtes Licht auf alle anderen Zirkusse. Dabei haben wir eh schon so viel mit Vorurteilen zu kämpfen! Auf die Frage, ob das früher anders war, überlegt die 34-jährige: „Ich denke nicht, dass es besser war. Aber einfacher. Ich kenne die Erzählungen von meinem Opa noch. Der hat davon geschwärmt, wie die Kinder eines Dorfes alle angelaufen kamen, sobald sie auch nur einen Zirkuswagen aus der Ferne gesehen haben. Die waren begeistert, wollten am liebsten mit beim Aufbau mithelfen und saßen dann mit leichtenden Augen auf den Rängen um die Vorstellung zu verfolgen. Heute ist es schwieriger, die Leute dazu zu bewegen, in den Zirkus zu kommen.“

Die Tiere locken Besucher auch außerhalb der Vorstellungen an. Zirkusdirektorin Tina bittet darum, die Tiere NICHT zu füttern. Leider geben einige Menschen den Tieren auch Unverträgliches. (Bild: privat)
Die Tiere locken Besucher auch außerhalb der Vorstellungen an. Zirkusdirektorin Tina bittet darum, die Tiere NICHT zu füttern. Leider geben einige Menschen den Tieren auch Unverträgliches. (Bild: privat)

Exotische Tiere, Artistik, Hochseil und Lasershow

Dabei hat der Zirkus Alessio einiges zu bieten. Von der Lasershow, über Hochseil-Artistik, Zauberei, Akrobatik bis eben hin zu den Tieren, die ein ungewöhnlich bunter Haufen in der Manege sind. Da gibt es zum Beispiel rote Riesenkängurus, Dromedare, Kamele, ein Yak, Wasserbüffel und ein Watussi. Eine Rinder-Art mit extrem auffälligen Hörnern. Dazu Lamas, Hunde und ein Zebra. Das bekommt heute einen Artgenossen zur Gesellschaft, wobei Tina vermutet: „Ich glaube ja, dass das Zebra trotzdem weiter mit den Lamas rumhängt. Die verstehen sich einfach gut.“

Viele Tiere kosten auch viel Geld

Dass sich die Tiere auch mit den Menschen gut verstehen und möglichst artgerecht gehalten werden, betont Tina oft. Die Tiere seien Familienmitglieder, mache von ihnen – wie die kleinen Eselfohlen – hier im Zirkus geboren. Und andere begleiten sie schon ihr halbes Leben. Bei den Tierdressuren achtet die Familie darauf, behutsam mit ihren felligen Familienmitgliedern umzugehen. „Tiere die Angst haben, verhalten sich anders, als unsere. Von unseren Tieren zuckt keines zusammen, wenn man plötzlich den Arm hebt. Sie gehen vertrauensvoll zu den Besuchern und mit den Dressuren lassen wir uns viel Zeit. Wir halten Herdentiere in der Herde, zahlen Versicherungen, Spezialfutter und den Tierarzt“, erklärt Tina. Das Thema liegt ihr offensichtlich am Herzen. Und gerade die Tiere waren es in den letzten zwei Jahren, die dem Zirkus besonders zugesetzt haben.

Drei Generationen Zirkus auf einem Bild: Zirkusdirektor André Kaiser (l.) mit Frau Tina, Sohn Alessio, Tinas Mutter und zwei der Artisten. (Bild: privat)
Drei Generationen Zirkus auf einem Bild: Zirkusdirektor André Kaiser (l.) mit Frau Tina, Sohn Alessio, Tinas Mutter und zwei der Artisten. (Bild: privat)

In der Pandemie gab es keine Auftritte. Zwei Lockdowns lang waren sie auf Futterspenden angewiesen. Die hat Zirkus Alessio bekommen. In einer Menge, mit der die Zirkusleute gar nicht gerechnet haben. Tina Nestelberger sagt gerührt: „Ohne die Unterstützung aus der Bevölkerung gäbe es und heute nicht mehr.“ Und trotzdem: Auch die Hilfsbereitschaft der Menschen konnte nicht verhindern, dass Reserven schnell aufgebraucht waren und der Zirkus heute darum kämpft, die coronabedingten Schulden abzuzahlen.

Der kleine Familienzirkus lässt sich einiges einfallen zur Unterhaltung seiner Zuschauer. Zum Beispiel eine spektakuläre Lasershow. (Bild: privat)
Der kleine Familienzirkus lässt sich einiges einfallen zur Unterhaltung seiner Zuschauer. Zum Beispiel eine spektakuläre Lasershow. (Bild: privat)

So würde man der Zirkusfamilie das Leben leichter machen

Das wiederum funktioniert am besten, wenn viele Besucher kommen. Wenn die Gemeinden wieder mehr Plakate erlauben würden und Stellplätze zur Verfügung stellen könnten. Es wäre auch schon geholfen, wenn mehr Kindergärten und Schulen damit einverstanden wären, Ermäßigungskarten auszulegen. Denn auch das möchten viele nicht. Der Zirkus, der Duft nach Sägespänen und Zuckerwatte, hat in den letzten Jahren an Attraktivität eingebüßt. Doch diese ganz besondere Faszination für künstlerische Unterhaltung, für Artistik … das schlummert noch irgendwo dort unter der Zeltkuppel. Und vielleicht gelingt es dem 11-Mann-Zirkus-Betrieb ja, diese alte Faszination wieder aufleben zu lassen.

Bis Sonntag (15. Mai 2022) gastiert der Zirkus Alessio in Bad Saulgau auf dem Festplatz. Danach geht es weiter nach Bad Waldsee, Amtzell, Ravensburg… Und vielleicht auch bald in Ihre Stadt.