„Der Kreistag entscheidet über die Zukunft der Kliniken“

„Der Kreistag entscheidet über die Zukunft der Kliniken“
MdL August Schuler hinterfragt, ob die Gesundheitsfürsorge für unsere Bürger und Bürgerinnen nicht mehr zählen muss als Wirtschaftlichkeit und Effizienzsteigerungen (Bild: August Schuler MdL)

Nach den SRH-Kliniken in Sigmaringen sorgen mittlerweile auch die OSK-Kliniken im Kreis Ravensburg für Schlagzeilen. Nachdem vor Jahren die Kliniken in Leutkirch und Isny geschlossen wurden, wird jetzt über den Wegfall der Fachklinik in Bad Waldsee diskutiert. In die Diskussion hat sich auch Sozialminister Lucha eingeschaltet, der sich mit seiner Einschätzung, dass die Klinik in Bad Waldsee keine Zukunft habe, für Furore sorgte. Über seine Sicht der Dinge, sprachen wir mit MdL August Schuler (CDU), der den Wahlkreis Ravensburg-Tettnang vertritt.

Herr Schuler, wie sehen Sie die Zukunft der OSK-Kliniken?

Es gilt insgesamt die Krankenhauslandschaft der Region Bodensee-Oberschwaben zu betrachten. Also der Kreise Biberach, Sigmaringen, Ravensburg, Bodensee, Lindau. Dazu kommt im Westallgäu die geographische Nähe zu den Medizinzentren Memmingen und Kempten. Für die OSK gilt das Grundprinzip der kommunalen Trägerschaft. Dazu bekenne ich mich ausdrücklich – ebenso zu den Standorten Ravensburg, Wangen, Bad Waldsee. Es gilt die Belange und den Willen unserer Kreisbevölkerung einzubeziehen – unsere OSK-Kliniken sind für die Menschen da und ein wesentlicher Teil der Daseinsfürsorge. Das medizinische Angebot der OSK muss lauten: bürgernah, verlässlich, bedarfsgerecht, flächendeckend, modern, höchste medizinische Qualität, zukunftsfähig. 2022 kann die OSK ihr 25-jährigem Gründungsjubiläum feiern – im Übrigen eine wegweisende und zukunftsfähige Entscheidung des Kreistages. Bei der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens ist jedoch zu hinterfragen ob nicht die Gesundheitsfürsorge für unsere BürgerInnen mehr zählt als Wirtschaftlichkeit und Effizienzsteigerungen.

Mit seinen Aussagen zur Krankenhauslandschaft hat Minister Manfred Lucha für viel Aufregung gesorgt. Wie stehen Sie dazu?

Der Abgeordnetenkollege und Minister Lucha hat am 9.12.2021 vor dem Kreistag Ravensburg eine Grundsatzerklärung abgegeben. Zur Erinnerung seine Kernthesen: Klares Ja zum vorliegenden Medizinkonzept (von 2021) der OSK-Geschäftsführung und des Aufsichtsrates, eine „excellente“ Medizinstrategie liegt damit vor

  • Abbau von Doppelstrukturen im Landkreis und in der Region
  • das Elisabethen-Klinikum (EK) der OSK in Ravensburg ist das Zentralkrankenhaus des Landkreises
  • eine engere Zusammenarbeit der OSK (bis hin zur Fusion) mit dem Medizincampus Bodensee (MCB)
  • das OSK-Klinikum Westallgäu in Wangen wird zu einem Fachkrankenhaus, die Sicherung des Gesundheitsstandortes wird gewährleistet
  • Schließung der Akutkrankenhäuser in Bad Waldsee (OSK) und in Tettnang (MCB), Umgestaltung in Primärversorgungszentren
  • eine weitere Pauschal- und Projektförderung bzw. Investitionskostenförderung durch das Land wird an eine zukunftsfähige Medizinstrategie gebunden

Der Abgeordnetenkollege und Minister Manfred Lucha ist mir seit bald vier Jahrzehnten als politisch Handelnder in Oberschwaben, als ehemaliger Stadt- und Kreisrat in Ravensburg bekannt. Insofern kenne ich seine Persönlichkeit und seine politische Vorgehensweise. Wir sind beide Teil einer gemeinsamen Regierungskoalition von zwei Regierungsfraktionen. Deshalb bleibe ich „diplomatisch“ zurückhaltend.

Die betroffenen Kommunen und ihre BürgerInnen waren über die Aussagen des Ministers schockiert, empört, fassungslos. Von Bad Waldsee, Wangen über Tettnang bis hin zu Friedrichshafen mit Oberbürgermeister Andreas Brand (FN) als MCB-Aufsichtsratsvorsitzender. Die Verantwortung, betonte Minister Lucha im Kreistag Ravensburg liege jedoch bei den Krankenhausträgern – also bei der OSK und dem MCB – er als Minister „schließe keine Krankenhäuser“ (Zitat).

Warum wird die Bevölkerung mit öffentlichen Planspielen verunsichert, wenn das vom Kreistag beauftragte Gutachten zur Zukunft der OSK Kliniken erst im Frühjahr vorliegt?

Geschäftsführung und Aufsichtsrat der OSK haben bereits 2021 zusammen mit Fachgutachtern eine zukunftsfähige Medizinstrategie entwickelt. Der Hintergrund war die aktuelle Finanzsituation mit bis zu 18 Millionen Euro Minus im vergangenen Jahr. Erste Punkte des Konzeptes werden bereits umgesetzt. Es galt und es gilt Doppelstrukturen an den drei OSK-Häusern abzubauen, medizinische Angebote und Spezialabteilungen zu konzentrieren, die Wirtschaftlichkeit zu „beobachten“ und das Pflegepersonal zu entlasten. Das Medizinkonzept der Geschäftsleitung war über die Personalversammlungen und den Kreistag ab Spätsommer öffentlich bekannt und damit in der öffentlichen Diskussion. Aufgrund einer Vielzahl von Fragen zum aktuellen Medizinkonzept hat der Kreistag ein weiteres (zweites) Gutachten in Auftrag gegeben, das bis zum Mai 2022 vorliegen wird.

Das vom Kreistag beauftragte BAB-Institut hat 2012 durch sein Gutachten für das Aus von Isny und Leutkirch gesorgt. Können Sie die Ängste der Menschen und Mitarbeitenden in Bad Waldsee und Wangen verstehen?

Die Krankenhauslandschaft in unserer Region kann sich von der allgemeinen Entwicklung der letzten 25 Jahre nicht abkoppeln. Das bedeutet: Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen (DRG, Fallpauschalen), wesentlich weniger stationäre und mehr ambulante Behandlungen, geringere Verweildauer der Patienten (inzwischen etwa fünf Tage), Patientenanspruch auf eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung, gestiegene Mobilität der Patienten bei planbaren Operationen, Pflege- und Fachpersonal als begrenzender Faktor, medizinische Entwicklungen wie minimal-invasive Technik und Roboterchirurgie. Von dem jetzt beauftragten Gutachter-Team hat der Kreistag Sachverstand, sorgfältige Prüfung aller Daten und Fakten und eine vertrauenswürdige Beurteilung und Beratung zu erwarten. Klar ist aber auch: der Kreistag als gewähltes Gremium in Vertretung aller KreisbürgerInnen entscheidet.

Besteht nicht die Gefahr, dass die fortschreitende Zentralisierung der stationären Versorgung auf wenige Großkliniken, sich negativ auf die medizinische Versorgung in der Fläche auswirkt?

Die CDU im Kreis bekennt sich zu einer flächendeckenden medizinischen Versorgung im Landkreis. Auch als wesentliche Daseinsfürsorge und für unsere 285.000 Kreisbürger*innen. In jedem Landkreis besteht ein Krankenhaus mit Zentralversorgung. Dafür steht das Elisabethen-Klinikum mit 540 Betten und seinen Spezialabteilungen sowie medizinischen Zentren. Es gilt die stationären Versorgungsstrukturen in unserer Region zukunftsfest zu machen unter Einbeziehung der Standorte Wangen und Bad Waldsee. Gleichzeitig hat der Krankenhausträger OSK das Ziel und die Erwartung einer finanziellen Stabilität und einer wirtschaftlichen Sicherheit – auch in der Erhaltung von bis zu 3000 Arbeitsplätzen.

Wäre es nicht sinnvoll, dass eine Zentralisierung erst dann vorgenommen wird, wenn die alternativen Strukturen zur Versorgung an den bisherigen Klinik-Standorten aufgebaut sind und auch funktionieren?

OSK-Geschäftsführung, OSK-Aufsichtsrat sowie Landkreis und Stadt Ravensburg als kommunale Gesellschafter tragen die Verantwortung für 2800 MitarbeiterInnen und für eine flächendeckende, bedarfsgerechte medizinische Klinik-Versorgung. Insofern spielt die Zeit eine wesentliche Rolle. Gleichzeitig gilt es das Vertrauen aller OSK-MitarbeiterInnen zu erhalten, die Corona-Herausforderungen zu bewältigen und die Behandlungsqualität in unseren Kliniken zu stärken. Auch die vorgelegte OSK-Medizinstrategie schlägt für die Kliniken Bad Waldsee und Wangen Spezialisierungen und weitere Fachdisziplinen vor. Insgesamt muss sich unser Landkreis die Fragen stellen: welche Investitionen in eine medizinische Infrastruktur wollen wir in Zukunft umsetzen und welchen finanziellen Beitrag wird das Land leisten?

Ist die Äußerung von OSK Chef Prof. Oliver Adolph, dass das Krankenhaus in Bad Waldsee eine „bessere Arztpraxis“ sei, in der Diskussion um das Haus hilfreich?

Prof. Dr. Oliver Adolph ist als OSK-Geschäftsführer seit Juni 2020 im Amt, ihm zur Seite steht seit Oktober 2021 als weiterer Geschäftsführer Herr Michael Schuler. Beide Geschäftsführer haben ihre Tätigkeit während der Corona-Extremsituation aufgenommen. Dazu kommt der Personalmangel in den Pflegeberufen sowie die aktuelle Finanzsituation der OSK. Ich sehe dieses gesprochene Wort als „kommunikatives Missverständnis“ an. Als Aufsichtsrat bin ich überzeugt, dass Prof. Dr. Adolph in den kommenden Monaten intensiv in das Gespräch mit der Bürgerschaft und den gewählten Gremien über die Zukunft des Krankenhauses Bad Waldsee eintreten wird. Und zwar mit Bürgermeister Matthias Henne, dem Gemeinderat, dem Personalrat, dem Krankenhaus-Förderverein und allen Bürgerinnen und Bürgern. Diese Dialogprozesse sind bereits terminiert – auch mit den Gutachtern und der Kreisverwaltung. Bad Waldsee kann als wichtiger Kur- und Rehabilitations-Standort punkten, diese medizinischen Kompetenzen und Synergien zum Akutkrankenhaus sind herauszustellen. Im Kreistag (Sitzung 11/2021) hat Prof. Dr. Adolph zunächst zugesichert, dass er „ein bedarfsgerechtes Angebot für den Standort Bad Waldsee mit radiologischer Diagnostik sowie chirurgischem und ambulanten Angebot erarbeiten wolle.“ (Zitat)

Die Geburtsklinik in Saulgau meldete vor der Schließung Rekordzahlen, Tettnang und Ravensburg zum Jahresende ebenso. Können die Kliniken in Ravensburg und Wangen die stark ansteigende Zahl der Gebärenden überhaupt noch medizinisch vertretbar aufnehmen?

Das Westallgäu-Klinikum in Wangen vermeldete 809 Geburten für 2021, das Elisabethen-Klinikum (EK) in Ravensburg 1710 Geburten. Sowohl am EK wie in Wangen zeigt der Kinder- und Geburtentrend deutlich nach oben. Beide Kliniken können also mit ihren hervorragend ausgestatteten Stationen und mit ihren fürsorglichen Geburtsteams die steigenden Zahlen aufnehmen. Die Besorgnis der werdenden Eltern, vor allem der Mütter über die Schließung von Geburtskliniken ist verständlich. Vor allem bei zu langen Anfahrten. Das ist uns bei mehreren Gesprächen – etwa mit den Landfrauen – in aller Deutlichkeit berichtet worden.

Dazu erklärt die EK-Geburtenstation: „Wir sind zwar ein großes Haus, haben aber einen in sich geschlossenen Bereich für unsere Frauen auf zwei Stockwerken. Wir bemühen uns stets, jede Patientin als ein Individuum zu sehen, das unsere Aufmerksamkeit braucht, und nicht als eine Frau von vielen. Jede Patientin ist uns wichtig, wir kümmern uns um jede gleich, und dabei ist es unerheblich, ob wir am Tag zwei oder zehn Frauen entbinden.“ (Zitat Chefärztin Frau Dr. Gropp-Meier). Eine mögliche Wiedereröffnung der Geburtsstation und Verträge mit Hebammen wird in Bad Saulgau erschwert wegen des aktuellen Schliessungsszenarios der Krankenhäuser Saulgau und Pfullendorf durch die SRH-Kliniken.

War es ein Fehler des Staates, bei dem der Versorgungsauftrag im Gesundheitswesen liegt, die Privatisierung von Kliniken zu ermöglichen?

„Profit und/oder Patientenwohl“ – „Wirtschaftlichkeit und/oder Daseinsfürsorge“ – das sind die Fragestellungen. Der Krankenhausplan Baden-Württemberg (von 2010) „soll eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen und eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern sicherstellen und zu sozial tragbaren Pflegesätzen beitragen.“ (Zitat). Die Investitionskostenförderung des Landes zur Finanzierung der Krankenhäuser betrug in den Jahren 2020 und 2021 jeweils 511 Mio Euro (zum Vergleich 2010: 337 Mio Euro).

Von 2016 bis 2021 sind fast 3 Mrd Euro in die finanzielle Förderung der Krankenhäuser im Land geflossen. Im Bundesvergleich verfügt das Land über die höchsten Förderquoten pro Krankenhausbett. Das Land unterscheidet dabei nicht zwischen öffentlichen und privaten Krankenhausträgern. Die mangelhafte wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und der bauliche Sanierungsbedarf ermöglichten seit den 70-er Jahren eine zunehmende Privatisierung der Kliniken. Heute sind Krankenhäuser entweder öffentlich-rechtlich (Unikliniken des Landes, kommunale Kliniken), freigemeinnützig (kirchliche Trägerschaft, Stiftungen) oder privat organisiert.

Der Anteil der Kliniken privater Trägerschaft hat in den letzten Jahren im Bund stetig zugenommen: von 21 Prozent in 1999 auf 38 Prozent in 2019. Private Träger argumentieren, dass sie „die Krankenhauslandschaft und damit die Versorgung der Menschen sicherstellen, indem sie öffentliche Kliniken übernehmen, die sich sonst wirtschaftlich nicht mehr halten könnten.“ (Zitat). Kritiker sehen „die Unvereinbarkeit von Profit und Patientenwohl“ – sie befürchten die „Ökonomisierung“ der Krankenhauslandschaft und die Abhängigkeit der Gesundheitsversorgung von gewinnorientierten Privatunternehmen.