Der erfolgreiche Weg eines jungen Flüchtlings

Ferhad Jawish arbeitet als frisch examinierte Pflegefachkraft auf der Intensivstation des Westallgäu-Klinikums in Wangen.
Ferhad Jawish arbeitet als frisch examinierte Pflegefachkraft auf der Intensivstation des Westallgäu-Klinikums in Wangen. (Bild: OSK / Winfried Leiprecht)

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Die Intensivpflege im Allgäu wird zur neuen beruflichen Heimat

Wangen i.A. – Das zur Ruinenstadt zerschossene Aleppo im Norden Syriens ist zum Symbol der Gräuel des Bürgerkrieges geworden. Als der Konflikt in der mehrheitlich von Kurden bewohnten Stadt seine ganze zerstörerische Kraft entfaltete, saß dort im Jahre 2013 ein junger Mann auf der Schulbank und schrieb sein Abitur. Sieben Jahre später arbeitet Ferhad Jawish als frisch examinierte Pflegefachkraft auf der Intensivstation des Westallgäu-Klinikums in Wangen.

Dazwischen liegt eine Geschichte von Leid und Zerstörung in seiner Heimat. Aber genauso die Geschichte vom eisernen Willen eines jungen Menschen, fernab davon seinen Weg zu machen und den Erfolg zu suchen. „Schlecht“ nennt er seinen Notendurchschnitt von 1,8. Die meisten Abiturienten hierzulande wie wohl auch in Syrien können davon nur träumen. Er setzte hohe Ansprüche an sich selbst. „Vielleicht lag es am Krieg“, meint der 27-Jährige zum Schulabschluss.

Er ging in den Nordirak und wollte dort studieren. „Es hat nicht geklappt.“ Ferhad Jawish fasste den schweren Entschluss, der Heimat, wo seine Eltern zurückgeblieben sind, den Rücken zu kehren. Er ging in die Türkei, setzte im Schlauchboot über das Mittelmeer, durchquerte Griechenland und danach auf der  „Balkanroute“ den halben Kontinent. „Ich bin viel gelaufen“, meint er kurz und knapp zu dieser Zeit. Es war das Jahr 2015, als er mit dem großen Flüchtlingsstrom  nach Deutschland kam.

Erste Station war Passau. Von dort es ging für eineinhalb Monate nach Ellwangen. Wohin als nächstes, das konnte er nicht beeinflussen. „Ich wusste ja nicht, wo ich hingehen sollte.“ Die Landes-Erstaufnahmestelle wies ihn und einige andere junge Männer nach Wangen zu. „Wir haben Glück gehabt“, sagt Ferhad Jawish. Auch wenn es anfangs in der Erba-Halle, der provisorischen Flüchtlingsunterkunft, gar nicht danach aussah. „Sechs Jungs in einem Zimmer, keine Arbeit, eine fremde Sprache“, zählt er die Schwierigkeiten auf.

Sich in sein Schicksal zu ergeben, ist nicht die Art von Ferhad Jawish. „Ich bin in die Stadtbücherei in Wangen gegangen und habe ein Wörterbuch Englisch-Deutsch geholt“, erzählt er. Er begann, sich in die deutsche Sprache hineinzuarbeiten. Nach drei Monaten in Deutschland bekam er die Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. „Der Deutschkurs bis B 1-Niveau war damit Pflicht vom BAMF“, erzählt er. Das Kürzel für das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ kommt ihm leicht über die Lippen. Nebenher ließ er noch sein syrisches Abiturzeugnis anerkennen.

Zwischenzeitlich war er nach Amtzell gezogen. „Neun Jungs waren in einer Wohnung. Vier oder fünf von uns waren seit Ellwangen immer dabei. Es war Zufall, dass wir zusammenbleiben konnten“, erzählt er. Die ersten Monate seien geprägt gewesen vom Gefühl, in einer anderen Welt gelandet zu sein, auch von Heimweh. „In Amtzell hat es angefangen, Spaß zu machen“, meint er. „Wir wurden sehr freundlich aufgenommen, die Leute haben uns viel geholfen. Sie haben uns den Weg bis zu dem Punkt gezeigt, ab dem wir alleine weitergehen konnten.“

Alleine gehen können, dieser Punkt war für Ferhad Jawish das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) auf der Station 3 A am Westallgäu-Klinikum in Wangen. Mit dem Medizinstudium hatte es nicht geklappt. Für die Krankenpflegeausbildung war die Zeit zu knapp gewesen.  Aber auch jetzt musste es weitergehen. Einschließlich des Vorhabens, sein Deutsch auf Level B 2 zu verbessern. „Einen Kurs habe ich nicht besucht. Ich habe zu Hause alleine gelernt und bin in die Prüfung gegangen. Es hat geklappt.“ Dass Deutsch eine so schwere Sprache sein soll, wie ihr immer nachgesagt wird, findet er gar nicht. Dass er die aktive Beherrschung der deutschen Sprache im Allgäu erlernt hat, hört man im Gespräch heraus.

Nach acht Monaten FSJ startete er im Herbst 2017 in die Pflegeausbildung. „Die ersten beiden Wochen an der Schule waren richtig schwierig“, erinnert er sich. Nicht etwa wegen des Stoffes. „Die Lernmethoden sind ganz anders als in Syrien“. Selbst zu arbeiten, Gruppenarbeiten, und das alles in einer doch noch fremden Sprache waren große Herausforderungen. Er hat auch diese gemeistert und nach drei Jahren in diesem Herbst sein Examen abgelegt. Im ersten Anlauf, mit vorzeigbaren Noten.

„Es macht einfach Spaß“, meint er zu seiner ersten Arbeitsstelle als examinierte Pflegefachkraft auf der Wangener Intensivstation. „Wir haben so viel in der Schule gelernt. Das muss man in der Praxis auch umsetzen können.“ Er will als nächstes den Fachkurs zur Intensivpflege besuchen. „Das ist genau das Richtige für mich.“

Über allem hat er nicht vergessen, dass er in Syrien gute Freunde verloren hat.  Dass seine Eltern, die der seit sieben Jahren nur in der Videotelefonie gesehen hat, unverändert in Aleppo leben. Wenn er jetzt voll verdient, will er sie unterstützen. Genauso will er jungen Flüchtlingen helfen, die sich wie er selbst vor einigen Jahren in einer neuen Umgebung orientieren müssen. „Telefonieren“ nennt er als seine Freizeitbeschäftigung. „Ich habe dort viel Schönes erlebt. Es bleibt meine Heimat“, sagt über Syrien. Der Wunsch, es wieder zu besuchen, ist lebendig. Genauso wie das Ziel, vielleicht doch noch zu studieren. Wenn es geht, Medizin.

(Quelle: Oberschwabenklinik)