Covid: Die Dauerbelastung der Klinikmitarbeitenden wird zum großen Problem

Ein Facharzt und mehrere Intensivpfleger versorgen einen Covid-19-Patienten auf der Intensivstation.
Ein Facharzt und mehrere Intensivpfleger versorgen einen Covid-19-Patienten auf der Intensivstation. (Bild: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas)

Die Corona-Lage in der Republik wird immer dramatischer. In etlichen Kliniken muss wegen Überfüllung der Intensiv-Stationen die Triage (ein standardisiertes Verfahren, bei dem Ärzte über Leben und Tod entscheiden) vorbereitet werden. Neben den rasant steigenden Fallzahlen ist der Mangel an Kapazitäten auch Folge des Personalverlustes an den Kliniken. Der Grund: Das Personal leidet seit Beginn der Pandemie unter ständiger Überlastung, die Frustration ist groß, die Ärzte und Pflegenden fühlen sich oft von der Politik im Stich gelassen.

Wir fragten zu diesem Themenbereich bei MdL Andrea Bogner-Unden (Bündnis 90/Die Grünen), MdB Martin Gerster (SPD) und MdB Josef Rief (CDU) nach.

Hat die Politik zu wenig Augenmerk auf diese Entwicklung gerichtet?

Bogner-Unden: Auch die Politik ist überrascht von der Menge an Menschen, die sich nicht haben impfen lassen. Die Entwicklung hatten wir schon im Auge, aber die Zuspitzung zur jetzigen Zeit kann nicht nur der Politik angelastet werden, sondern auch den Menschen, die bisher eine Impfung verweigert haben. Sie füllen die Krankenhausbetten und belasten das Ärzte- und Pflegepersonal über die Maßen hinaus (circa 90 % der Menschen auf den Intensivstationen sind ungeimpft).

Gerster: Die Politik ist sich der ersten Lage bewusst. Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz hat gleich zu Beginn der gestrigen Pressekonferenz zur Vorstellung des Koalitionsvertrags deutlich gemacht, dass oberste Priorität weiterhin die Bekämpfung der Pandemie sein muss und wird. Um effektiver auf tagesaktuelle Entwicklungen zu regieren und Maßnahmen gegebenenfalls anzupassen, soll ein ständiger Bund-Länder-Krisenstab im Kanzleramt errichtet werden. Expertinnen und Experten fordern dies bereits seit langem – Olaf Scholz wird es jetzt umsetzen.

Zudem hat Olaf Scholz verkündet, dass der Bund für eine erneute Bonusauszahlung an die Pflegekräfte eine Milliarde Euro bereitstellen wird. Das ist ein erster wichtiger Schritt, dem aber weitere folgen müssen. Seit langem pocht die SPD auf die Reform des Gesundheitssystems, indem wir gute Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne als den Grundstein für eine professionelle Pflege legen. Wir möchten diese Forderungen, die auch Bestandteil des Koalitionsvertrags sind, in einem progressiven Ampel-Bündnis jetzt endlich umsetzen. Mit einem CDU-geführten Bundesgesundheitsministerium war das bisher nicht machbar.

Rief: Nein, wir haben seit geraumer Zeit einen generellen Mangel an Pflegekräften im ganzen Land. Bundesgesundheitsminister Spahn hat sich dieses Themas schon seit Beginn seiner Amtszeit im Frühjahr 2018 angenommen und mit der Konzertierten Aktion Pflege für bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Pflege und eine höhere Entlohnung der Pflegekräfte gesorgt. So wurde etwa mit dem Sofortprogramm Pflege seit Anfang 2019 Krankenhäusern jede zusätzliche Pflegekraft bezahlt sowie Tarifsteigerungen voll refinanziert. Insgesamt wurden Mittel für zusätzliche 13.000 Pflegekräfte in der Altenpflege bereitgestellt.

Mit der Pflegereform, die in diesem Jahr beschlossen wurde, haben wir u.a. flächendeckend gute Löhne für Pflegekräfte und finanzielle Entlastung ermöglicht. Hinzu kommen die Einrichtung von Pflegeschulen im Ausland und die Anwerbung von Pflegekräften aus Ländern, die ein hohes Ausbildungsniveau und einen Überschuss an Pflegekräften aufweisen (z.B. Mexiko, Montenegro und Philippinen). Spahn war persönlich in den Ländern hat mit den Regierungen und Pflegeschulen verhandelt und Fördergelder zugesagt. Diese Verbesserungen müssen weitergehen.

Im Frühjahr 2020 wurde diesen stillen Helden Beifall geklatscht. Und jetzt? Dauerhaft höheres Gehalt, Prämien?

Bogner-Unden: Gerne würde ich es nicht nur beim Klatschen belassen. Meiner Meinung nach müssen die Pflegekräfte besser bezahlt und die Pflegeberufe attraktiver gestaltet werden. Um diese Forderung mehr Gewicht zu geben, setzen wir uns auf Landesebene für eine Pflegekammer ein. Das Land Baden-Württemberg wird den Pflegekräften, die zur Bekämpfung der vierten Corona-Welle auf den Intensivstationen im Einsatz sind, eine Prämie in Höhe von bis zu 1.500 Euro zahlen.

Die neue Regierung auf Bundesebene mit grüner Beteiligung plant zudem, den Einsatz der Pflegekräfte besonders anzuerkennen. Dafür wird der Bund eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen und die Steuerfreiheit des Pflegebonus soll auf 3.000 Euro angehoben werden. Ich bin sehr dankbar, dass zeitnah das Bundesgesundheitsministerium neu besetzt wird.

Gerster: Olaf Scholz hat verkündet, dass der Bund für eine erneute Bonusauszahlung an die Pflegekräfte eine Milliarde Euro bereitstellen wird. Das ist ein erster wichtiger Schritt, dem aber weitere folgen müssen. Seit langem pocht die SPD auf die Reform des Gesundheitssystems, indem wir gute Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne als den Grundstein für eine professionelle Pflege legen. Wir möchten diese Forderungen, die auch Bestandteil des Koalitionsvertrags sind, in einem progressiven Ampel-Bündnis jetzt endlich umsetzen. Mit einem CDU-geführten Bundesgesundheitsministerium war das bisher nicht machbar.

Rief: Sicher haben besonders die Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte und das Servicepersonal, das mit Corona-Patienten arbeiten, in dieser Pandemie Enormes leisten müssen. Jetzt in der vierten Welle steigt die Belastung wieder an. Die hohe Belastung ist mit ein Grund dafür, dass einige Mitarbeiter gegangen sind. Wir haben in den vorhergehenden Wellen bereits Corona-Boni gezahlt. Das muss es auch in dieser Welle geben, wie Minister Spahn bereits gefordert hat! Ich unterstütze diese Forderung ausdrücklich.

Eine dauerhafte Besserbezahlung ist bei dieser hohen Belastung sicher gerechtfertigt. Die konkrete Einstufung ist aber Sache der Tarifpartner. Wir müssen uns um eine ordentliche finanzielle Ausstattung der Krankenkassen kümmern, was die jetzt noch geschäftsführende Bundesregierung mit Milliardenzuschüssen in der Pandemie stets gemacht hat. Wir brauchen auf jeden Fall wie in den ersten Wellen auch schon, eine Regelung, um Krankenhäuser finanziell abzusichern, die Corona-Patienten behandeln.

Woher kommt bei zunehmender Hospitalisierung das zwingend notwendig zusätzliche Personal?

Bogner-Unden: Da wir kein zusätzliches Personal haben, ist es äußerst wichtig, die Inzidenzzahlen wieder in den Griff zu bekommen. Dafür sollte alles getan werden. Wir brauchen umfassende, niederschwellige und zielgruppenspezifische Impfkampagnen. Die Menschen müssen zeit- und ortsnah ein Impfangebot für Erst-, Zweit- und Boosterimpfungen erhalten.

Wir brauchen zudem Einschränkungen für Nichtgeimpfte, um diejenigen, zu schützen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Es ist wichtig, dass Schulen und Kindergärten und Kinderkrippen geöffnet bleiben, damit Kinder eine gesunde soziale, psychische und körperliche Entwicklung durchlaufen können. Eine Impfpflicht wird hoffentlich dafür sorgen, dass es unserer ganzen Gesellschaft wieder möglich wird, zur Normalität zurückzukehren.

Gerster: Den Unmut darüber, dass die Kliniken erneut vermehrt an ihre Belastungsgrenzen stoßen, teile ich. Ich habe aber volles Verständnis, wenn ein Intensivpfleger nach zwei Jahren Pandemie einfach keine Kraft mehr hat. Wir brauchen deshalb effektive Maßnahmen, um den Personalmangel in Kliniken zu überwinden und das Pflegepersonal zu entlasten. Auch das hat sich die Ampel-Koalition als Ziel gesetzt. Wofür ich kein Verständnis habe, ist der Grund, weshalb die Intensivstationen gerade buchstäblich volllaufen: die fehlende Impfbereitschaft eines Teils der Bevölkerung.

Stand heute haben sich 17,2 Millionen Menschen nicht impfen lassen, obwohl es für ihre Altersgruppe einen zugelassenen Impfstoff gibt – ausgenommen natürlich jene, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Die Daten zeigen, dass geimpfte Menschen viel seltener eine intensivmedizinische Behandlung benötigen als nicht-geimpfte Personen. Länder mit hohen Impfquoten wie Italien oder Portugal verzeichnen kaum noch Infektionen. Die Impfung schützt das Individuum, eine hohe Impfquote schützt uns alle!

Rief: Wir müssen alle Menschen aktivieren, die Erfahrung bzw. Ausbildungen in dem Bereich haben, in den Beruf zurückzukommen. Es gab viele, die in den ersten Wellen auch wieder aushilfsweise in den erlernten Beruf zurückgekehrt sind. Hier könnten wir finanzielle Anreize geben. Ich weiß, dass viele Krankenhäuser ihre Mitarbeiter fortbilden und schnell fitmachen, damit mehr Personal für die Covid-Stationen bereit stehen. Langfristig müssen wir aber die Arbeitsbedingungen verbessern und mehr für diesen erfüllenden wie wertvollen Beruf werben.

Ich erwarte von der neuen Bundesregierung, dass sie unseren eingeschlagenen Weg der Verbesserungen im Pflegebereich jetzt und auch nach der Pandemie konsequent weitergeht. Es ist in der Vergangenheit zu negativ über die Pflege berichtet worden, oftmals auch von den Pflegeeinrichtungen selbst. Das kann so nicht weitergehen. An der Imageverbesserung dieses so wichtigen Berufs müssen sich alle beteiligen.