Berlin will Verteidigungsausgaben massiv erhöhen

Bundeskanzler Olaf Scholz während der Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine.
Bundeskanzler Olaf Scholz während der Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine. (Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa)

WOCHENBLATT
WOCHENBLATT

Der Angriff auf die Ukraine ist auch für die deutsche Nachkriegspolitik eine „Zeitenwende“. Bundeskanzler Scholz kündigt zusätzliche Milliarden für die Bundeswehr an.

Berlin (dpa) – Als Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine will Deutschland seine Verteidigungsausgaben massiv erhöhen.

Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte im Bundestag ein «Sondervermögen» von 100 Milliarden Euro an. «Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen», sagte der SPD-Politiker in der Sondersitzung des Parlaments. «Wir werden von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.»

Scholz betonte: «Wir werden deutlich mehr investieren müssen in die Sicherheit unseres Landes. Um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen.» Dies sei eine «große nationale Kraftanstrengung».

Scholz: Putin will die Zeit zurückdrehen

Scholz verurteilte den russischen Angriff auf die Ukraine scharf und nannte ihn eine weitgehende Zäsur. «Wir erleben eine Zeitenwende», sagte er. «Das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.» Im Kern gehe es um die Frage, ob Macht das Recht brechen dürfe und ob es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gestattet werden könne, die Uhren in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts zurückzudrehen. «Oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen», betonte Scholz.

Der Kanzler bekräftigte, mit dem Überfall auf die Ukraine habe Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen. Dies geschehe aus einem einzigen Grund: «Die Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer stellt sein eigenes Unterdrückungsregime in Frage. Das ist menschenverachtend. Das ist völkerrechtswidrig. Das ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen.»

Deutschland stehe «an der Seite all jener in Russland, die Putins Machtapparat mutig die Stirn bieten und seinen Krieg gegen die Ukraine ablehnen», sagte Scholz weiter. «Wir wissen, Sie sind viele. Ihnen allen sage ich: Geben Sie nicht auf!» Er sei sich «ganz sicher», dass Freiheit, Toleranz und Menschenrechte sich in Russland durchsetzen würden.

Gleichzeitig würdigte Scholz alle Menschen in Russland, die gegen das Handeln Putins protestieren. «Das erfordert großen Mut und wahre Tapferkeit.» Diese Menschen hätten «Verhaftung und Bestrafung in Kauf genommen». Viele Bundestagsabgeordnete erhoben sich daraufhin von ihren Plätzen und spendeten Beifall.

Ankündigung von LNG-Terminals

Als Reaktion auf den Ukraine-Krieg und die Abhängigkeit von russischem Erdgas kündigte Scholz den Bau von zwei Terminals für Flüssigerdgas (LNG) in Deutschland an. Scholz nannte als Standorte Brunsbüttel und Wilhelmshaven.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sprach von einem «Angriff auf die Prinzipien der freiheitlichen Welt». Dies seien «Prinzipien, die für Deutschland und für alle Demokratien weltweit unverhandelbar sind». Die Abgeordneten begrüßten den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, der auf der Gästetribüne saß, mit minutenlangem Beifall. Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, der neben ihm saß, umarmte den Botschafter. Vor dem Reichstagsgebäude weht die ukrainische Flagge.

«In Gedanken sind wir bei Ihren Landsleuten, die in diesen Tagen ihre Freiheit und die Demokratie verteidigen», sagte Bas an die Adresse von Melnyk. «Wir konnten diesen Krieg kommen sehen. Verhindern konnten wir ihn nicht. Es ist schmerzhaft, sich das eingestehen zu müssen. Dennoch war es richtig, es auf allen diplomatischen Kanälen versucht zu haben. Jeder Krieg kennt nur Verlierer!»

Bas sagte weiter: «Es kommt jetzt darauf an, gleichermaßen besonnen und entschlossen zu handeln. Im Bündnis der demokratischen Staaten.»

Scholz: Bundeswehr auf Höhe der Zeit

Unions-Fraktionschef Friedrich Merz befürwortete eine bessere Ausstattung der Bundeswehr. Er betonte aber, ein Sondervermögen bedeute zunächst einmal auch die Aufnahme neuer Schulden. «Darüber müssen wir dann in Ruhe und im Detail sprechen», sagte er.

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel sagte: «Eine heruntergewirtschaftete Armee und eine marginalisierte Rüstungsindustrie, das ist das Erbe von 16 Jahren Angela Merkel.» Kritik am Regierungsvorhaben kam von der Linken. «Dieses Hochrüsten, diese Militarisierung, die können und werden wir als Linke nicht mittragen», sagte Linke-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali. Nötig seien Abrüstung und Diplomatie.

Scholz betonte, die Anhebung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung passiere nicht nur, weil man es Alliierten versprochen habe. «Wir tun dies auch für uns, für unsere eigene Sicherheit.» Zuletzt lag Deutschland bei 1,55 Prozent und damit sehr weit vom Ziel entfernt.

Technologisch müsse die Bundeswehr auf der Höhe der Zeit bleiben, sagte Scholz. Deshalb habe etwa der Bau einer nächsten Generation von Kampfflugzeugen und Panzern gemeinsam mit Frankreich oberste Priorität. Auch die Anschaffung der bewaffneten Heron-Drohne aus Israel werde vorangetrieben.

Sofortprogramm für bessere Ausrüstung gefordert

Der Bundeswehrverband hatte zuletzt ein Sofortprogramm zur Verbesserung der Ausrüstung der Truppe gefordert. Im Bereich Munition, Fahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge und Ersatzteile gebe es massive Probleme. Heeresinspekteur Alfons Mais hatte am Donnerstag Alarm geschlagen, was die Ausrüstung der Bundeswehr angeht. In seinem 41. Dienstjahr im Frieden habe er nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. «Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da», sagte er.

Auch die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, hatte erschreckende Ausrüstungsmängel festgestellt bei den Bundeswehrsoldaten, die derzeit in Litauen für die Nato im Einsatz sind – bis hin zu fehlender Unterwäsche. Außerdem zieht sich seit Jahren ein Rechtsstreit darüber hin, welcher Hersteller 120 000 neue Sturmgewehre für die Streitkräfte liefern soll. In der kommenden Woche steht dazu ein weiterer Gerichtstermin an. Das bisherige Modell erhielt die Bundeswehr 1996.