Befreiung des Lagers Lindele – Erinnerungskultur in den Social Media

Der Internierte William Henry Sandwith zeichnet das Lager Lindele im Winter 1944.
Der Internierte William Henry Sandwith zeichnet das Lager Lindele im Winter 1944. (Bild: William Henry/Stadtverwaltung Biberach)

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Sechs berührend zu lesende Geschichten

Biberach – Insgesamt sechs berührend zu lesende Geschichten über Menschen, die zur Zeit der Befreiung im Lager Lindele interniert, teils auch inhaftiert waren, werden im April und Anfang Mai über Instagram unter dem Hashtag #geschichtenderbefreiung zu lesen sein. Auch auf dem städtischen Facebook-Kanal werden die Geschichten veröffentlicht. Sie erinnern an die 76. Wiederkehr der Befreiung dieser über 1000 Personen und mahnen gegen das Vergessen.  

Unter dem Hashtag haben die niedersächsischen Gedenkstätten „Gestapokeller und Augustaschacht“ sowie die KZ-Gedenkstätte Moringen eine Initiative zu einem erinnerungskulturellen Social-Media-Projekt gestartet und mittlerweile bundesweit zur Beteiligung aufgerufen.

Es sollen Geschichten der Befreiung vom Nationalsozialismus erzählt werden. Durch deren gemeinsame Präsentation über den Hashtag wird die Sichtbarkeit der Initiativen und Gedenkstätten insgesamt erhöht. Gleichzeitig soll menschen- und demokratiefeindlichen Herausforderungen entgegengetreten werden. Noch bis zum zentralen Gedenktag am 8. Mai sind alle Gedenkstätten und Initiativen, die an NS-Verbrechen erinnern, zur Teilnahme eingeladen, Geschichten der Befreiung aus nationalsozialistischen Lagern und Haftstätten zu veröffentlichen. Infolge dessen haben der Guernsey-Freundeskreis im Verein Städte Partner Biberach, das Stadtarchiv und das Biberacher Kulturamt in den gesammelten Materialien und Büchern nach passenden Geschichten über die Befreiung des Lagers Lindele gesucht. Nachdem am 11. April bereits eine kurze Darstellung über die Lagergeschichte veröffentlicht wurde, können nun nach und nach die ausgewählten Geschichten nachgelesen werden.

Ein Modell des Lager Lindele bei Biberach
Ein Modell des Lager Lindele bei Biberach. (Bild: Stadtverwaltung Biberach)

So erinnert sich Stephen R. Matthews, der als sechsjähriger Junge mit seinen Eltern Eileen und Cecil Matthews von der Kanalinsel Guernsey deportiert wurde, gestützt auf die Tagebuchaufzeichnungen seiner Mutter, wie er am 23. April 1945 nach dem Einrücken der französischen Befreier „eine wunderbare Stille erlebte, denn diese Erfahrung war so überwältigend“. Thomas A. Remfrey, der als sechsjähriger Junge 1942 ins Lager kam, ergänzt: „Am späten Nachmittag erschien ein französischer Offizier in einem Stabswagen und wurde begeistert umringt, als er im Lager herumfuhr. Wir waren frei!“ Marjorie Ashton, die am 12. April 1943 im Biberacher Krankenhaus ihre Tochter Carole zur Welt gebracht hatte, schrieb am 14. Mai 1945 nach Hause: „Am 23. April kam es außerhalb des Camps zu Kämpfen und die Franzosen befreiten uns. Du kannst Dir unsere Freude vorstellen. Jetzt, da wir befreit sind, können wir allein das Camp verlassen zu Spaziergängen und Picknicks, was ein echtes Geschenk ist, nachdem wir immer nur mit Geleit ausgehen durften. Wir können auch ein bisschen einkaufen. Ich hoffe, wir werden bald alle von hier wegkommen“.

Margaret Rose berichtete in ihrem später erschienenen Buch „Jenseits des Stacheldrahts“: „Nervosität herrschte im Lager, da kleinere Gefechte um das Lager wahrgenommen wurden und die Internierten sichergehen wollten, von den Franzosen als solche wahrgenommen zu werden. Wir hängten alles Mögliche in Weiß auf den Stacheldraht und Tante Ol holte die Britische Flagge aus meiner Matratze, wo sie dieselbe versteckt hatte. Die Deutschen verschwanden alle, und die Franzosen fuhren unter lautem Jubel ins Lager ein. Es war der 23. April, Sankt-Georgs-Tag, an dem wir befreit wurden. Die Nazi- Fahne wurde beseitigt und mit Jubelrufen wurden die Guernsey-Fahne und die Englische Fahne oder Sankt-Georgs-Fahne gehisst“.

Das Lager Lindele

Das Lager Lindele bei Biberach diente nach seiner Einrichtung 1939 zunächst der Unterbringung einer Kompanie der Deutschen Wehrmacht, anschließend nacheinander als Gefangenenlager für französische und dann englische Offiziere sowie über den Winter 41/42 als Lager für russische Kriegsgefangene und anschließend noch serbo-kroatische Offiziere. Ab September 1942 wurden rund 1000 britische Bürger von den besetzten Kanalinseln in das Lager Lindele nahe der Stadt Biberach gebracht. Mit Stacheldraht und Wachtürmen gesichert, lebten die oft als Familien angekommenen Internierten in den Baracken des früheren Kasernenlagers getrennt in Männer- und Frauen/ Kinder-Baracken. Ab Dezember 1942 wurde das Lager durch die württembergische Schutzpolizei bewacht. Von da an erhielten die Deportierten das Recht, die innere Lagerverwaltung selbst zu organisieren und einen Lagerführer zu wählen, der den Kontakt zur deutschen Lagerverwaltung hielt. Ab Dezember 1942 bekam das Lager Hilfslieferungen vom Internationalen Roten Kreuz, ab Mai 1943 waren bewachte Spaziergänge außerhalb des Lagers möglich, einige Internierte halfen in Biberacher Gärten aus. Es ist ein historischer Glücksfall, dass zwischen einigen unschuldig von den Kanalinseln Deportierten und Biberacher Familien Freundschaften entstanden. Im November 1944 trafen zwei Zugtransporte mit Juden aus Bergen-Belsen ein – Menschen in einem oft schockierenden Gesundheitszustand. Ein Teil dieser Menschen blieb im Lager Lindele. Am 23. April 1945 wurde das Lager von der französischen gaullistischen Armee befreit. 

(Pressemitteilung Stadt Biberach)