Lindauer Nobelpreisträgertagungen Auswahl & Teilnehmer: So kommt Lindau an Nachwuchswissenschaftler und Laureaten

Auswahl & Teilnehmer: So kommt Lindau an Nachwuchswissenschaftler und Laureaten
Forschung und Wissenschaft haben oft ein angestaubtes Image. Völlig zu unrecht. Wie Hunderte junge Wissenschaftler*innen jedes Jahr in Lindau beweisen. Neben Austausch, Inspiration und Idee für ihre Arbeiten wird hier auch für den Ausgleich zur vielen Kopfarbeit gesorgt. Picture/Credit: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings

Wie werden die Nachwuchswissenschaftler*innen ausgewählt, wie die Laureaten für ihren Besuch in Lindau gewonnen und wie wird im Tagungsbüro ganzjährig gearbeitet? Wilfried Vögel hat sich dazu und vielem mehr beim Pressesprecher der Lindauer Nobelpreisträgertagungen, Wolfgang Haaß, schlau gemacht.

Wir berichteten Anfang der Woche bereits über das Großereignis, das jährlich hunderte brillante Köpfe in Lindau vereint. Zum Artikel, der viel Wissenswertes zur Geschichte der Lindauer Nobelpreisträgertagung enthält, kommen Sie hier. Pro Jahr sind es weltweit schon ein paar Tausend junge Wissenschaftler*innen, die gerne nach Lindau kommen wollen. Die Anzahl ist aber auf rund 600 begrenzt. Mehr sind organisatorisch, vor allem aber aus Platzgründen einfach nicht zu bewältigen.

Teilnehmer müssen ein mehrstufiges Auswahlverfahren bestehen

Die Möglichkeit, an einem der jährlichen stattfindenden Tagungen von Nobelpreisträger*innen in Lindau teilzunehmen, steht alleine herausragenden jungen Wissenschaftler*innen bis 35 Jahre (individuelle Ausnahmen sind möglich) offen – Studierende, Doktoranden und Postdoktoranden. Um an einer Tagung teilnehmen zu dürfen, müssen sie ein mehrstufiges Bewerbungs- und Auswahlverfahren absolvieren.

Teilnehmer*innen sollten hervorragende akademische Leistungen nachweisen und mindestens ein Empfehlungsschreiben vorlegen können. Außerdem müssen sie fließend Englisch sprechen und dürfen bisher noch nicht an einer Lindauer Tagung teilgenommen haben.

Ein sogenanntes wissenschaftliches „Review Panel“  wählt die Teilnehmer*innen aus. Die eingereichten Bewerbungen werden in einem mehrstufigen, wissenschaftlichen Evaluierungsprozess gesichtet und bewertet. Jedes Jahr werden bis März alle Bewerber*innen individuell darüber informiert, ob sie zur Teilnahme ausgewählt wurden. Im Falle einer positiven Entscheidung erfolgt dann die Einladung zur bevorstehenden Lindauer Nobelpreisträgertagung.

Zur Tagung werden ausschließlich Nachwuchswissenschaftler*innen mit hervorragenden akademischen Leistungen eingeladen. Wer einen der begehrten Plätze bekommt, kann sich glücklich schätzen. Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings
Zur Tagung werden ausschließlich Nachwuchswissenschaftler*innen mit hervorragenden akademischen Leistungen eingeladen. Wer einen der begehrten Plätze bekommt, kann sich glücklich schätzen. Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Teilnahme kostet mehrere Tausend Euro

Die Teilnahme kostet umgerechnet für jeden teilnehmenden Nachwuchswissenschaftler mehrere Tausend Euro. In den meisten Fällen bezahlen  Förderer der öffentlichen Hand, die Wirtschaft, die eigene Stiftung oder die akademischen Partner die Teilnahme. Auch die Reisekosten müssen immer eingeworben werden, da die ausgewählten Nachwuchswissenschaftler*innen unabhängig von ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Lange in der Lage sein sollen an den Tagungen teilnehmen zu können.

Das Kuratorium hat vor einem Jahr mit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine die Zusammenarbeit mit den russischen und weißrussischen Partnern auf Eis gelegt. Das heißt, dass Organisationen aus diesen Ländern nicht nominieren können. Wurden Nachwuchswissenschaftler*innen dieser Länder schon zuvor oder von anderen Institutionen in anderen Ländern vorgeschlagen, ist eine Teilnahme dagegen selbstverständlich möglich.

„Code of conduct“ garantiert fairen Umgang

Konflikte unter den Teilnehmern*innen sind nicht zu erwarten. Denn jeder Teilnehmer muss einen Verhaltenskodex, den sogenannten „Code of conduct“ unterzeichnen. Darin verpflichtet er/sie sich, auf alle verbalen und nonverbalen Handlungen und Äußerungen zu verzichten, die auf eine Herabwürdigung des jeweiligen Gegenüber abzielen könnten. Bei der Tagung soll es ausschließlich um wissenschaftliche Diskussionen gehen. Politik, Hass, Demütigung usw. dürfen im persönlichen Umgang miteinander keine Rolle spielen.

Im  Tagungsbüro arbeitet ein eingespieltes Team das ganze Jahr über an der Vor- und Nachbereitung der Tagungen

Was machen die Mitarbeiter*innen im Tagungsbüro unter dem Jahr? Hier gilt die Aussage, die man ja vom Sport kennt: Nach der Tagung ist vor der Tagung. Das hoch motivierte und eingespielte Team umfasst ganzjährig rund 15 – 20 Mirtarbeiter*innen.

Umzusetzen ist das genannte Auswahlverfahren, die Gesamtplanung der Tagung, die Ausarbeitung des Programms zusammen mit den wissenschaftlichen Leitern. Dazu gehört auch ein umfangreiches Rahmenprogramm. Im Nachgang entsteht ein umfangreicher Jahresbericht.

Grundsätzlich kann jeder Laureat an allen Tagungen teilnehmen, egal welche Disziplin auf dem Programm steht. Oft ergeben sich in den Grenzbereichen der Disziplinen spannende und inspirierende Begegnungen, z.B. zwischen Medizin und Chemie. Auch auf einzelne teilnehmende Literatur- oder Friedensnobelpreisträger gehen die Veranstalter im Programm ein.

Gräfin Bettina Bernadotte ist bei der Preisverleihung stets vor Ort

Der Kontakt zu den Nobelpreisträgern erfolgt meist bereits bei der Vergabe der Nobelpreise in Stockholm. Gräfin Bettina Bernadotte ist da regelmäßiger Gast und kann so gleich vor Ort die entsprechenden Kontakte knüpfen. Manche Laureaten werden auch von weiteren Preisträgern über die Lindauer Tagungen informiert und sind dann interessiert, selbst teilzunehmen. Für viele Laureaten ist das Treffen in Lindau nicht nur Ehrensache sondern auch persönliches Engagement im Sinne der Zukunft der Wissenschaft.

Gräfin Bernadotte bei der Abschlussveranstaltung auf der Insel Mainau.Picture/Credit: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings
Gräfin Bernadotte bei der Abschlussveranstaltung auf der Insel Mainau.
Picture/Credit: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings

Tatsächlich schon passiert: Von der Teilnahme als junger Wissenschaftler zum Nobelpreis

Es ist tatsächlich schon zwei Mal passiert, dass ein Laureat auch schon als Jungwissenschaftler in Lindau eingeladen war, z.B. Bert Sakmann. Er hat sogar 1948 die Volksschule in Lindau besucht. 1991 erhielt er den Nobelpreis. Sakmann war 1963 als Nachwuchswissenschaftler bei der Lindauer Tagung dabei. Weiteres und jüngstes Beispiel ist Morten Meldal. 1986 war er bereits Teilnehmer der Tagung in Lindau. 36 Jahre später erhielt er den Nobelpreis für Chemie. Er wird heuer auch als Laureat in Lindau erwartet.

Schmunzeln darf man darüber, dass z.B. Klaus von Klitzing als junger Wissenschaftler abgelehnt wurde.1985 wurde er mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Heute ist er ein gern gesehener Gast in Lindau.

Mediathek bietet unglaublichen Fundus an kostenlosem Informationsmaterial

In den nächsten Wochen gehen die Einladungsschreiben an die ausgewählten Nachwuchs-Wissenschaftler*innen raus. Sie werden große Freude auslösen. Aber auch für die abgelehnten Teilnehmer gibt es Möglichkeiten, das Interesse an Lindau weiter zu verfolgen. Sie können in der umfangreichen Mediathek stöbern und dort rund 700 Vorträge aus 70 Jahren Tagungsgeschichte aufleben lassen. Dieser unglaubliche Fundus wird ständig erweitert.

Da findet man auch die Profile der Laureaten, animierte Kurzfilme, interaktive Labor-Präsentationen, aber auch beeindruckende lebenswirkliche Darstellungen, die die Lebenswege der Laureaten aufzeigen.

Studenten, Lehrkräfte und Schüler auf der ganzen Welt können das Angebot kostenlos nutzen

Diese umfangreiche Mediathek können Wissenschaftler und Wissensbegierige aus aller Welt, aber auch Schüler und Studenten nutzen, die Spaß am Entdecken und Forschen haben (www.mediatheque.lindau-nobel.org). Auf diese Weise steht eine einmalige wissenschaftshistorische Ressource zur Verfügung und man kann einen tiefen Einblick in die Forschungsarbeit der Preisträger gewinnen.

Dieses Angebot richtet sich gerade an interessierte Lehrkräfte und Schüler. Dabei soll die Faszination für die Wissenschaft geweckt werden. Viele Inhalte der Mediathek haben einen didaktischen Ansatz und eignen sich perfekt für den Einsatz in Schulen. Auf eigens definierten Plattformen sind die Inhalte auf die jeweiligen Lehrpläne in den einzelnen deutschen Bundesländern abgestimmt. Das Angebot ist selbstverständlich kostenlos.

Aktivitäten in Lindau und darüber hinaus

Die Nobelpreisträgertagung dazu auf ihrer Homepage: „Die Lindauer Nobelpreisträgertagungen verfolgen verschiedene Initiativen und ganzjährige Projekte, die unsere Mission Education ergänzen und dazu dienen, zu bilden, zu inspirieren und zu verbinden. Ob sie sich für offene, nachhaltige Wissenschaften einsetzen, an Politik und Gesellschaft appellieren oder versuchen, Wissenschaft an globale Zielgruppen zu vermitteln: das Fundament dieser Initiativen ist die Lindauer Community – Nobelpreisträger*innen, Nachwuchswissenschaftler*innen, Lindau Alumni sowie Partner und Förderer. Viele der Initiativen wurden aus dieser Community heraus angestoßen und haben sich seither zu eigenständigen, fortlaufenden Projekten entwickelt“.

Zu erwähnen ist hier der Lindauer Wissenspfad. Er führt Besucher*innen über die Lindauer Insel und das Umland, um mehr über die Nobelpreisträger*innen und deren Beiträge zu Forschung und Gesellschaft zu erfahren. Der Lindauer Nobelpreisträgersteg am Kleinen See ist ein besonderes Zeichen der Verbundenheit und Geschenk an die Stadt, in deren Mitte die Tagungen der Nobelpreisträger seit über 70 Jahren stattfinden. Hier sind alle Laureaten vertreten, die jemals in Lindau an der Tagung teilgenommen haben und jährlich kommen die erstmals anreisenden Nobelpreisträger dazu.

Wissen und Erfahrung an die nächste Generation weitergeben

Viele der Geehrten haben ungewöhnliche Lebens- und Berufswege hinter sich. So manche mussten auch lange Jahre für ihre Forschung kämpfen. Ob diese jemals von Erfolg gekrönt sein würden, stand für viele in den Sternen. Aber genau diese Erfahrungen wollen sie in Lindau weitergeben. Sie haben dabei den Mut, sich den zahlreichen, manchmal auch schwierigen Fragen der jungen Leute zu stellen. In Lindau besteht die einzigartige Möglichkeit, neue Ideen, Kooperationen, Projekte aber natürlich auch Lösungen zu entwickeln. Da entsteht ein gewaltiger Fundus für oft auch lebenslange, globale Netzwerke, nicht selten auch persönliche Freundschaften.

Auf der Tagung in Lindau sprechen echte Stars der Wissenschaft - wie hier 2019 zum Beispiel Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle. Der Physiker ist gebürtiger Heidelberger. Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings
Auf der Tagung in Lindau sprechen echte Stars der Wissenschaft – wie hier 2019 zum Beispiel Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle. Der Physiker ist gebürtiger Heidelberger. Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Farbig und lebendig geht es dann zu, wenn die jungen Leute aus allen Ecken der Erde zusammenkommen, z.B. am „Bayerischen Abend“ in der Inselhalle, wo sie ihre landestypischen Trachten und Gewänder präsentieren. Ein buntes und fröhliches Bild voller Lebensfreude.

Bei „Grill & Chill“ haben die Lindauer und natürlich die Gastfamilien bei einem gemeinsamen Grillfest Gelegenheit, mit den Gästen aus aller Welt einen vergnüglichen Abend im Toskanapark zu erleben.

Begeisterung und Netzwerke verbinden die ehemaligen Teilnehmer – Lindau wird in aller Welt bekannt gemacht

Die Begeisterung die von der Lindauer Tagung ausgeht, hat dazu geführt, dass die Teilnehmer nicht nur von dieser einen Woche in Lindau  (manchmal ihr Leben lang) schwärmen. Das Kuratorium hat diesen Elan aufgegriffen und dafür das Lindauer  „Alumni-Netzwerk“ gegründet. Heute können sich Tausende von „Ehemaligen“ über einer eigenen Online-Plattform und über besondere Programmformate verbinden.

Unvergessliche Erinnerungen im Gepäck

Der positive Effekt der Tagungen überdauert die Woche in Lindau bei weitem. Ehemalige Nachwuchswissenschaftler*innen kehren als „Lindau Alumni“ zurück nach Hause – mit unvergesslichen Erinnerungen im Gepäck und neuen Inspirationen für ihre Karriere. Zahlreiche Statements von Wissenschaftler*innen während und nach den Lindauer Tagungen zeugen von einer großen Begeisterung. Neu geknüpfte Kontakte lassen sich über das Lindau Alumni Netzwerk und über soziale Medien pflegen.

“Von dieser Tagung nehme ich Freundschaften aus der ganzen Welt mit, habe neue potenzielle Kolleg*innen kennengelernt und ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein für die Diskussion und die Auseinandersetzung mit den wichtigsten Problemen unserer Gesellschaft entwickelt.”
Philip Lewis, Lindau Alumnus 2018

Der sogenannte „Lindau Blog“ präsentiert eine höchst spannende und unglaubliche Themenvielfalt aus Wissenschaft und Forschung. Hier finden Interessierte jede Menge Informationen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. Alumni berichten hier über ihre vielfältigen Erfahrungen in und aus Lindau. Wissenschaftler und Gastautoren haben hier die Möglichkeit, über ihre wissenschaftliche Arbeit zu berichten.

„Lernen, inspirieren und vernetzen“ 

So tragen Tausende von Teilnehmern dazu bei, Lindau in aller Welt bekannt zu machen. Nicht selten kehren ehemalige Teilnehmer*innen außerhalb der Tagung in die Inselstadt zurück, um hier Urlaubstage zu verbringen.

Forschungsleistung steht im Mittelpunkt

Die Forschungsleistung der Nobelpreisträger steht stets im Mittelpunkt. Sie vermitteln in dieser Woche den Grundgedanken der Tagung: „Lernen, inspirieren und vernetzen“.

Die Laureaten stehen für die bedeutendsten Errungenschaften unserer Zeit. Ohne sie gäbe es z.B. keine Computer, keine Antibiotika und die Anfänge des Universums lägen noch im Verborgenen. Genau dieses Wissen und die Begeisterung geben die Nobelpreisträger in Lindau an die nächste Generation weiter. Das wirkt für viele ein Leben lang nach.

Bei der Verabschiedung auf der Insel Mainau den „Spirit“ spüren

Wenn am jeweils letzten Tag der Nobelpreisträgertagung Gräfin Bettina Bernadotte nach einer gemeinsamen Schifffahrt alle Teilnehmer an der Tagung im Hof des gräflichen Schlosses auf der Insel Mainau emotional verabschiedet, kann man den berühmten „Spirit“, den die Tagung auslöst, hautnah spüren.

Den Geist der Wissenschaft lassen sich die Teilnehmer der Lindauer Nobelpreisträgertagungen auf dem Boot in Richtung Mainau um die Nase wehen. Picture/Credit: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings
Den Geist der Wissenschaft lassen sich die Teilnehmer der Lindauer Nobelpreisträgertagungen auf dem Boot in Richtung Mainau um die Nase wehen. Picture/Credit: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings

Weitere Infos unter www.lindau-nobel.org