Aufklärung: „Lina die Entdeckerin“ bringt Storch und Buchhändler in Verlegenheit

Aufklärung: „Lina die Entdeckerin“ bringt Storch und Buchhändler in Verlegenheit
Lina weiß, dass ihr Geschlechtsorgan Vulva heißt – und nicht „dort unten“ oder „zwischen den Beinen“. (Bild: ACHSE Verlag)

 „Mama, warum hat der Papa da sowas zwischen den Beinen und du nicht?“ Kinder sind neugierig. Und sobald sie sprechen können, haben sie auch Fragen. Ganz konkrete Fragen! Ob zum Universum, Sexualität oder dem Wetter. Doch während sich die meisten Sachen gut erklären lassen, geraten viele Eltern beim Thema Aufklärung ins Stottern. Ein neues Buch soll ihnen helfen.

Penis und Scheide sagt man nicht. Lieber nimmt man blumige Umschreibungen für die Geschlechtsteile her. Oder beschränkt sich auf die nebulöse Lagebeschreibung „da unten“. Das ist nicht optimal für Kinder, die dann selbst irgendwann in Erklärungsnot geraten, weil sie gar nicht wissen, wie Teile ihres Körpers eigentlich heißen. Denn heute weiß man: für gut aufgeklärte Kinder sind Sexualität und Liebe ganz normale Inhalte. UND: Nur Kinder die wissen, wie man etwas korrekt benennt und was erlaubt ist, können sich auch vor eventuellen Grenzüberschreitungen schützen.

Lina, die Entdeckerin

Allerdings haben immer noch viele Eltern große Scheu davor, ihr Kind aufzuklären und die Dinge beim Namen zu nennen. Eine gute Hilfestellung können Aufklärungsbücher sein. Aktuell sorgt das preisgekrönte Bilderbuch „Lina, die Entdeckerin“ für Aufsehen.

Es ist im ACHSE-Verlag erschienen und erzählt in Reimen die Forschungsreise der neugierigen Lina durch ihren eigenen Körper. Dabei steht die Vulva im Fokus – abseits von Unsicherheiten und Tabus. Ergänzt wird die Geschichte für Kinder ab drei Jahren durch informatives Wissen rund um Körperbehaarung und -hygiene, Nacktheit und Erwachsenwerden – auch für ältere Kinder und Erwachsene.

Zwischen Begeisterung und errötenden Buchhändlern

Die Meinungen zu dem ungewohnt direktem Aufklärungs-Bilderbuch gehen auseinander. Eine ortsansässige Buchhandlung teilte auf Nachfrage mit, dass sie dieses Buch auf keinen Fall ins Regal der Kinderbücher stellen würde. Höchstens im Bereich der Erwachsenenliteratur. Am liebsten aber gar nicht.

Ganz anderes sieht es eine Kindheitspädagogin aus der Region. Hanna K.* hat täglich mit Kindern zu tun und weiß aus Erfahrung, dass Kinder neugierig sind und Antworten brauchen. Konkrete Antworten statt schamhafter Umschreibungen. Fragen wie „Wo kommen die Babys her?“ oder „Warum hat der da was anderes zwischen den Beinen als ich?“ und „Wer hat alles einen Penis?“ sind für sie normal. „Bei Kindern gibt es keine Tabus und sie kennen beim Thema Sexualität keine Scham. Ein Tabu machen Erwachsene daraus und erziehen das den Kindern dann an,“ so die Fachfrau.

„Warum soll ein Kind zu Scheide nicht Scheide sagen? Natürlich kann man anfangs andere Begriffe nennen, aber das Kind sollte schon wissen, dass man im normalen Sprachgebrauch zum weiblichen Geschlechtsteil nicht Mumu sagt. Die Erwachsenen sollten lernen, diese Begriffe genauso selbstverständlich im Umgang mit Kindern zu nutzen wie die Wörter Tisch, Karotte und Spielplatz.“ 

Keine Tabu-Themen für Kinder

Für Hanna K. sind Bücher zu Themen wie Sexualität, Diversität, Tod, Behinderung etc. hilfreiche Medien, um mit Kindern ins Gespräch zu kommen. Grade wenn man als Eltern Schwierigkeiten hat, die Dinge beim Namen zu nennen. „Wenn Kinder im frühen Alter darüber aufgeklärt werden und Eltern sowie Kita diese Tabus thematisieren, wachsen sie zu starken und selbstbewussten Kindern heran.“ 

Der Hintergrund zum Buch

Warum sind viele Begriffe verniedlichend, abwertend, diffus oder komplementär zum männlichen Geschlecht? Das haben sich die Autoren Katharina Schönborn-Hotter, Lisa Charlotte Sonnberger und Flo Staffelmayr gefragt – und gemeinsam ein außergewöhnliches Bilderbuch konzipiert, das die Vulva ganz wertfrei beim Namen nennt.

Katharina Schönborn-Hotter hat sexualpädagogische Workshops mit Jugendlichen geleitet und arbeitet als Psychologin und Pädagogin im Bereich Frauengesundheit, Lisa Charlotte Sonnberger ist Kindergartenpädagogin, Goldschmiedin und Kunsthistorikerin, Flo Staffelmayr arbeitet als Autor im Kinder- und Jugendtheaterbereich.
Katharina Schönborn-Hotter hat sexualpädagogische Workshops mit Jugendlichen geleitet und arbeitet als Psychologin und Pädagogin im Bereich Frauengesundheit, Lisa Charlotte Sonnberger ist Kindergartenpädagogin, Goldschmiedin und Kunsthistorikerin, Flo Staffelmayr arbeitet als Autor im Kinder- und Jugendtheaterbereich. (Bild: ACHSE Verlag/Manuel Gruber)

Der achtsame und präzise Umgang mit Sprache schafft eine Basis für ein positives Körpergefühl, das wertfreie Benennen aller Körperteile ist von großer Bedeutung für die Selbstwahrnehmung und Selbstbestimmung der Kinder. Ein besonderes Anliegen war den vier Autoren dabei ein humorvoller und vor allem spielerischer Zugang zum Thema.

Bei unseren Nachbarn in Österreich wurde „Lina, die Entdeckerin“ im Jahr 2020 mit dem Staatspreis und als eines der 15 schönsten Bücher Österreichs ausgezeichnet. Ob es auch hier so großen Erfolg hat, wird sich noch zeigen. Falls Sie es suchen, gehen Sie vorsichtshalber auch mal in die Erwachsenen-Ecke des Buchladens.

*Name von der Redaktion geändert