Auch digitales Vorlesen kommt gut an

Zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der ganzen Region verfolgten über Livestream den von der Pädagogischen Hochschule Weingarten, dem Landkreis Ravensburg und der Kinderstiftung Ravensburg veranstalteten zehnten Vorlesetag.
Zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der ganzen Region verfolgten über Livestream den von der Pädagogischen Hochschule Weingarten, dem Landkreis Ravensburg und der Kinderstiftung Ravensburg veranstalteten zehnten Vorlesetag. (Bild: Pädagogische Hochschule Weingarten)

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Ravensburg/Weingarten – Wer am vergangenen Freitagnachmittag den Livestream-Link zum Vorlesetag aktivierte, war gleich mittendrin und erwischte Jutta Klawuhn und Alex Niess beim Stöbern in Bücherregalen des Kreismedienzentrums Ravensburg.

Doch auch zwischen den Büchern fanden sie schnell in die Moderation: Professionell und in gewohnt unterhaltsamer Manier führten die beiden Schauspieler und Theaterpädagogen durch das Programm des diesjährigen Vorlesetags mit dem Thema „Infotainment rund ums Vorlesen“.

Das Vorlesen sei im Zuge von Corona zwar erschwert und vielerorts in Bedrängnis, aber es mache auch virtuell großen Spaß, betonten die beiden Moderatoren. Mit Hände-Reiben und Fußgetrappel, wechselnder Mimik und ausdrucksstarker Gestik erbrachten sie sogleich den Beweis dafür, dass es auch online viele Möglichkeiten für ein einführendes Vorspiel, für Spannung und Lesedynamik gibt.     

Veranstaltet wurde der Vorlesetag wie in den Vorjahren von der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH), dem Landkreis Ravensburg und der Kinderstiftung Ravensburg. „Wir haben die Chance, unseren zehnten Vorlesetag als Video-Livestream mit zugeschalteten Gästen anzubieten“, freute sich der PH-Professor im Ruhestand, Dr. Jürgen Belgrad, Leiter des Forschungsprojekts und Vereins „Leseförderung durch Vorlesen“, der gemeinsam mit Ludger Baum, Leiter des Regionalen Bildungsbüros, und Ulrike Schreiner-Luik, Lesewelten der Kinderstiftung Ravensburg, zum Vorlesetag eingeladen hatte.

Dieser zehnte Vorlesetag sei ein guter Grund, stolz zu sein und zu feiern, sagte der Schirmherr, Landrat Harald Sievers, in seiner Begrüßung. Erstmals sei es gelungen, im Landkreis Ravensburg und im Bodenseekreis einen gemeinsamen Vorlesetag anzubieten. „Wir sind in Pandemiezeiten auf neue Formate angewiesen“, sagte der Landrat und dankte den Veranstaltern und den Kreismedienzentren der beiden Landkreise für die Durchführung und technische Gestaltung der Veranstaltung.

Der Vorlesetag biete wichtige Ideen und Impulse zur Vorlese- und Leseanimation, um diese interaktiv, unterhaltsam und medienübergreifend zu gestalten, lobte die live zugeschaltete PH-Rektorin Professorin Dr. Karin Schweizer. Die PH verstehe sich als Kompetenznetzwerk in Sachen Infotainment und vorlesen@ueberall, sagte sie und betonte, wie wichtig es sei, dass Kinder und Jugendliche früh lernten, ob eine Information aus dem Internet vertrauenswürdig sei.

„Ohne dass man gut lesen kann, kommt man nicht durchs Leben“, sagte die aus Markdorf zugeschaltete Schulamtsdirektorin des Staatlichen Schulamtes, Carmen Huber. Aktuell seien viele Kinder in schwierigen Lebensumständen. Vorlesen stärke das Selbstwertgefühl und ermögliche das Abtauchen in eine andere Welt voller Erlebnisse, gab sie zu bedenken. Zudem lerne man auch, einem anderen zuzuhören. Die Schulamtsdirektorin verwies auf erfolgreiche Leseprojekte und auf ein Theaterprojekt mit Kindern und Jugendlichen, das mit verschiedenen Partnern im kommenden Sommer realisiert werden soll. „Wir möchten Kinder und Jugendliche für Bücher, Musik und Theater begeistern.“

Lesefreude hat abgenommen

Das Thema Infotainment – also Information und Entertainment – hatten die Veranstalter bewusst gewählt. Die OECD habe aktuell festgestellt, dass in Deutschland und anderen europäischen Staaten die Freude der Schülerinnen und Schüler am Lesen deutlich abgenommen habe, so Belgrad. Dabei sei erwiesen, dass Vorlesen die Lesefreude und Lesekompetenz steigere. Die Studie zeige auch, dass das Printbuchlesen eine deutlich höhere Lesekompetenz fördere als digitales Lesen. „Wir müssen etwas tun! Wir müssen die Lesefreude steigern und eine Flamme entzünden“, sagte Belgrad und warb für gestisches Vorlesen mit Bildern, Mimik und Betonungen. Untersuchungen hätten gezeigt, dass auch das Fremdsprachenlernen besser gelinge, wenn man mit Gestik arbeite.

Viele Facetten von Leseanimation

Das Programm des Vorlesetags bot viele Facetten in Sachen Leseanimation. „Ihr habt digital eure ganz eigenen Deko-Möglichkeiten oder könnt euch selbst kostümieren“, rieten Alex Niess und Jutta Klawuhn, schwenkten eine Piratenflagge und zeigten Begleitbilder eines düsteren Spukschlosses. Auch eine Handpuppe könne für Begeisterung sorgen, sagte Niess und belegte dies sogleich mit dem von ihm beispielhaft ins Spiel gebrachten Puppen-Charakterdarsteller Hagen.

Für ein gutes Online-Vorlesen brauche es Computer, Mikrofon und Kamera, bestätigte der PH-Student Patrick Gambin. Er öffnete für den Vorlesetag die Türen seines Tonstudios und entführte die Zuschauer mit seiner Filmgeschichte „Herr Ladebälkchen“ auf eine digitale Reise durch die Medienproduktion. Auch dieser habe vorgelesen, so Gambin. „Und wenn ihm der Akku nicht ausgegangen ist, liest er noch heute.“ Wie spannend und unterhaltsam Vorlesen gestaltet werden kann, zeigte Christine Kranz, Referentin für medienübergreifende Leseförderung und „Rockstar in der Vorleseszene“, wie Alex Niess sie ankündigte.

Kranz präsentierte neu erschienene Apps und Vorlesebücher wie beispielsweise „Wo ist Theatrine?“, in dem alle Bereiche eines Theaters vorgestellt werden, das Lebens-Retter-Buch oder auch das Buch „Der Berg“, das mit Witz und Raffinesse eine Geschichte über unterschiedliche Wahrnehmungen erzählt und dabei Toleranz und Miteinander thematisiert. Beim Vorlesen aus dem Bilderbuch „Kann ich bitte in die Mitte?“ verlieh sie Kind, Zebra, Katze, Hamster und Löwe eigene Stimmen und erweckte diese durch Gestik und Mimik für die Zuhörer zum Leben.      

Leseauswahl, Lesetechnik und Tempo seien wichtige Kriterien für gutes, atmosphärisches und lebendiges Vorlesen, sagte der Autor und Vorleseexperte Manfred Kohrs. Er stellte die beiden zwölfjährigen Kreissieger Ravensburg des diesjährigen Vorlesewettbewerbs vor – Emma aus Aulendorf und Felix aus Wangen. Beide gaben Kostproben ihres Vorlese-Kunst.

Virtuell auf Farbspuren-Suche und in der Bücherei

Ein Video mit Alex Niess als „Reporter vor Ort“ führte die Zuschauer auf Farbspuren in das Atelier von Kunstpädagogin Monika Schlenker. Dort gestalteten Drittklässler der Kuppelnauschule ihre Lieblingsbilder, erzählten von ihren Lieblingsbüchern und gaben Vorlesetipps. Das Projekt Farbspuren wird von den Lesewelten der Kinderstiftung Ravensburg finanziert. Die Bilder der jungen Künstler sollen abschließend in einer Ausstellung präsentiert werden. Lust auf Lesen und Vorlesen machte der Videobesuch in der Stadtbücherei Ravensburg, der Räumlichkeiten, Ausleihmöglichkeiten und das umfangreiche Sortiment an Büchern, Magazinen, CDs und anderen Medien vorstellte. „Wir haben ein Angebot, das jeden anspricht“, so das Team der Stadtbücherei.

Lesewelten und Büchertürme

Zum Abschluss des virtuellen Vorlesetags stellte Ulrike Schreiner-Luik das Projekt Lesewelten der Kinderstiftung Ravensburg vor. „Wir sind stolz darauf, dass wir trotz Corona weiterhin vorlesen“, sagte sie. Ziel für das kommende Jahr sei es, 700 bis 800 Kinder pro Woche zu erreichen. Dafür werden ehrenamtliche Vorleserinnen und Vorleser gesucht. „Jeder und jede kann vorlesen“, betonte sie und warb auch für das Tandem-Vorlesen mit nur einem Kind. Die Kinderstiftung bietet Workshops und andere Unterstützungshilfen für Vorlesende.

„Ran an die Bücher, rauf auf die Türme“, appellierte Ludger Baum vom Regionalen Bildungsbüro an Lesefreunde. Im Rahmen des Projekts Büchertürme, für das die Ravensburger Towerstars die Schirmherrschaft übernommen haben, sind alle Grundschulklassen sowie die 5. Klassen der weiterführenden Schulen, Leseclubs und Fördereinrichtungen der Lesenetze eingeladen, mitzumachen!

Im Rahmen des Projekts sollen so viele Bücher gelesen werden, dass der gemeinsam erlesene Bücherstapel die Spitze eines lokalen Turms oder eines markanten Gebäudes erreicht. Der Ravensburger Mehlsack beispielsweise wurde bereits lesend „erklommen“. Aktuelles Leseziel, so Baum, sei die Höhe der aufeinander gestapelten Spieler der Towerstars. 

Wer den Vorlesetag verpasst hat, kann die Aufzeichnung unter dem folgenden Link ansehen: https://www.lesefoerderung-durch-vorlesen.de/.

(Pressemitteilung: Pädagogische Hochschule Weingarten)