Ältere Wurzeln des Wangener Kinderfestes entdeckt

Stadtarchivar Dr. Rainer Jensch zeigt Oberbürgermeister Michael Lang mehr als 400 Jahre alte Säckelmeisterbücher. Dort sind die Ausgaben für Wein und Brot vermerkt, anlässlich des sommerlichen „Rutengehens“ von Lehrern und Schülern.
Stadtarchivar Dr. Rainer Jensch zeigt Oberbürgermeister Michael Lang mehr als 400 Jahre alte Säckelmeisterbücher. Dort sind die Ausgaben für Wein und Brot vermerkt, anlässlich des sommerlichen „Rutengehens“ von Lehrern und Schülern. (Bild: Stadt Wangen/sum)

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Wangen – Bei einer Recherche in den 400 Jahre alten Säckelmeisterbüchern stieß Stadtarchivar Dr. Rainer Jensch auf bisher völlig unbekannte Belege. Unter der Rubrik „Zehrung und Schenkwein“ fand er die Ausgaben für die beiden Schulmeister und deren Frauen, sowie für die Schüler der lateinischen und deutschen Schule, die im Anschluss an das „Rutengehen“ für die dazugehörenden Festlichkeiten aufgewendet wurden. Das heißt: Das Wangener Kinder- und Heimatfest hat wesentlich ältere Wurzeln als bisher bekannt ist.

Was er gefunden hat, berichtet Jensch: „In den Säckelmeisterbüchern findet sich der Eintrag: ‚Auf Dienstag den 17. Juli 1612 sind beide Herren Schulmeister mit den Kindern in die Ruten gezogen, hernach bei mir im Rat auf die Kinder an Wein…, um Brot auf die Kinder…, um Krießbeer [Kirschen], meine Herren mit den Herrn Schulmeister verzehrt…, jeden Schulmeisters Frau ein Quart Wein…‘.

Erstmals sind diese Einträge ‚so über die Knaben und Mädle gangen, so sie in die Ruten gangen‘ für das Jahr 1604 nachzuweisen. Als die Herren Schulmeister im Jahr 1623 mit den Kindern ‚in Rueten gewesen‘, ließ sich die Stadt den Wein, das Brot und die Kirschen eine namhafte Summe von über 18 Gulden kosten.

Doch mit dem reichsstädtischen Glanz, wie er auf der weitbekannten Stadttafel von Johann Andreas Rauch noch bis zum heutigen Tag aufscheint, sollte es schon bald vorbei sein. Zu dieser Zeit warf die Furie des 30-jährigen Krieges bereits ihre dunklen Schatten über die Allgäustadt.

Für den Brauch des ‚Rutengehens‘ gibt es unterschiedliche Erklärungsversuche. Sehr wahrscheinlich zogen die Lehrer mit ihren Schülern vor die Tore der Stadt, um von den Feldsträuchern jene Weiden- oder Haselnussruten abzuschneiden, die den Lehrern im kommenden Schuljahr zur Züchtigung der Schüler dienen sollten. Der Gebrauch von Ruten zur Erziehung der Schüler gehörte noch bis ins letzte Jahrhundert zum Schulalltag. So ist die Rute in den Bildern des Mittelalters meist als ‚Amtszeichen‘ der Lehrer zu sehen.

Dass mit dem Ritual des festlichen Ruteneinholens zugleich die Zäsur zwischen zwei Schuljahren gefeiert wurde, belegen die Ausgaben für den Schenkwein. Dieser wurde nicht nur den Lehrern und der Obrigkeit verabreicht, sondern diente auch den Schülern zum Genuss. Bei dem Ausgabeposten ‚Brot‘ dürfte es sich um besondere Gebäcke gehandelt haben.

Beispielsweise wurden bei einer Niederwangener ‚Schulschankung‘ im 19. Jahrhundert die sogenannten ‚Schulbretzgen‘ verteilt. Bemerkenswert ist, dass die Wangener Schüler mit ‚Kriesen‘ bedacht wurden. Diese Kirschen dürften ihnen den bitteren Geschmack bezüglich der Ruten etwas versüßt haben. Im belegbaren Zeitraum von 1604 bis 1623 fanden die Festlichkeiten während der Sommermonate Juli und August statt.

Auf das Ruteneinholen gehen bis heute noch einige bekannte Schülerfeste im süddeutschen Raum zurück. Für das traditionsreiche Ravensburger Rutenfest stammt der erste urkundliche Beleg aus dem Jahr 1645. Auch in Wangen wird das alte Brauchtum seine Fortsetzung gefunden haben. Der für das Jahr 1798 belegbare sogenannte ‚Schulherrentag‘ war sicher eine Feier in dieser Tradition.

Nachdem Wangen seine Souveränität als Reichsstadt verloren hatte, ist für die bayrische Ära der Stadtgeschichte für das Jahr 1808 eine ‚Schulpreisungsfeierlichkeit‘ belegt. Unter königlich-württembergischer Landeshoheit ergeht schließlich im Jahr 1832 im Wangener Oberamtsblatt ein ‚Aufruf an Kinderfreunde‘ mit ihren Spenden ein ‚kleines Kinderfest‘ zu ermöglichen.

Mit dessen großem Erfolg war nun der Name für das bis heute gefeierte Stadtfest gefunden. Die Wurzeln des Wangener Kinderfestes reichen jedoch erheblich weiter in die Vergangenheit zurück als sein Name.“

(Pressemitteilung: Stadt Wangen)